Blutrausch |
10.12.2001 00:00 Uhr |
von Ulrike Abel-Wanek, Frankfurt
Hier sickert, fließt, stürzt und tropft es aus allen Wunden. Das Frankfurter Museum für angewandte Kunst (MAK) und die Ausstellungshalle Schirn widmen einem ebenso mystischen wie medizinischen Stoff eine große Ausstellung. Blut: Perspektiven der Kunst, Macht, Politik und Pathologie führt durch die Kulturgeschichte von den Mayas bis heute. Blut spielt die zentrale Rolle - von der Magie bis zur Wissenschaft.
Papst Innozenz VIII, 1492 dem Tode nahe, erhielt von seinem Leibarzt "unschuldiges", frisches Blut von zwei zehnjährigen Jungen. Es sollte den 60-Jährigen stärken, ihm wieder neues Leben einflößen. Weder der Papst noch die Kinder überlebten das Verjüngungsexperiment. Auch spätere Versuche mit Tierblut hatten ähnlich fatale Folgen. Konsequenz: Die "Bluttransfusion" wurde wegen mangelnder Erfolgsaussichten zunächst ganz aus der ärztlichen Praxis verbannt.
"Blut ist eines der kraftvollsten und allgegenwärtigsten menschlichen Symbole. Es steht für das Leben wie für den Tod, für Gesundheit wie für Krankheit, für Kraft wie für Kraftlosigkeit", so der Ausstellungsmacher und MAK-Leiter, James M. Bradburne.
Blut ist immer im Spiel, ein Leben lang. Seine emotionale, soziale, kulturelle und wissenschaftliche Bedeutung machen den Lebenssaft zum Thema der interdisziplinären, vierteiligen Ausstellung. Die Kapitel "Blut und Opferung", "Blut und Erlösung", Blut und Dynastie" sowie "Blut und Pathologie" zeigen Manuskripte, Kupferstiche, Gemälde, Videoinstallationen und Performances. Die Fülle des Materials machte die Beschränkung auf die abendländische Zivilisation notwendig - mit einer Ausnahme: Der Rundgang beginnt in einem "Tempel" der Mayas mit Exponaten ihres Blutopfer-Kults. Das hoch entwickelte Volk mit großartigen Leistungen auf den Gebieten von Kunst und Wissenschaften, der Architektur und des Schrifttums war nach westlicher Vorstellung nicht zimperlich bei seinen Opfer-Ritualen. Hier floss nicht nur eigenes Blut, sondern auch das Tausender Gefangener, die bei lebendigem Leib das Herz herausgerissen bekamen, um es den Göttern darzubringen, sie gnädig zu stimmen und so für einen reibungslosen Ablauf irdischen Lebens zu sorgen.
Opfer, Blut, Erlösung
Nicht zahlreiche Menschenopfer, sondern die einzigartige Opferung Jesu als göttlicher Akt steht im Mittelpunkt von Teil 2 der Ausstellung: Blut und Erlösung. Die heilige Katharina von Siena trinkt hier das göttliche Blut nicht nur aus dem Kelch, sondern, als Zeichen des "Einswerdens" mit Christus, direkt aus seiner Wunde. Die Verherrlichung des Blutes Christi prägt die christliche Ikonographie und die westliche Kunst. Die Gemälde, Zeichnungen, Kupferstiche und lithurgischen Geräte aus dem 12. bis 18. Jahrhundert dokumentieren die zentrale Bedeutung des Blutes in der christlichen Messe. Weinpressen und -stöcke illustrieren zum Teil plakativ den Glauben, dass das Blut Christi tatsächlich Bestandteil des Weins ist, den die Sünder bei der Kommunion trinken.
Zwischen Mystik und Symbolik der schönen Künste gibt die Ausstellung immer wieder Einblicke in frühe Beobachtungen und Vorstellungen über die Natur des Menschen. Handschriftlich verfasste und illustrierte medizinische Handbücher aus dem Mittelalter enthalten Kapitel über Medikamente und pflanzliche Heilmittel, die zum Beispiel auf eine Enzyklopädie von Plinius dem Älteren (23 bis 79 nach Christus) zurückgehen.
Galens Arbeiten über die vier Körpersäfte beziehungsweise Temperamente (Sanguiniker, Choleriker, Melancholiker, Phlegmatiker) aus dem zweiten Jahrhundert nach Christus waren noch im Mittelalter die Grundlage für den regelmäßigen Aderlass, der die Reinheit des Blutes garantierte und als probates Mittel gegen gefährliche Krankheiten galt.
Dass das Herz die treibende Kraft des Organismus ist, wusste man bis zur Renaissance noch nicht. Galen verglich das Herz noch mit einer Lampe, die vom öligen Treibstoff der Leber gespeist wird. Erst William Harvey entwickelte im 16. Jahrhundert die erste Theorie über den Blutkreislauf. Eine Illustration seines revolutionären Experiments ist in der Ausstellung zu sehen.
Blaues Blut
Um die Reinheit des Blutes ging es auch den Habsburgern mit einer bis an die Grenze zum Inzest reichenden Heiratspolitik. Die Cousinen-Ehen festigten die Beziehungen ebenbürtiger Dynastien, sicherten Frieden und Macht. Heiratswillige "Newcomer" waren nicht gefragt unter den Mitgliedern ausgewählter Fürstenfamilien, die von Generation zu Generation immer enger verwandt wurden. Die exklusive Weitergabe des Blutes hatte ihren Preis: Eine Parade sich ähnelnder, "hängelippiger" Habsburger mit starkem Kinn, denen man den Hang zu Melancholie und Wahnsinn ansieht, blickt von großformatigen Ölbildern in Teil 3 der Ausstellung "Blut und Dynastie" herab. Das gleiche Machtkalkül war die Ursache des von Hämophilie gebeutelten Zarengeschlechts Romanow: Zu sehen ist der Thronfolger Zarewitsch auf einem Dreirad, das ihn vor Stürzen, Verletzungen und Verbluten schützen sollte. Genützt hat es ihm am Ende wenig.
Mit den Fortschritten der Medizin erkannte man, dass Blut auch Krankheiten übertragen kann: Syphilis, schon 1492 kurz nach der Entdeckung Amerikas nach Europa eingeschleppt, Hepatitis, Malaria und seit einigen Jahrzehnten Aids. Die lebensspendenden, aber gleichzeitig auch lebensbedrohlichen Aspekte von Blut kommen im vierten Teil der Ausstellung zum Ausdruck. "Blut und Pathologie" zeigt die Rolle des Lebenssaftes in der Umsetzung zeitgenössischer Kunst. Der Körper selbst steht hier im Mittelpunkt von Aktionen, seine Verletzlichkeit und die Zerstörung seiner Integrität. Blut spritzt über die Leinwand bei Aktionen mit Tierkadavern des Wieners Hermann Nitsch oder tropft von der Haut der Performance-Künstlerin Marina Abramovic. Klar, dass auch Oliviero Toscaninis umstrittene Benetton-Werbekampagnen mit Aids-Patienten und blutbefleckten Uniformen nicht fehlen.
Die Ausstellung schließt sich einer Folge interdisziplinärer Ausstellungen der letzten Jahre an, die mit Zusammenstellungen von Exponaten aus den Bereichen der schönen Künste, der angewandten Kunst, der Wissenschaft und der Technologie Denkanstöße geben wollten, so die Ausstellungsmacher im Vorwort. "Die irrationale Kraft des Blutes ist durch die Entdeckungen der Wissenschaft nicht gezähmt worden. Blut ist überall - in den Galerien, auf der Bühne, in den Nachrichten, auf dem Boden. Blut bleibt eine gefährliche, beunruhigende und unkontrollierbare Substanz."
Die Ausstellung "Blut: Perspektiven der Kunst, Macht, Politik und Pathologie" ist noch bis zum 27. Januar 2002 in Frankfurt zu sehen
mak.frankfurt
Schaumainkai 17
60594 Frankfurt am Main
Telefon (069) 212-3 40 37
Schirn Kunsthalle
Römerberg
60311 Frankfurt am Main
Telefon (069) 29 98 82 0
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