Speise der Götter |
01.12.2003 00:00 Uhr |
Jeder Deutsche isst durchschnittlich 8,2 Kilogramm Schokolade pro Jahr. Die süße braune Masse macht glücklich - leider auch dick - und ist so beliebt, dass eine halbe Million Menschen jährlich das Kölner Schokoladenmuseum besuchen. Die außergewöhnliche Ausstellung zeigt 3000 Jahre Kulturgeschichte von Kakao und Schokolade und gehört zu den zehn meistbesuchten Sammlungen hier zu Lande.
In diesem Museum riecht es gut – auf allen drei Ausstellungsebenen. Der Rundgang beginnt gleich gegenüber dem Tropenhaus mit Einblicken in die Botanik. Es war der schwedische Naturforscher Carl von Linné (1707 bis 1778), der den Kakaobaum mit der aus dem Griechischen stammenden Wortverbindung „Theobroma“ bezeichnete: Götterspeise. Ein zutreffender Name, wenn man den Siegeszug des Kakaos durch die Jahrhunderte hindurch betrachtet.
Schokolade ist schon seit 3000 Jahren bekannt. Ursprünglich im Amazonasgebiet angesiedelt, gelangten die Samen des Kakaobaums vermutlich durch Vögel nach Mittelamerika. Hier waren es die Olmeken etwa 1000 vor Christus, die als erstes Kulturvolk den Kakao als Wildpflanze nutzten. Kultiviert wurde der zur Gruppe der malvenartigen Gewächse gehörende kleine Baum erst später von den Mayavölkern, die Plantagen anlegten und den Kakao auf die aztekischen Märkte brachten. Um die Bohnen des Kakaobaumes entstand ein mystischer Kult. Sie wurden als Stimulans und zur Herstellung von Arzneien verwendet. Außerdem galten sie als Zahlungsmittel: Rund 100 Stück musste man für einen männlichen Sklaven ausgeben. Auch als Schokoladengetränk war Kakao schon bekannt. Als Christoph Kolumbus 1502 auf seiner letzten „Indienreise“ der braunen, damals noch kalten Brühe begegnete, wusste er damit jedoch noch nicht viel anzufangen. Zu bitter und mit Chili und Pfeffer zu stark gewürzt entsprach der „xocoatl“ (xoco: herb, atl: Wasser) nicht dem Geschmack der Europäer. Erst 25 Jahre später kam die kostbare tropische Frucht mit dem Spanier Hernán Cortés nach Europa. Mit Zucker und anderen Ingredienzien wurde die jetzt heiß getrunkene „chocolate“ zuerst an den Königshöfen, später bei allen wohlhabenden Bevölkerungsschichten große Mode. Auch Napoleon, Goethe und Casanova waren leidenschaftliche Schokoladengenießer. Bis Ende des 18. Jahrhunderts wurde Schokolade nur in Apotheken verkauft. Ihr Preis lag noch über dem von Tee und Kaffee.
Schokolade in der Medizin
Die Kakaobohne erregte sehr bald die Aufmerksamkeit der europäischen Alchemisten und Mediziner. Das Museum widmet diesem Thema eine eigene Abteilung. „Durch den täglichen Genuss von Schokolade wird die Gesundheit wieder hergestellt und das Leben verlängert“, wird ein Arzt aus dem 17. Jahrhundert hier zitiert. Zunächst galt die Beschaffenheit des Kakaos als nicht zuträglich. In zahllosen Doktorarbeiten stritten die Autoren über sein Für und Wider, über die Häufigkeit des Verzehrs und eventuelle Komplikationen.
Heftige Debatten lieferten sie sich über mögliche Heilwirkungen der Kombination von Kakao mit verschiedenen Aromastoffen und Gewürzen. Die gebräuchlichsten Zutaten gegen Zipperlein aller Art waren Zucker, Zimt, Vanille, Pfeffer, Moschus, Nüsse und grauer Amber, ein Stoffwechselprodukt des Pottwals, das zum Beispiel bei Schock, Schwindel und Ohnmacht verabreicht wurde. Die Kakao-Medikamente etablierten sich nach und nach als willkommene Alternative zu den unangenehmen Torturen wie Aderlass, Schröpfkuren und dem Setzen von Blutegeln.
Naschen auf Rezept
Die verschiedenen Schokoladenprodukte aus den Apotheken sollten Müdigkeit vertreiben, den Husten lindern und gegen Verdauungsbeschwerden und Schwindsucht helfen. Der therapeutische Einsatz basierte jedoch hauptsächlich auf der stärkenden Wirkung des Kakaos durch die hohe Kalorienmenge. Bis zu 58 Prozent Kakaobutter befinden sich in einer Bohne. Erste ernährungswissenschaftliche Untersuchungen des Kakaos Mitte des 19. Jahrhunderts zeigten außerdem den hohen Gehalt an Proteinen und Kohlenhydraten. Der außergewöhnliche Nährwert, den auch schon der Forschungsreisende Humboldt erkannt hatte, förderte den Stellenwert der Schokolade in Gesundheitsfragen erheblich. Angesichts der von Mangel und Misere geprägten Ernährungssituation einfacher Bevölkerungsschichten wurde sie zu einem begehrten Stärkungsmittel, das ohne teure Arztkonsultationen erworben werden konnte. Den so genannten „Sanitätsschokoladen“ wurden häufig fragwürdige Inhaltsstoffe wie Hühnerbrühe, rohes Fleisch, Eisenspäne und sogar hoch giftiges Quecksilber gegen Syphilis zugesetzt. Man kann von Glück sagen, dass der zunehmende medizinische Fortschritt die „Gesundheitsschokoladen“ für Apotheker und Verbraucher allmählich uninteressanter machten.
Bis zur industriellen Revolution blieb die Schokolade als Genussmittel – immer noch in flüssiger Form – den Wohlhabenden vorbehalten. Die Ausweitung der Kakaoanbaugebiete und neue Maschinen, die mit Dampfkraft betrieben wurden, läuteten schließlich den Erfolg der europäischen Schokoladenproduktion ein. Von entscheidender Bedeutung war die Erfindung des holländischen Chemikers van Houten. Seine Kakaobutterpresse ebnete nicht nur den Weg für die Herstellung großer Mengen Schokolade für breite Bevölkerungskreise, sie verbesserte auch die Schokoladenqualität und schaffte die Voraussetzung für die heute so beliebten, in Form gegossenen Tafeln.
Wie Täfelchen, Nikoläuse und Trüffelpralinen hergestellt werden, erfährt der Besucher des Museums beim Gang durch die Miniaturproduktion von der Kakaobohne bis zur Einwickelmaschine. Sehr zu empfehlen: ein kurzer Verpflegungsstopp beim Schokoladenbrunnen, wo Mitarbeiterinnen des Hauses in Schokolade getränkte Waffeln reichen.
Die süße Sucht
Der Griff zum Schokolebkuchen im Winter scheint begründet. In der dunklen Jahreszeit fällt der Serotoninspiegel, umgangssprachlich als „Glückshormon“ bezeichnet, im Blut ab. Die mögliche Folge: schlechte Laune. Durch das Essen kohlenhydratreicher Schokolade wird Insulin ausgeschüttet, der Serotoninspiegel steigt wieder an und die gute Stimmung kommt – im besten Fall - zurück.
Im Extremfall kann der Griff zur Schokolade jedoch zwanghaft werden. Es gibt Berichte über den Konsum von zehn und mehr Tafeln pro Tag. Der Blick auf einige Inhaltsstoffe ließe ein Suchtpotenzial durchaus vermuten.
Sie enthält beispielsweise Anandamid, das eine ähnliche Wirkung wie das Tetrahydrocannabinol (THC) der Hanfpflanze hat. Es wird auch vom Körper selbst produziert. Seine Freisetzung steigert das Wohlbefinden. Analysen von Kakaopulver- und Schokoladenproben verschiedener Hersteller ergaben jedoch viel zu geringe Mengen für eine mögliche Suchtgefahr. Etwa 20 Kilogramm Vollmilchschokolade wären nötig, um auch nur eine annähernd berauschende Wirkung zu erzielen.
Weitere psychoaktive Substanzen von Schokolade sind Theobromin und Koffein. Außerdem enthält Schokolade wie andere Lebensmittel auch, biogene Amine, die den Blutdruck steigern und die Gehirnfunktionen sowie das psychische Befinden beeinflussen. Phenylethylamin soll beispielsweise gemütsaufhellend wirken. Allerdings enthält auch Käse viel von diesem „Glücksbringer“ – von einer Käsesucht ist bisher jedoch nichts bekannt.
Ob nun die Inhaltsstoffe oder einfach nur der köstliche Geschmack die „Schokoladensucht“ auslösen, wird noch zu klären sein. Genuss und Sucht sind oft eng miteinander verknüpft. Jeder gönnt sich gerne mal etwas, um sich zu belohnen, um auf andere Gedanken zu kommen oder mit einem Problem besser fertig zu werden. Funktioniert diese „Ersatzbefriedigung“ immer wieder, kann auch das schon eine Form von süchtigem Verhalten werden.
Letztendlich entscheidet die Menge, wie gesund oder schädlich Schokolade ist. Bei Theobromin ist beispielsweise erst ab etwa 400 Milligramm pro Kilo Körpergewicht mit einer toxischen Reaktion zu rechnen. Bei 200 Milligramm in einer Vollmilchtafel heißt das für einen 60 Kilo schweren Menschen, auf keinen Fall mehr als 120 Tafeln auf einmal zu essen.
Imhoff-Stollwerk-Museum
Museum für Geschichte und Gegenwart der Schokolade
Rheinauhafen 1a
50678 Köln
Telefon (02 21) 93 18 88 - 0
Öffnungszeiten:
Di. bis Fr. 10 bis 18 Uhr
Sa. , So. und feiertags 11 bis 19 Uhr
www.schokoladenmuseum.de
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E-Mail: redaktion@govi.de