Erste große Proteinkarte veröffentlicht |
14.01.2002 00:00 Uhr |
von Stephanie Czajka, Berlin
Um Ordnung in die unübersehbare Anzahl von Genen zu bringen, gibt es Genkarten. Für Proteine der Bäckerhefe wurde jetzt in der Zeitschrift Nature die erste umfassende Proteom-Karte veröffentlicht. Anders als eine Genkarte stellt sie nicht räumliche, sondern funktionelle Zusammenhänge von Proteinen dar. Die Autoren der Studie, Mitarbeiter der Cellzome AG in Heidelberg, erläuterten ihre Ergebnisse vorab auf einer Pressekonferenz in Berlin.
Eine Raupe hat dasselbe Genom wie ein Schmetterling, ein Wurm nur rund dreimal weniger Gene als ein Mensch. Gene alleine bestimmen also weder Erscheinungsbild noch Komplexität eines Organismus. Vielmehr führten "unterschiedliche Mengen, Aktivität, Lokalisation und Interaktion der vorhandenen Protein-Spezies" zu verschiedenen Lebewesen, sagte der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Proteomforschung, Professor Dr. Friedrich Lottspeich, vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried. Vor allem an den Wechselwirkungen der Proteine sind Wissenschaftler derzeit interessiert.
Ein Protein arbeitet selten allein. Es lagert sich mit anderen zu Komplexen zusammen. Sie beeinflussen sich gegenseitig in ihrer Funktion. Die Gesamtheit der Proteine, das Proteom, hat kein konstantes Aussehen, sondern ist ständig in Bewegung. Proteine kommen und gehen wie Menschen in einer Stadt. Je nach Bedarf arbeiten sie in unterschiedlich großen Gruppen zusammen. Komplexe von bis zu einhundert Proteinen fanden die Forscher in Hefezellen. Im Durchschnitt bildeten zwölf Proteine einen Komplex.
Proteinkomplexe zu definieren war bisher nicht einfach. Es dauerte Jahre, bis die Moleküle eines Komplexes bestimmt werden konnten, sagte Dr. Peer Bork, European Molecular Biology Laboratory, Heidelberg. Bei Hefeproteinen konnten mit bisherigen Verfahren maximal 9000 Proteinwechselwirkungen, meist nur paarweise Interaktionen aufgeklärt werden. Das Verfahren der Firma Cellzome ermöglichte die Aufklärung von 24.000 Verbindungen. Dazu wurden 600 der rund 6000 Hefeproteine mit einer Art Angelhaken versehen. In die Gene dieser Proteine wurde eine Sequenz von 200 Basenpaaren eingefügt, die die Funktion der Genprodukte nicht beeinträchtigt, aber die Erkennung durch einen Antikörper ermöglicht. Mit Hilfe des Antikörpers wurde der Komplex um das markierte Protein herausgefischt. Haken und Antikörper wurden danach wieder entfernt. Das Verfahren der Firma Cellzome ermöglicht dies unter besonders schonenden, physiologischen Bedingungen direkt aus der Zelle.
Mit Hilfe dieser 600 markierten Startproteine wurden 232 Komplexe aus 1440 Proteinen definiert. In einer ersten Karte wurden die einzelnen Proteine eines Komplexes gruppiert. In einer zweiten Karte wurden nicht einzelne Proteine, sondern ganze Komplexe dargestellt. Komplexe gleicher Funktion erhielten die gleiche Farbe, banden sie an die gleichen Proteine, wurden sie miteinander verbunden. Wie in der menschlichen Gemeinschaft gab es auch unter den Proteinkomplexen solche mit mehr und weniger Sozialkontakten. Überraschend war, so Dr. Giulio Superti-Furga, Vizepräsident der Cellzome AG, dass fast 90 Prozent aller Proteine im Verband gebunden sind und 40 Prozent in mehr als einem Komplex auftauchen.
Protein-Schnappschuss
Diese Art der Kartierung ist nur ein erster Schritt, um Ordnung in die Welt der Proteine zu bringen. Haben zwei Komplexe die gleichen Partner, bedeutet das noch nicht, dass sie die gleiche Funktion haben, betonte Dr. Giulio Superti-Furga, Vizepräsident der Cellzome AG. Es signalisiere dem Forscher nur "pass auf, es gibt einen Zusammenhang". Sahen bislang zwei Proteine so unterschiedlich aus wie Fenster und Baum, reduziert sich mit Hilfe der Karte der Unterschied vielleicht auf den zwischen Lastwagen und Auto. War die Funktion eines Proteins bis dahin unbekannt, so gibt es nun über seine Komplexzugehörigkeit immerhin einen Hinweis. Wie die Bindungen in den Komplexen im einzelnen aussehen, ist noch unbekannt.
Die jetzige Karte ist nur eine Momentaufnahme unter gleichbleibenden Wachstumsbedingungen. Bei pathologischen Zuständen oder unter Gabe von Arzneimitteln wird sich das Bild verändern. Die Wissenschaftler erhalten so neue Erkenntnisse über potenzielle Zielstrukturen für neue Arzneimittel, aber auch über die Ursachen von Nebenwirkungen.
Der Weg von der Hefe zum Menschen ist nicht allzu weit. Rund ein Drittel der Hefeproteine ist menschlichen Proteinen sehr ähnlich. In der Cellzome AG wird aber auch schon an menschlichen Zellen mit dem Ziel gearbeitet, den molekularen Kontext solcher Proteine zu bestimmen, die bei chronisch degenerativen Erkrankungen eine Rolle spielen.
Deutschland ist in der Proteom-Forschung insgesamt konkurrenzfähig, so
Lottspeich. In der Proteinchemie seien die Deutschen traditionell stark, es gebe
keine emotionalen Ressentiments wie gegen die Gentechnik und schneller Erfolg,
wie er in den USA wichtig sei, ist seltener. Das Bundesforschungsministerium hat
insgesamt 125 Millionen Euro für Proteomprojekte zur Verfügung gestellt.
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