Behring setzte auf das richtige Pferd |
08.10.2001 00:00 Uhr |
von Elke Wolf, Rödermark
Es gibt nicht viele Pharmaunternehmen, die von einem Nobelpreisträger gegründet wurden, heißt es in der Firmenbroschüre. In der Tat: Es gibt nur eines, nämlich die Behringwerke in Marburg, die seit 1996 unter dem Namen Chiron Behring firmieren. Emil von Behring hat es verstanden, neben der wissenschaftlichen Basisforschung die gewonnenen Erkenntnisse in eine industrielle Fertigung umzusetzen. In diesen Tagen jährt sich sein Medizinnobelpreis zum hundertsten Mal.
"Emil von Behring war gleichermaßen genialer Forscher, pragmatisch denkender Arzt und Unternehmer mit gesellschaftlichem Verantwortungsbewusstsein. Bereits vor 100 Jahren begründete er gemeinsam mit anderen Top-Wissenschaftlern die neue biologische Disziplin der Immunologie und legte mit seinen Visionen den Grundstein für die heutige Biotechnologie", würdigte Professor Dr. Ernst-Ludwig Winnacker, Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, das Werk Behrings bei der Feierstunde in Frankfurt anlässlich des Jubiläums. Behring erhielt den höchst dotierten Wissenschaftspreis für seine Erfolge im Kampf gegen die Diphtherie - einer Krankheit, die damals etwa jedem zweiten Kind eines Geburtsjahrgangs das Leben kostete.
1881, neun Jahre vor seiner bahnbrechenden Veröffentlichung über die Behandlungsmöglichkeiten der Diphtherie, tauchte in einer ersten Abhandlung die These auf, ob nicht neben der äußeren Desinfektion auch eine innere erfolgreich sein könnte. Behring schwebte vor, den Körper einer Art Konservierung zu unterziehen, damit er gegen Bakterien gefeit ist. Wenige Jahre später erkannte er, dass sich bei der Diphtherie die Bakterien gar nicht im befallenen Organismus ausbreiten, sondern die Beschwerden auf eine Intoxikation mit einem giftigen Stoffwechselprodukt der Diphtherie-Bazillen zurückgehen. Alle chemischen Substanzen, an die 100 werden es gewesen sein, die er testete, konnten die Bakterien nicht eindämmen.
Erst 1889 kam er einen Schritt voran. Da wurde er an das Hygienische Institut der Universität Berlin, die "Hochburg der Mikrobenjäger", berufen. Leiter war Robert Koch. Mit dem Japaner Shibasaburo Kitasato machte er bei Studien über die Desinfektion von Bakterien und deren Unschädlichmachung im tierischen Körper eine interessante Entdeckung. Das Blut von Tieren, die gegen Diphtherie und Tetanus immun waren, eignete sich dazu, nicht-immune Tiere dennoch zu immunisieren, da sie einen rätselhaften Schutzstoff, das Antitoxin, in sich tragen. Diese Erkenntnis wurde 1890 in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift veröffentlicht - eine Arbeit, die Aufsehen erregte. War sie doch der Schlüssel für die spätere Entwicklung des Diphtherie-Heilserums.
Siegeszug der Serumtherapie
Behring wurde dazu gedrängt, die neue Heilkraft zu erklären. Nur so konnte er die wissenschaftliche Anerkennung seiner Arbeit erhalten. Die Idee der Serumtherapie passte nicht zu der gerade entwickelten Lehre der Phagozytose von Metschnikoff, und die Zellenlehre Virchows hatte gerade über veraltete humorale Anschauungen gesiegt. Zudem musste Behring herausfinden, welche Versuchstiere am geeignetsten sind, um möglichst viel antitoxisches Serum zu gewinnen. Es lag auf der Hand, dass Kaninchen und Meerschweinchen viel zu wenig produzieren konnten, um ausreichende Mengen für die kranken Menschen zu gewinnen. Er arbeitete zunächst mit Hunden, Schafen und Ziegen. Erst als er Pferde mit abgeschwächten Diphtherie-Erregern impfte, konnte er den Bedarf einigermaßen stillen. Er stellte die ersten Diphtherie-Heilseren her, die den Ärzten zur klinischen Prüfung überlassen wurden. Und der Erfolg gab Behring Recht. Die Sterblichkeitsrate für Diphtherie ging in dieser Zeit bei rechtzeitigem Einsatz des neuen Serums erheblich zurück.
Allerdings mussten Behring und seine Mitarbeiter auch Rückschläge einstecken. Nicht immer hatte das Antitoxin die nötige Stärke, um die Heilung einzuleiten. Was fehlte: eine aufschlussreiche Wirksamkeitsprüfung. Einer Empfehlung seines Freundes Paul Ehrlich folgend, schaffte Berhing auch hier 1894 den Durchbruch. Ehrlich hatte Behring vorgeschlagen, "die Frage der Immunität in einer mathematischen Weise zu behandeln". In die Tat umgesetzt, erreichte Behring eine Diphtherie-Heilungsrate von rund 75 Prozent.
Als Behrings Arbeitsstätte den gesteigerten Anforderungen der Serumherstellung nicht mehr gewachsen war, trat er auf Rat seines Mentors, des Ministerialdirektors Friedrich Althoff, mit den Farbwerken Hoechst in Verbindung. Es war der Initiative des Chemikers August Laubenheimer und des Aufsichtsratsvorsitzenden Eugen Lucius zu verdanken, dass die Herstellung des Diphtherieserums schon nach kurzer Zeit in der bakteriologischen Abteilung der Farbwerke in großem Umfang erfolgte. Diese Erfolge erzielten weltweit Aufsehen. Behring erhielt 1901 den ersten Nobelpreis für Medizin und wurde in den Adelsstand erhoben.
Eigenwillige Persönlichkeit
Die Zusammenarbeit mit den Höchster Farbwerken, die anfangs sehr harmonisch verlief, wurde durch die eigenwillige starke Persönlichkeit Behrings und das stärkere Verfolgen der Tuberkuloseforschung zusehends getrübt. Im Jahr 1903 kam es zum Bruch zwischen Behring und Hoechst. Mit dem Preisgeld der Nobel-Stiftung, 150.800 Schwedenkronen (2 Millionen DM), gründete er das "Behringwerk, Marburg Lahn", als dessen Gründungsdatum der 1. November 1904 gilt.
Behring forschte weiter. Denn die Wirkung der Heilseren war stark vom
Zeitpunkt der Gabe abhängig. Je früher die erkrankten Kinder mit Serum
versorgt wurden, desto größer deren Heilungschancen. Behring hatte die
Idee, dass der Mensch nur dann wirklich gegen die Diphtherie gefeit ist,
wenn er die schützenden Antikörper bereits in sich trägt, bevor es zu
einer Infektion kommt. 1913 ist es soweit: Auf dem Kongress für Innere
Medizin in Wiesbaden wird das "Gemisch von Diphtherie-Toxin und
dessen Antitoxin zur aktiven Immunisierung gegen Diphtherie"
vorgestellt. Schon ein Jahr später kommt es zur ersten breit angelegten
Impfprophylaxe mit Tetanus-Antitoxin für das Heer. Am 31. März 1917
stirbt der "Retter der Kinder und der Soldaten" an den Folgen
einer Lungenentzündung.
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