Apotheker, technischer und theoretischer Chemiker |
02.12.2002 00:00 Uhr |
von Bernard Unterhalt, Marburg
Ein ideenreicher Chemiker mit zeitweiligem Apothekenbesitz ist Richard August Carl Emil Erlenmeyer. 1880 formulierte er die nach ihm benannte Regel, nach der im Allgemeinen Verbindungen mit zwei oder drei OH-Gruppen an einem C-Atom instabil sind. Vorher war er an der Konstitutionsaufklärung des Eugenols beteiligt und beschäftigte sich mit dem Tyrosin, dessen Synthese 1882 gelang. Er entwickelte einen mit Leuchtgas beheizbaren Verbrennungs- und Schießofen und fand schließlich den bekannten Kolben sowie das Asbestnetz.
Erlenmeyer war der Sohn eines evangelischen Dekans und stammte aus einer kinderreichen Familie mit vier Schwestern und drei Brüdern. Vom 10. Lebensjahr an besuchte er das Pädagogium in Wiesbaden und bestand 1845 am Gymnasium in Weilbach die Reifeprüfung. Nach dem Beginn des Medizinstudiums in Gießen gelangte er unter Justus von Liebigs Einfluss zur Chemie, deren Studium er 1846 in Heidelberg fortsetzte. Ein Jahr später erhielt er bei Heinrich Will in Gießen eine Assistentenstelle, war kurze Zeit bei Carl Remigius Fresenius in Wiesbaden Assistent und legte in Nassau das pharmazeutische Staatsexamen ab. 1849 kaufte er in Katzenelnbogen eine Apotheke, die er ein Jahr später schon wieder veräußerte. In demselben Jahr wurde er von Justus von Liebig in Gießen promoviert und erwarb nun eine Apotheke in Wiesbaden. Daneben gab Erlenmeyer Chemieunterricht an der Wiesbadener Handels- und Gewerbeschule. Sein Versuch, die Apotheke zu einem Chemiebetrieb zu erweitern, scheiterte. 1855 verkaufte er diese, zog nach Heidelberg und richtete in der Karpfengasse 6 ein kleines Untersuchungslabor ein.
Nach seiner Habilitation für Technologie mit dem Thema “Über die Darstellung des unter dem Namen Superphosphat bekannten künstlichen Düngers“ wurde er am 1. Mai 1857 Privatdozent. Die Universität ernannte ihn 1863 zum außerordentlichen Professor. Neben seinen Vorlesungen über organische Experimentalchemie unter besonderer Berücksichtigung von Medizin und Pharmazie hielt er pharmazeutisch-chemische Praktika ab. 1868 folgte er dem Ruf an die neu errichtete Polytechnische Hochschule (TH) in München, war 1877 bis 1880 deren Direktor und ließ sich 1883 aus gesundheitlichen Gründen pensionieren. Er übersiedelte nach Frankfurt (Main), zog 1885 nach Wiesbaden und ein Jahr später wieder nach Frankfurt. Inzwischen war er in die Beraterfirma seines Schülers Belli in Frankfurt eingetreten und forschte unter anderem für die Firma Casella. Seit 1893 lebte Erlenmeyer in Aschaffenburg und arbeitete bis 1897 im Labor der dortigen Forsthochschule.
Am 14. März 1901 erhielt er von der philosophischen Fakultät der Universität Gießen das goldene Doktordiplom als Forscher „qui experimentis et usu plurimum contulit ad probandam doctrinam structurae“, zum 80. Geburtstag Ehrendoktorwürden der TH München und der Universität Heidelberg.
Studienreisen hatten Erlenmeyer nach Frankreich und England geführt. Auf diesen freundete er sich mit August Kekulé von Stradonitz an, der sich auch in Heidelberg habilitierte. Bedeutende russische Gelehrte, unter anderem Alexander P. Borodin und Vladimir V. Markovnikov, arbeiteten in seinem Labor, befreundet war er mit Alexander M. Butlerov, gut bekannt mit Dimitri I. Mendeleev und Nikolaj N. Zinin.
Erlenmeyer war eine sympathische Erscheinung und galt als anregender, humorvoller Plauderer. Sein Vortrag schien nicht gerade fließend, wirkte aber durch Lebhaftigkeit und Begeisterung äußerst fesselnd. Sein Sohn, Friedrich Gustav Carl Emil (1864 bis 1921), setzte die Zimtsäure-Arbeiten seines Vaters fort.
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Lebensdaten
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