Vielseitige Killer aus der Zellkultur |
31.12.2001 00:00 Uhr |
von Ulrike Wagner, Frankfurt am Main
Seit etwa 20 Jahren arbeiten Forscher an Strategien, das körpereigene Immunsystem beim Kampf gegen Krebs einzusetzen. Die so genannte Immuntherapie soll Chirurgie, Bestrahlung und Chemotherapie keineswegs ablösen, aber die etablierten Behandlungsstrategien als vierte Komponente unterstützen. Theoretische Grundlage der Immuntherapie sind Spontanheilungen, die Wissenschaftler bei bestimmten Tumorarten immer wieder beobachten. Sie vermuten, dass das Immunsystem dieser Patienten die Tumorzellen erkennt und eliminiert.
Wahrscheinlich entstehen bei jedem Mensch im Laufe des Lebens immer wieder entartete Zellen. Dass nicht jede dieser Zellen zu einer Krebserkrankung führt, verdanken wir hauptsächlich unserem Immunsystem, erklärte Dr. Torsten Tonn vom Institut für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie in Frankfurt am Main. Er stellte am 3. Januar Blutzellen als Verbündete im Kampf gegen Krebs vor - während der Vortragsreihe des DRK-Blutspendedienstes, die die Ausstellung "Blut - Perspektiven der Kunst, Macht, Politik und Pathologie" (siehe auch hier) begleitet.
Die Tumoren, an denen die Patienten letztlich sterben, umgehen die immunologischen Erkennungsmechanismen erfolgreich. Kein Wunder, schließlich leiten sie sich von körpereigenen Zellen ab, und das Immunsystem hat während seiner Entwicklung gelernt, körpereigene Zellen zu tolerieren. Daher können Krebszellen auch immer nur schwach immunogen wirken - im Gegensatz zu körperfremden Bakterien und Viren, die aus ganz anderen Eiweißen zusammengesetzt sind als der Mensch. Oft fehlt es zudem an zusätzlichen Signalen, die die T-Zellen benötigen, um entartete Zellen zu vernichten. Manchmal wächst der Tumor auch einfach zu schnell, als dass die Immunabwehr eingreifen könnte.
Natürliche Killerzellen
Eine Strategie, das Immunsystem auf vagabundierende Krebszellen aufmerksam zu machen, entwickeln Tonn und seine Mitarbeiter in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern des Georg-Speyer-Hauses, Frankfurt am Main. Sie verwenden dafür natürliche Killerzellen, die sie in Zellkultur züchten.
Natürliche Killerzellen gehören zu den weißen Blutkörperchen, genauer zu den Lymphozyten. Sie sind verantwortlich für die erste Welle der körpereigenen Abwehr und töten mit der Freisetzung bestimmter Substanzen wie Perforine und Granzyme virusinfizierte und entartete Zellen. Wichtig für die Anwendung: Die Zellen wirken unabhängig von den für jeden Menschen spezifischen Oberflächenantigenen. Sie können bei jedem Patienten eingesetzt werden und ihre Anwendung wäre zumindest theoretisch finanziell erschwinglich. Damit unterscheiden sie sich von T-Zellen, die wegen ihrer gewebespezifischen Erkennungsmechanismen für jeden einzelnen Patienten separat hergestellt werden müssen, um in der Krebstherapie eingesetzt zu werden.
Was die natürlichen Killerzellen letztlich genau erkennen, um schließlich infizierte Zellen und Tumorzellen abzutöten, wissen auch die Forscher bis heute nicht, erklärte Tonn. Allerdings kennt man bereits Kontrollmechanismen, die verhindern, dass eine solche Zelle aktiv wird. Auf ihrer Oberfläche trägt sie neben dem die tödlichen Mechanismen auslösenden "Killer Activating Receptor" einen "Killer Inhibitory Receptor". Die Zelle tritt letztlich nur in Aktion, wenn eine Struktur - zum Beispiel ein Virusprotein auf einer infizierten Zelle - an den "Killer Activating Receptor" bindet. Dockt aber gleichzeitig ein Oberflächenprotein an den Killer Inhibitory Receptor, so wird die Zelle verschont. Da viele Tumorzellen über ein solches Oberflächenmolekül verfügen, entgehen sie den natürlichen Killerzellen.
Neue Zelllinie mit überzeugenden Ergebnissen
Die Frankfurter Wissenschaftler haben nun eine Zelllinie natürlicher Killerzellen entwickelt, die keinen hemmenden Rezeptor mehr hat und hoffen, so Tumorzellen abzutöten, die der Immunabwehr ansonsten entgehen. Präklinische Versuche zeigten vor allem in Kombination mit dem Botenstoff Interleukin-2, den die natürlichen Killerzellen benötigen, überzeugende Ergebnisse. Erste klinische Studien haben belegt, dass die Zellen gut verträglich sind, erklärte Tonn.
Um die Spezifität der Zellen zu erhöhen, veränderten die Wissenschaftler sie zusätzlich. Sie stellten natürliche Killerzellen mit einem Rezeptor her, der das für besonders aggressive Tumoren typische Oberflächenantigen ErbB2 (HER2/neu) erkennt. In vitro zeigten diese Zellen gute Aktivität gegenüber menschlichen Tumorzellen. Weitere Studien müssen zeigen, ob die so veränderten Zellen für die Therapie von Menschen geeignet sind.
Damit ist das Anwendungsspektrum der natürlichen Killer aus der Petrischale jedoch noch nicht erschöpft, die Wissenschaftler arbeiten an weiteren Verwendungsmöglichkeiten. Die Zellen sollen in Zukunft zum Beispiel bei Patienten mit akuter Leukämie eingesetzt werden. Wenn die Ärzte für diese Patienten keinen Fremdspender finden, bleibt letztlich nach aggressiver Chemotherapie und Bestrahlung nur die Transplantation des eigenen Knochenmarks, das vor der Prozedur isoliert wurde. Das Problem: Gerade bei Blutkrebs ist es sehr wahrscheinlich, dass sich unter den blutbildenden Zellen des Knochenmarks auch Tumorzellen befinden. Die Frankfurter Wissenschaftler wollen in einer von der José-Carreras-Stiftung unterstützten Studie nun zu dem patienteneigenen Knochenmark ihre natürlichen Killerzellen geben, die den Tumorzellen darin den Garaus machen sollen. Andere Studien haben bereits belegt, dass diese Vorgehensweise die Zahl der Tumorzellen im Knochenmark ausreichend reduziert, um es dem Patienten zu implantieren.
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