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Wie Phoenix aus der Asche

09.09.2002  00:00 Uhr

Alte Klosterapotheke

Wie Phoenix aus der Asche

von Ulrike Abel-Wanek, Seligenstadt

Es war der gichtgeplagte Abt Petrus Schultheiß, der bereits um 1720 eine „abteiliche Apotheke“ in der Benediktinerabtei in Seligenstadt errichtete. Anfang September präsentierte die Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen hier die beeindruckende Rekonstruktion einer Klosterapotheke, die es so in Deutschland kein zweites Mal gibt.

Der erste Blick fällt in die „Keimzelle“ der Apotheke, die Materialkammer. Unzählige kleine Schubladen bis hinauf zur Decke bewahren Kräuter, Blüten, Rinde, aber auch Kaffee, Kakao oder Vanille als Ausgangsstoffe für Arzneien auf. Bis in das 18. Jahrhundert hinein war die Materialkammer der Aufbewahrungsort für Arzneistoffe aus den drei Naturreichen „mineralia“, „vegetabilia“ und „animalia“. Metalle, (Edel-) Steine, Gold und Silber, aber auch Teile von getrockneten Tieren, Hörner, Knochen oder Hirnschalen gehörten dazu. Sogar Menschenfett, das „Arme-Sünder-Fett“. Es war kostbar, weil selten und versprach unter anderem Heilung gegen die Schwindsucht. Die so genannte „Dreckapotheke“, die im 17. Jahrhundert eine große Rolle spielte, verwendete Arzneistoffe aus tierischen oder menschlichen Organen und aus Exkrementen.

Die Anfänge der Seligenstädter Apotheke liegen im Dunkeln. Ob hier vor dem 18. Jahrhundert eine Klosterapotheke existierte, ist nicht bekannt. Erst 1725 wird der Name des Apothekers Franz Boxberger in diesem Zusammenhang erstmalig erwähnt.

Die Offizin ist der zweite von insgesamt drei wieder eröffneten Räumen. In der Mitte: ein repräsentativer, mit Unterstützung des Heidelberger Deutschen Apothekenmuseums liebevoll restaurierter Rezepturtisch mit vielen Schubladen für die wichtigsten Materialien. Schwere Mörser, alte Fayencen aus Porzellan und gläserne Apothekengefäße standen zur Herstellung und Aufbewahrung von Pulver, Salben und Tinkturen gegen zahlreiche Zipperlein bereit. Das aufgeschlagene Rezepturbuch enthält handschriftliche Aufzeichnungen des Apothekers. Aufgehängt an einem schmiedeeisernen Aufsatz waren Rezepte, Handwaagen und eine Schnurkugel. Mit Schnur, Leder oder Leinen, so Dr. Friedl Brunckhorst von der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen, wurden die fertigen Arzneien in ihren Flaschen und Gefäßen fest verschlossen. Korken waren selten.

Dass bittere Medizin schon früher nicht gefragt war, zeigen die Zuckerhüte auf der Fensterbank. Sie dienten der Herstellung von Sirupen und anderen eingedickten Säften. Dekorativ aufgehängte Exotica wie Krokodil und Kugelfisch unterstrichen die Fachkunde des Apothekers im Umgang mit den Giften der Natur. Gifte, aber auch kostbare Edelsteine durften nicht, wie die frisch zubereiteten Drogen, in den Wandregalen stehen. Um Missbrauch oder Diebstahl zu verhindern, wurden sie im Giftschrank fest verschlossen.

Ursprünglich blieb die Offizin dem Publikum verschlossen, verkauft wurde über ein kleines Ladenfenster. Erst um 1500 verwandelte sich die Werkstatt zur Herstellung von Arzneimitteln in einen Verkaufsraum mit zunehmend repräsentativer Ausstattung. Zur gleichen Zeit begann die Aufteilung der Apothekenräume in Offizin und Labor und wurde ab dem 17. Jahrhundert mit den Apothekenordnungen weiter ausgebaut.

Kolben, Phiolen, Tiegel und Töpfe

Ein Hauch von Alchemistenküche weht durch den dritten Raum der Seligenstädter Apotheke, das Laboratorium. Wichtigstes und zentrales Gerät: der eingemauerte Herd. Glaskolben stehen bereit zum Destillieren, Phiolen, Flaschen, Tiegel, Töpfe und Pfannen zum Schmelzen, Verdicken, Pulverisieren oder Mazerieren. Auffällig die vielen Farbpigmente, die wohl bei Säften und Essenzen für den richtigen Ton sorgen sollten. Die Kombination der drei Räume Offizin, Materialkammer und Labor ist einmalig in Deutschland, noch dazu mit dem großen, angrenzenden Kräutergarten direkt hinter der musealen Apotheke.

Aus dem Nichts habe man die Klosterapotheke rekonstruiert, erläutert die Leiterin des Fachgebiets Museen, Brunckhorst. Denn von der ursprünglichen Ausstattung habe sich nur wenig erhalten. Dauerleihgabe des Apothekenmuseums in Heidelberg und Grundstock des Mobiliars sei die so genannte „Knoll’sche Apotheke“ mit ihrer zeittypisch lindgrünen Fassung des 18. Jahrhunderts. Hinzu kamen neben eigenen Schreinerarbeiten Leihgaben des benachbarten Landschaftsmuseums. Kostbare Einzelstücke wurden in Paris ersteigert und von der bis heute in Seligenstadt ansässigen Apothekerfamilie Binsack zur Verfügung gestellt. Ihr Fundus alter Apothekengefäße geht auf Clemens August Binsack zurück, der die Apotheke als letzter Klosterapotheker 1802 kurz vor der Säkularisierung übernahm. Bereits 1805 erhielt er mit dem „Privilegium exclusivum“ die Erlaubnis zur Gründung einer eigenen Apotheke in der Stadt. Die Kunden nahm er mit, denn bereits seit 1747 sorgte sich die klösterliche Apotheke nicht nur um das Wohl der Mönche, sondern verkaufte ihre Pillen auch geschäftstüchtig an die Bewohner der näheren und weiteren Umgebung. 1833 wurde die ehemalige Klosterapotheke mit sämtlichen Gerätschaften in die Stadt verlegt, 1842 schließlich in das Haus am Markt. Hier wird sie bis heute, mittlerweile in der sechsten Generation, von der Familie Binsack betrieben.

Nach drei Jahren Bauzeit und einer halben Million Euro Investition vermitteln die wieder hergestellten Räumlichkeiten einen lebensnahen Eindruck von der Arbeitsweise der damaligen Apotheker. Darüber hinaus sind zukünftig nicht nur museale, sondern auch funktionale Präsentationen geplant. Für Besucher und Schulklassen wird die historische Arzneimittelherstellung wie Salbenzubereitung, Pillendrehen, aber auch Kräuterkunde und –verwendung demonstriert. Unter Leitung von Rüdiger Binsack, Nachfolger des letzten Klosterapothekers, startet am 20. Oktober die erste Sonderführung. Auch der durch seine Experimentalvorträge bekannt gewordene Professor Dr. Schwedt, Leiter des Instituts für anorganische und analytische Chemie in Clausthal-Zellerfeld, wird chemisches Alltagswissen in kulturgeschichtliche Zusammenhänge stellen: und das „nicht nur zur Belehrung, sondern auch zur Belustigung“.

 

Ehemalige Benediktinerabtei Seligenstadt

Telefon (8 bis 9.30 Uhr):
(0 61 82) 82 98 82 oder 2 26 40
Fax: 2 87 26

Anmeldung zu Führungen: Frau Paethke

Öffnungszeiten:
Dienstag bis Sonntag
10 bis 16 Uhr (November bis März)
10 bis 18 Uhr (März bis Oktober)

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