Weltwunder aus Eisen und Stahl |
06.09.2004 00:00 Uhr |
Als „Kathedrale der Arbeit“ steht sie gleichberechtigt in einer Reihe mit dem Kölner Dom und der Akropolis: Die alte Völklinger Hütte gehört zum Weltkulturerbe wie gotische Kirchen, antike Tempel und ägyptische Pyramiden. Das unter den besonderen Schutz der Unesco gestellte Industriedenkmal ist heute ein einmaliges europäisches Zentrum für Kunst und Kultur.
Vor zehn Jahren erkannte die Unesco den überragenden kulturellen Wert des gigantischen Eisenwerks im Saartal. Es war die erste Anlage dieser Art aus der Blütezeit der Hochindustrialisierung, die in den Augen der internationalen Kommission das Prädikat für „Einzigartigkeit“ und „Authentizität“ verdiente (siehe Kasten). Keine andere Eisenhütte in Europa und Nordamerika war in ihrer Originalausstattung noch so gut erhalten. Länger als ein Jahrhundert hatte die 1986 stillgelegte Ikone der Industriekultur die Arbeit und das Leben vieler Tausend Menschen mitbestimmt, Symbol einer zu Ende gehenden Epoche, in der das Element Eisen neue, revolutionäre technische Möglichkeiten bot. Der Aufschwung der Montanindustrie leistete nicht zuletzt dem wachsenden Wohlstand in Deutschland und ganz Europa Vorschub. Die Entscheidung für ein Denkmal des industriellen Zeitalters war nicht nur mutig und zukunftsweisend, sondern Grundlage für eine der spannendsten Industrieprojekte des 20. Jahrhunderts.
Nach der Gründung 1881 nahmen die Röchlingschen Eisen- und Stahlwerke eine schwunghafte Entwicklung zur größten Produktionsstätte Deutschlands für Stahlträger. Mitte des 20. Jahrhunderts arbeiteten 17.000 Menschen unter heute unvorstellbar schweren Arbeitsbedingungen in dem von dem Saarbrücker Geschäftsmann Carl Röchling gegründeten Werk. Extreme Hitze, ohrenbetäubender Lärm und 24-Stunden-Schichtarbeit stellten hohe Anforderungen an die Stahlkocher, die Tag und Nacht das Erz mithilfe von Kohle in Eisen umwandelten.
Die historische Roheisenproduktion in Völklingen war ein Meilenstein in der Technikgeschichte der Eisenverhüttung und ist auf einem Rundgang zu besichtigen. Gut gesichert mit Helm auf dem Kopf erklimmt der Besucher zahllose Treppen, schmale Wege und Brücken zu einer 27 Meter hohen Aussichtsplattform, der Gichtbühne. Von hier oben wurden die Hochöfen befüllt beziehungsweise begichtet. Abwechselnd schichteten die Hochöfner Erz, Sinter und Koks ein – dabei immer auf der Hut vor dem tückischen Gichtgas, das aus dem Trichter des Hochofens strömte. Der Begriff Gicht geht nicht auf die gleichnamige Stoffwechselkrankheit zurück, sondern vermutlich auf das Wort „geben“, die Gichtbühne ist also der Ort, wo die Rohstoffe in den Ofen eingegeben werden.
Der gute Zustand der perfekt erhaltenen Völklinger Hochofengruppe trug wesentlich zur Auszeichnung als Weltkulturerbe bei. Hier am Herzstück jeden Eisenwerks liefen die Materialien der Eisenerzeugung zusammen, hier wurde Erz in Eisen und Schlacke getrennt, hier nahm der Weg vom Roheisen zum Stahl seinen Anfang. In der benachbarten Sinteranlage, die damals leistungsfähigste ihrer Art weltweit, wurde feiner Erzstaub, ein Reststoff aus der Eisen- und Stahlproduktion, für die Hochöfen recycelt. Der Staub enthielt wertvolles Eisen – zu kostbar, um als Abfallprodukte auf der Halde entsorgt zu werden. Die Sinteranlage machte den Staub bei hoher Temperatur wieder „stückig“, ein so genannter Sinterkuchen entstand, der in Teilen wieder in die Hochöfen eingefüllt werden konnte.
Windtunnel und Feuersbrünste
Eisen steht auch im Mittelpunkt des neuen Science-Centers Ferrodrom. Hier im „Bauch“ der alten Hütte, der Möllerhalle, waren die Füllstoffe für die Hochöfen deponiert. Heute präsentiert die riesigen Halle auf 10.000 Quadratmetern eine interaktive, multimediale Schau aus Dokumenten, Fotos und Filmen: Eisen fühlen, hören und schmecken - von den Anfängen der Eisenerzeugung bis zur Bedeutung des Elements für den Körper. Weit über produktionstechnische Dimensionen hinaus wird dem Besucher dieses wichtige Metall in Geschichte, Technik, Biologie und Kultur nähergebracht. Der Gang durch Windtunnel, digitale Feuersbrünste und rauschende Wasserfälle bildet den Auftakt einzelner Themenstationen und macht Feuer, Wasser, Luft und Erde hautnah erfahrbar. Ohne die Kräfte der vier Elemente, mit denen Menschen selbstverständlich täglich in Berührung kommen, läuft bei der Eisenerzeugung nichts.
Auch Zeitzeugen kommen zu Wort und berichten über Leben und Arbeiten in der Hütte. Foto-Dokumente des Leica-Pioniers Dr. Paul Wolff lassen die vergangenen Zeiten der einst blühenden Produktionsstätte lebendig werden.
Industriekulisse in Gold
Die Gebläsehalle mit ihren über 6000 Quadratmetern Fläche und einer Ansammlung dinosaurierhafter Maschinen ist heute der zentrale Veranstaltungsort des Kunst- und Kulturzentrums Völklinger Hütte. Sie bildet die bizarre Kulisse für eine Reihe von Konzerten, Theateraufführungen, Lesungen und Festivals, die hier regelmäßig stattfinden. Wo früher der Wind für die Hochöfen erzeugt wurde, präsentieren sich heute wechselnde, viel beachtete Ausstellungen wie beispielsweise die kürzlich zu Ende gegangene über Leonardo da Vinci. Zurzeit glänzen in der stählernen, um 1900 fertiggestellten Halle unermessliche Inka-Goldschätze aus Peru, die noch bis November zu sehen sind (siehe Kasten).
Informationen Weltkulturerbe Völklinger Hütte
Mit erläuternden, gut aufbereiteten Hintergrundtexten und hervorragenden Fotografien führt der Katalog durch sämtliche Stationen der Eisenverhüttung:
Die Völklinger Hütte
Meinrad Maria Grewenig (Hrsg.)
Quantum Books-Verlag, Ostfildern-Ruit
ISBN 3-935293-09-7
19,50 Euro
© 2004 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de