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Essen und Trinken in Deutschland

22.01.2001  00:00 Uhr

Essen und Trinken in Deutschland

von Ulrike Wagner, Fulda

Wie steht es um die Ernährung der Deutschen? Was essen Kinder? Sind Probiotika tatsächlich so gesund wie die Werbung verspricht? Welche Infektionskrankheiten verbreiten sich über das Essen? Mit diesen Fragen beschäftigten sich die Teilnehmer eines Seminars, das die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) am 17. und 18. Januar veranstaltete. Anlass war die Veröffentlichung des Ernährungsberichts 2000, den die DGE im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit sowie des einstigen Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten alle vier Jahre erstellt.

Ganz so schlecht, wie oft vermutet, ernähren sich die Deutschen nicht. "Es gibt einen Trend weg von tierischen hin zu pflanzlichen Produkten", erklärte Professor Dr. Georg Karg von der TU München. Vergleicht man die durchschnittliche Nährstoffzufuhr mit den in Deutschland, Österreich und der Schweiz gültigen Referenzwerten (D-A-CH-Referenzwerte), so sind die Deutschen mit vielen Nährstoffen, Vitaminen und Spurenelementen ausreichend versorgt. Von einigen dürfte es jedoch ein bisschen mehr sein. So kommen Ballaststoffe bei der Ernährung immer noch zu kurz, erklärte Karg. Der Anteil der gesättigten Fettsäuren unter den aufgenommenen Fetten ist zu hoch, der Anteil der mehrfach ungesättigten Fettsäuren zu niedrig. Im Durchschnitt unterversorgt sind die Deutschen auch mit b-Carotin, Folat, Calcium, Iod und Fluorid.

Kohlenhydrate gehören häufiger auf den Teller. Allerdings nicht in Form von Süßspeisen, sondern eher als Kartoffeln und Vollkorn-Getreideprodukte. Älteren Menschen fehlt vor allem Vitamin D und viele junge Frauen nehmen zu wenig Eisen auf.

Säuglinge

"Auch heute wird noch nicht genug gestillt", sagte Privatdozentin Dr. Mathilde Kersting vom Forschungsinstitut für Kinderernährung in Dortmund; obwohl Muttermilch als "Goldstandard der Säuglingsernährung" gilt. Dass man Mütter zum Stillen motivieren kann, macht uns Schweden vor. Dort werden Kinder im Durchschnitt wesentlich länger und häufiger gestillt als in Deutschland. Schwedische Krankenhäuser haben bereits in den 70er Jahren die Forderungen von WHO und Unicef umgesetzt. In Deutschland sind ähnliche Programme erst 1994 angelaufen, berichtete Kersting.

Wie Säuglinge in Deutschland derzeit ernährt werden, sollte eine bundesweite repräsentative Studie des Forschungsinstituts für Kinderernährung klären. Die SuSe-Studie zeigte, dass immerhin 91 Prozent der Mütter direkt nach der Geburt versuchen, zu stillen. Allerdings gehen die Zahlen danach rasch zurück. Gegen Ende des zweiten Monats stillten nur noch 42 Prozent.

Als Gründe gaben die Frauen meist Schwierigkeiten beim Stillen an. Durch kompetente Information und Beratung hätten diese Probleme jedoch vermieden und behoben werden können. "Die meisten Mütter wissen nicht, dass die Krankenkasse die Stillberatung durch die Hebamme so lange bezahlt, wie die Mutter dies braucht", sagte Kersting. Informationen zum Stillen liefert auch die Nationale Stillkommission beim Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV). Die Kommission erreicht man zum Beispiel über das Internet unter www.bgvv.de/kommission/nsk  

Säuglingsernährung

  • Idealerweise vier bis sechs Monate voll stillen und danach, neben der Beikost, weiter stillen
  • Wenn nicht oder nicht mehr gestillt wird, eine industriell hergestellte Säuglingsmilchnahrung geben
  • Frühestens im fünften Monat eine Milchmahlzeit durch einen Gemüse-Kartoffel-Fleisch-Brei ersetzen
  • Einen Monat später als zweite Beikostmahlzeit einen Vollmilch-Getreide-Brei einführen
  • Unverdünnte Kuhvollmilch als Tassengetränk erst im Rahmen der Brotmahlzeit am Ende des ersten Lebensjahres geben
  • "Hypoallergene" Säuglingsnahrung ist nur dann zur Vorbeugung von Allergien empfehlenswert, wenn die Mutter nicht stillt und bei Familienmitgliedern ersten Grades allergische Erkrankungen vorliegen.

 

Ernährung in Kindertagesstätten

In einer weiteren Studie untersuchten Kersting und ihre Mitarbeiter die Ernährung von Kindern in Kindertagesstätten. Das Ergebnis: Die ernährungsphysiologische Qualität des Essens ist befriedigend. Mit relativ einfachen Maßnahmen könnte man sie jedoch noch verbessern. So sollten den Kindern mehr Rohkost und Gemüse sowie Getreide und Vollkorngerichte angeboten werden. Außerdem könnten die Speisen wesentlich gesünder sein, wenn für deren Zubereitung Rapsöl verwendet wird, das Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren im optimalen Verhältnis enthält.

Kersting bemängelte, dass oft ungeschultes Personal das Essen für die Kindertagesstätten zubereite. Außerdem sollten Kinder bei der Planung und Zubereitung aktiv mitwirken dürfen.

Macht Fernsehen dick?

Zum Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen gibt es in Deutschland kaum Daten, erklärte Dr. Thomas Ellrott von der Ernährungspsychologischen Forschungsstelle in Göttingen. Legt man den Body-Mass-Index zu Grunde, schätzen Experten den Anteil der adipösen Kinder auf etwa 10 bis 15 Prozent. Das Ergebnis einer Befragung von Kindern und Jugendlichen zeigte: Je mehr Kinder fernsehen, desto dicker sind sie. Ob fernsehen dick macht, weil die Kinder dabei zu viel naschen und sich nicht bewegen, oder ob dicke Kinder lieber fernsehen, weil ihnen Bewegung schwerfällt, konnten auch die Interviews nicht klären.

Um das Essverhalten von Kindern zu ändern, muss man sich gute und vor allem kindgerechte Argumente einfallen lassen. Denn Kinder sind nicht so sehr an Ernährungsfragen interessiert wie Erwachsene. Sie wissen zwar meist sehr genau, welche Lebensmittel gesund sind und welche nicht. Das hat jedoch keinen Einfluss auf ihr Essverhalten. An das Motiv "Gesundheit" zu appellieren, ist bei ihnen zwecklos, weil sie noch gar kein Gesundheitsbewusstsein entwickelt haben.

Immerhin bekamen fast alle befragten Kinder Pausenverpflegung und Getränke mit in die Schule. Meist sind dies belegte Brote und Obst sowie Milchmischgetränke oder Fruchtsaft, erklärte Ellrott. Erstaunlicherweise vermissen einige Kinder Müsli, Joghurt, Quark und Buttermilch in der Schule. Hier könne man ganz einfach etwas erreichen, wenn man diese Lebensmittel den Kindern und Teenagern anböte, sagte Ellrott.

Nutzen von Probiotika unsicher

Die Frage, ob Pro-, Prä- und Synbiotika tatsächlich halten, was die Werbung verspricht, konnte auch Dr. Bernhard Watzl von der Bundesforschungsanstalt für Ernährung, Karlsruhe, nicht endgültig beantworten. Allerdings ist heute zumindest der Nachweis möglich, dass sich die zusätzlichen Bakterien im Darm ansiedeln.

Heute weiß man, dass verschiedene Populationen von Mikroorganismen im Darm für die Ausbildung der systemischen Immunabwehr wichtig sind. Bei Menschen, deren Darmflora nicht optimal ist, sind die natürlichen Killerzellen weniger aktiv.

Glossar Probiotika: Milchprodukte, denen spezielle lebende Bakterienkulturen zugesetzt sind

Präbiotika: lösliche Ballaststoffe wie Inulin oder Oligofructose, die gezielt das Wachstum von Milchsäurebakterien fördern

Synbiotika: Lebensmittel, die Pro- und Präbiotika enthalten

Zur Wirkung der Pro- und Präbiotika wurden bislang nur ein paar Studien beim Menschen gemacht, mit wenig aussagekräftigen Resultaten. Auch die Tierversuche lieferten häufig widersprüchliche Ergebnisse, sagte Watzl. Zumal die Hersteller ihre neuartigen Milchprodukte nie mit herkömmlichen Joghurts verglichen haben. Bereits in den achtziger Jahren haben Wissenschaftler im Tierversuch nachgewiesen, dass klassische Milchsäurebakterien aus Joghurt das Immunsystem stimulieren. Ob es gerechtfertigt ist, die viel teureren neuen Produkte als gesünder anzupreisen, ist noch unklar.

Aber auch bei den klassischen Joghurts gibt es große Unterschiede. Einige enthalten auf Grund der Zubereitungsverfahren kaum lebensfähige Bakterien. Eigentlich müsste man die Anzahl der Mikroorganismen pro Gramm Joghurt auf die Behälter aufdrucken, forderte Watzl.

Ob Pro- und Präbiotika vor Krebs schützen, ist genausowenig geklärt wie ihre immunstimulierende Wirkung. Wie bei der Wirkung aufs Immunsystem hat man auch hier einige Hinweise, die dafür sprechen. Sicher ist, dass Probiotika bei Durchfallerkrankungen helfen und die Lactose-Toleranz erhöhen.

Campylobacter in Rohmilchkäse

Oft unterschätzt werden die Gefahren, die von mit Bakterien verseuchten Lebensmitteln ausgehen, berichtete Dr. Paul Teufel von der Bundesanstalt für Milchforschung in Kiel. Während die Infektionen mit Salmonellen in den letzten Jahren zurückgegangen sind, nahmen die Campylobacter-Infektionen stetig zu. Das Bakterium besitzt ein Toxin, das dem von Escherichia coli ähnelt und verursacht Durchfallerkrankungen. Dabei ist die Dunkelziffer hoch. Teufel rechnet mit einem Faktor 40 bis 100, mit dem man die Zahl der gemeldeten Erkrankungen multiplizieren muss, um die tatsächliche Zahl zu erhalten. Der Grund: Die Infektion verläuft oft symptomlos. Nichtsdestotrotz können diese Enteritiden auch schwer verlaufen, vor allem bei Menschen mit geschwächtem Immunsystem.

Campylobacter jejunum findet sich wie Listerien, Bacillus cereus und bestimmte pathogene E.-coli-Stämme auch in Rohmilchprodukten von Direktvermarktern. Zu Intoxikationen sei es bisher über diesen Weg noch nicht gekommen, berichtete Teufel. Allerdings gelte auch heute die Warnung der WHO, dass Risikopersonen keine Rohmilch und Rohmilchprodukte zu sich nehmen sollten. Auch Vorzugsmilch kann solche Keime enthalten.

 

Die Ergebnisse des Ernährungsberichts in Kurzform und mit praktischen Tipps: Die 44-seitige Broschüre "Essen und Trinken 2000" ist zum Preis von 6 DM (in Form eines Verrechnungsschecks) inklusive Porto und Verpackung erhältlich bei:

Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V.
Postfach 930201
60457 Frankfurt am Main.

Wen die Ergebnisse des Ernährungsberichts 2000 im Detail interessieren, der kann das 400 Seiten starke Werk im Buchhandel erstehen. Kostenpunkt: 46,20 DM, ISBN 3-921606-40-3

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