Studie zu Ginkgo-biloba-Extrakt |
19.01.1998 00:00 Uhr |
Medizin
Trotz seiner chinesischen Herkunft gilt Ginkgo biloba mittlerweile als
eine deutsche Spezialität. Wohl in keinem anderen westlichen Land wird den
medizinischen Eigenschaften der Pflanze soviel Beachtung geschenkt wie
hierzulande. Auch die meisten Studien, die eine Wirkung beweisen sollen,
stammen aus Deutschland. Sie sind nicht immer über alle Zweifel erhaben,
und Kritiker haben den Ergebnissen aufgrund mangelnder
Qualitätsstandards des Studiendesigns jegliche Glaubwürdigkeit
abgesprochen.
Jetzt erhalten die Anhänger des Naturheilmittels Unterstützung von ungewohnter
Stelle. Das amerikanische Ärztemagazin JAMA publizierte die erste in den USA
durchgeführte placebokontrollierte Doppelblindstudie mit dem
Ginkgo-biloba-Extrakt 761 (EGb 761), der identisch ist mit den in Deutschland
verwendeten Arzneimitteln. Pierre L. LeBars und Mitarbeiter vom New York
Institute for Medical Research in Tarrytown im Bundesstaat New York kommen
dabei zu dem Ergebnis, daß EGb 761 die Hirnleistung von Patienten mit leichter bis
schwerer Demenz stabilisiert und in einigen Fällen sogar verbessert.
Bei den 202 Patienten, die ein Jahr entweder EGb 761 oder Placebo einnahmen,
kam es in der Verumgruppe bei 27 Prozent zu einer Verbesserung um mindestens 4
Punkte auf der 70 Punkte umfassenden Alzheimer Disease Assessment
Scale-Cognitive Subskala (ADAS-Cog). In der Placebogruppe wurde eine
vergleichbare Verbesserung nur bei 14 Prozent der Patienten erreicht. Auf dem
"Geriatric Evaluation by Relative's Rating Instrument" (GEM), einer Einschätzung der
Pflegekräfte über Aktivität und Sozialverhalten der Patienten, kam es bei 37 Prozent
der EGb-Patienten zu einer Verbesserung gegenüber 23 Prozent in der
Placebogruppe. Nur beim dritten Parameter, der Clinical Global Impression of
Change (CGIL), in der die Ärzte ihre Einschätzungen notierten, kam es zu keiner
signifikanten Veränderung.
Die Verbesserungen wurden unabhängig von der Grundkrankheit erzielt. Patienten
mit Morbus Alzheimer profitierten ebenso wie Patienten mit Durchblutungsstörungen
oder mit einer Kombination beider Krankheiten. Die Ergebnisse bedeuten natürlich
nicht, daß Ginkgo biloba den geistigen Verfall der Patienten stoppen kann. Nach
Einschätzung der Autoren könnte Ginkgo biloba den Verlauf der Erkrankung jedoch
um etwa sechs Monate hinauszögern.
Nicht alle Zweifel an der Wirksamkeit von Ginkgo biloba sind mit der Studie
ausgeräumt. Margaret A. Winker, eine Mitherausgeberin von JAMA, merkt an, der
Wirkmechanismus sei noch unklar. Ginkgo soll antioxidative Eigenschaften haben.
Doch wie lassen sich hieraus die relativ kurzfristig auftretenden Wirkungen ableiten?
Ein Schwachpunkt der Studie sei, daß nur eine Dosierung untersucht wurde. Eine
Dosis-Wirkungs-Kurve, die ein starkes Argument für eine Wirksamkeit ist, konnte
deshalb nicht aufgezeigt werden. Außerdem war die Zahl der Studienabbrecher
relativ hoch, nur zwei von drei Patienten hielten bis zum Ende durch. Allerdings war
die Zahl der Studienabbrecher in der Placebogruppe noch höher. Es ist daher
unwahrscheinlich, daß die Untersuchung ihr positives Ergebnis erzielte, weil
Patienten mit einer Verschlechterung aus der Abschlußauswertung herausfielen.
Ganz auszuschließen ist eine Begünstigung des Ginkgo-biloba-Testes jedoch nicht.
Winker meint, vor einer endgültigen Einschätzung sollten noch weitere
Langzeiterfahrungen abgewartet werden. Der Pflanzenextrakt sei jedoch gerade
beim Morbus Alzheimer eine "interessante Bereicherung", was als mildernde
Umschreibung dafür zu verstehen ist, daß ein wirksames, den Krankheitsverlauf
stoppendes Medikament bisher fehlt.
PZ-Artikel von Rüdiger Meyer, Hannover
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