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Pharmazie zwischen Elchen und Seen

03.09.2001  00:00 Uhr
PRAKTIKUM IM AUSLAND

Pharmazie zwischen Elchen und Seen

von Susanne Uhlenbrock, Münster

Von Mai bis Juni 2001 hatte ich zusammen mit 150 weiteren Krankenhausmitarbeitern die Gelegenheit, an einem internationalen Austauschprogramm teilzunehmen. Ziel dieses Projekts ist, zu einem besseren Verständnis der unterschiedlichen Gesundheitssysteme innerhalb der Europäischen Union beizutragen sowie die Zusammenarbeit und den gegenseitigen Austausch des Krankenhauspersonals zu fördern. Das Programm führte mich an die Universitätsklinik der finnischen Stadt Turku.

Das 13. "Hospitals of Europe (Hope)-Austauschprogramm" für Krankenhausmitarbeiter war in diesem Jahr besonders für Krankenhausapotheker interessant, da das abschließende Evaluationstreffen in Ungarn Fragen des effizienten Einsatzes von Medikamenten im Krankenhaus behandelte. Die Hospitanten verbrachten gut vier Wochen als Trainee in ihrem Gastland. Zusammen mit elf weiteren Krankenhausmitarbeitern aus sieben europäischen Ländern erhielt ich einen Praktikumsplatz in einem finnischen Krankenhaus in Turku, gemeinsam mit einer französischen Krankenschwester und einem spanischer Informatiker. Mir bot sich die Gelegenheit, in der Apotheke zu hospitieren.

Spätestens seit der Expo 2000 in Hannover ist bekannt, dass Finnland im Verhältnis zur Einwohnerzahl das Land mit den meisten Mobiltelefonen und Internet-Zugängen ist. Das Handy ermöglicht eine Verbindung zur Außenwelt rund um die Uhr, auch dann, wenn sich die Finnen in ihre Wochenendhäuser in Wäldern und an Seen zurückziehen. Diese für viele Touristen idyllisch erscheinende Einsamkeit bringt jedoch besonders in Lappland (2,2 Einwohner/km2) große Probleme hinsichtlich der medizinischen Versorgung mit sich. Häufig sind Entfernungen bis zu 450 Kilometer zum nächsten Krankenhaus zu überwinden. Die wenigen Ärzte und Apotheker übernehmen Tag für Tag die Rufbereitschaft.

Turku - frühere Hauptstadt

Turku ist die Wiege der finnischen Kultur. Bis 1812 war die südwestfinnische Hafenmetropole die Landeshauptstadt. Heute liegt die ehemals größte
Stadt Finnlands mit über 170. 000 Einwohnern nur noch auf dem fünften Platz. Mit den Wissenschaftskomplexen "BioCity", "DataCity" und "ElektroCity", die eng mit den drei Universitäten der Stadt zusammenarbeiten, entwickelte sich Turku zum Technologiezentrum Finnlands. "PharmaCity" soll 2002 fertiggestellt werden, und auch die Schering-Tochter Leiras Oy, eines der großen pharmazeutischen Unternehmen Finnlands, befindet sich in Turku.

Tyks (Turun Yliopistollinen Keskussairaala) ist eine von fünf Universitätskliniken Finnlands. Sie ist verantwortlich für die hochspezialisierte medizinische Versorgung der Åbo-Inseln zwischen Finnland und Schweden und von 58 Gemeinden in Südwestfinnland, etwa 450. 000 Menschen. Tyks verfügte im Jahr 2000 über 840 Betten und 3462 Angestellte. 1550 Studenten (Ärzte und Pflegepersonal im Praktikum) wurden ausgebildet. Fünf regionale Krankenhäuser und zahlreiche Gesundheitszentren (Health Centres) gewährleisten außerdem die allgemeine medizinische Versorgung in Südwestfinnland.

In Finnland sind nicht gesetzliche Krankenversicherungen, sondern die Gemeinden für die medizinische Versorgung der Bürger zuständig. Die Finnen zahlen daher keine Krankenversicherungsbeiträge, sondern neben den staatlichen Abgaben auch Steuern an die Gemeinden. Diese erhalten für die medizinische Versorgung ihrer Bürger wiederum finanzielle Unterstützung von der Regierung. In Abhängigkeit von der finanziellen Situation einer Gemeinde müssen die Einwohner für die ärztliche Behandlung in einem Gesundheitszentrum Gebühren zahlen. Zahnarztbesuche sind stets kostenpflichtig - auch für Kinder. Die Zuzahlung für Arzneimittel ist abhängig von der Kategorie, in die das Medikament eingestuft worden ist beziehungsweise von der Erkrankung, die behandelt werden soll: Sie beträgt im ambulanten Bereich von 4 Euro pro Verschreibung für zwingend erforderliche Medikamente bis hin zu 8 Euro plus 50 Prozent Zuzahlung für andere Medikamente. Der Verkaufspreis für Arzneimittel in öffentlichen Apotheken setzt sich zusammen aus einem Großhandelspreis, der von der nationalen Gesundheitsbehörde festgelegt wird, einer Apothekenmarge von etwa 26 Prozent und der Mehrwertsteuer von 8 Prozent. Hat ein pharmazeutisches Unternehmen für sein Produkt die Festlegung eines solchen "begründbaren" Großhandelspreises nicht beantragt, so ist es nicht erstattungsfähig. Neue Arzneimittel können dann nur verordnet werden, wenn der Patient die gesamten Kosten selbst trägt.

Während unseres Aufenthalts in Finnland wurde nur in den Notaufnahmen und auf den Intensivstationen der Krankenhäuser regulär gearbeitet, da die finnischen Ärzte bei unserer Ankunft im ganzen Land bereits mehrere Wochen streikten, und dieser Streik wahrscheinlich nicht vor Ende der Sommerferien beendet werden sollte. Die Mediziner fordern die Ausbildung von mehr Medizinstudenten, die Einstellung von Ärzten aus anderen Ländern und die Beschäftigung von mehr Pflegepersonal. Wegen der besseren Verdienstmöglichkeiten wollen viele Spezialisten nur noch im privaten Sektor arbeiten. Ferner sollen wieder zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes in medizinische Dienstleistungen investiert werden. Der Staat begründet das relative Absinken der Ausgaben für den medizinischen Sektor unter diese Marke mit dem "Nokia-Phänomen", das das Bruttoinlandsprodukt Finnlands in den letzten Jahren rasant ansteigen ließ. Die Gemeinde Salo - Heimat von Nokia mit etwa 20. 000 Einwohnern und 9000 Nokia-Angestellten - möchte die spezialisierten medizinischen Dienstleistungen zukünftig nicht mehr von Tyks beziehen, sondern mit privaten Anbietern in Helsinki kooperieren, falls bestimmte Forderungen nicht erfüllt werden. Der Ärztestreik und die Forderungen der Gemeinde Salo - eine der finanziell stärksten Gemeinden, die die Dienste der Universitätsklinik Turku in Anspruch nehmen - setzen Tyks wirtschaftlich stark unter Druck. Die anfallenden Kosten beliefen sich im Jahr 2000 auf 190 Millionen Euro.

Studieren in Finnland

Das Studium der Pharmazie in Finnland dauert drei bis fünf Jahre und ist folgendermaßen gegliedert:

Im ersten und zweiten Jahr Grundstudium (unter anderem Chemie, Analytik, Technologie), drei Monate Praktikum; im dritten Jahr Intensivierung der praktischen Ausbildung und drei Monate Praktikum.

Nach dreijährigem Studium ist man "Farmaseutti" (Bachelors degree). Der Tätigkeitsbereich entspricht etwa unserem PTA-Beruf. Um eine Apotheke verantwortlich führen zu können, muss man ein weiterführendes Studium absolvieren, im vierten Jahr mit spezieller Ausbildung zum Beispiel in instrumenteller Analytik. Im fünften Jahr steht die Mitarbeit in einem Arbeitskreis eines Hochschullehrers oder einer anerkannten Einrichtung auf dem Programm. Am Ende des fünften Jahres erfolgt der Abschlussbericht. Danach ist man "Proviisori" (Master degree). Diese Qualifikation entspricht unserer Approbation. Eine Weiterbildung zum Fachapotheker für Offizin- oder Klinische Pharmazie ist möglich und für leitende Positionen erwünscht.

Vier Apotheker für 840 Betten

Die 400 Krankenhäuser und Gesundheitszentren Finnlands besitzen 21 Krankenhausapotheken und etwa 300 Medizinzentren (Medicine Centres) - eine Art Lager für Medikamente. Der Leiter eines solchen Medizinzentrums ist meist Farmaseutti. Verantwortlich für die Arbeit des Medizinzentrums ist dann der medizinische Direktor des Krankenhauses oder Gesundheitszentrums. Von den etwa 350 pharmazeutischen Angestellten in finnischen Krankenhausapotheken sind 45 Proviisori. Ferner arbeiten ungefähr 500 Farmaseutti in Medizinzentren.

Für die Versorgung von 840 Betten stehen der Apotheke der Universitätsklinik Turku vier Apothekerinnen (Proviisori), neun PTAs (Farmaseutti), sechseinhalb PKA-Stellen ("Lääketyönetekija") und zwei Lagerarbeiter zur Verfügung. Die Apotheke der Universitätsklinik Turku bereitete im Jahr 2000 17. 700 Zytostatika und 2000 Beutel für die totale parenterale Ernährung von Säuglingen und Kleinkindern zu.

Die gesetzlichen Grundlagen, die Vielfalt der eingesetzten Produkte und die technische Ausrüstung sind in finnischen Krankenhausapotheken ähnlich wie in deutschen Häusern. Die Apotheker kontrollieren durch Beratung und Information der Ärzte sowie durch Einkauf der günstigsten Angebote den rationalen Einsatz von Arzneimitteln. Der leitende Apotheker ist für die Überwachung des Arzneimittelbudgets verantwortlich. Die Apotheke des Universitätsklinikums Turku schickt vierteljährlich einen Bericht über die Entwicklung der Arzneimittelausgaben an die Stationen. Der Anteil der Arzneimittelkosten am Budget der Klinik beträgt etwa acht bis zehn Prozent (in manchen anderen Krankenhäusern bis zu 20 Prozent). Die Medikamente der Arzneimittelliste werden während der monatlich stattfindenden Sitzungen der Arzneimittelkommission diskutiert. Eine Arzneimittelliste mit allen eingeführten Medikamenten inklusive Preisen wird den Ärzten im Kitteltaschenformat zur Verfügung gestellt und ist für zwei Jahre gültig. Mitglieder der Arzneimittelkommission sind neben Ärzten und Apothekern auch Angehörige des Pflegepersonals. Ein weiterer Diskussionspunkt während der Sitzungen der Arzneimittelkommission ist die Art und Weise der Arzneimittelinformation durch die Apotheke.

Auch in finnischen Krankenhäusern ist man bemüht, durch Studien und Untersuchungen bezüglich kosteneffektiver Therapien und Behandlungen sowie Evidence-Based Medicine die Ausgaben für Arzneimittel zu begrenzen. Finnische Krankenhausapotheken beziehen ihre Arzneimittel fast ausschließlich über die drei pharmazeutischen Großhändler. Das pharmazeutische Unternehmen informiert den Großhandel, der sein Präparat vertreibt, über den vereinbarten Preis, und dieser liefert das Produkt an die Krankenhausapotheke. Die Krankenhausapotheken bilden Einkaufspools, um günstige Angebote erzielen zu können. Das größte Problem im pharmazeutischen Sektor sind auch in Finnland die steigenden Ausgaben für Arzneimittel.

Steuer für öffentliche Apotheken

Während meines Aufenthalts in Finnland konnte ich einen Tag in der Kauppatorin Apteekki (Marktplatz Apotheke), der drittgrößten Apotheke des Landes, hospitieren. Zur ihr gehören eine Hilfsapotheke in einem Vorort von Turku und ein "Kioski" in der Einkaufspassage. Der Jahresumsatz der Kauppatorin Apteekki belief sich im Jahr 2000 auf über neun Millionen Euro. In Finnland müssen die Besitzer öffentlicher Apotheken eine Apothekensteuer an den Staat zahlen, die abhängig vom Umsatz der Apotheke ist. Die Steuer der Kauppatorin Apteekki beträgt etwa zehn bis elf Prozent des Jahresumsatzes.

Die größten öffentlichen Apotheken in Finnland sind die beiden Apotheken der Universitäten von Helsinki und Kuopio. Sie erwirtschaften etwa 10 Prozent des Umsatzes der 590 öffentlichen Apotheken und 200 Hilfsapotheken in Finnland. Die Apotheke der Universität Helsinki hat 16 solcher Hilfsapotheken im ganzen Land, die eigentlich den dünner besiedelten Gebieten vorbehalten sind. Eine solche Hilfsapotheke befindet sich auch im Zentrum von Turku. Die Apotheken der Universitäten müssen keine Steuern an den Staat, sondern an die Universitäten zahlen. Sie wurden ursprünglich für die Ausbildung der Pharmaziestudenten eingerichtet. Inzwischen sind sie jedoch zu einer wichtigen Einnahmequelle für die Universitäten geworden. Da die Arzneimittelpreisverordnung in Finnland Maximalpreise vorgibt, die unterschritten werden dürfen, können die Apotheken der Universitäten auf Grund ihrer Größe Arzneimittel besonders günstig anbieten.

Seit einigen Jahren kann eine Apotheke nicht mehr an den meistbietenden Approbierten verkauft werden. Es besteht keine Niederlassungsfreiheit, und der neue Leiter einer bestehenden Apotheke wird von der nationalen Gesundheitsbehörde bestimmt. Jeder Bewerber muss ausreichende Erfahrungen auf dem Gebiet der Offizin-Pharmazie vorweisen können. Es ist obligatorisch, vor der Übernahme der Leitung einer öffentlichen Apotheke mehrere Jahre als angestellter Apotheker gearbeitet zu haben. Die Wartezeit bis zur Übernahme einer Apothekenleitung beträgt zur Zeit etwa 15 Jahre.

In finnischen Apotheken dürfen OTC-Präparate in der Freiwahl angeboten werden. Diese Produkte werden zusammen mit apothekenüblichen Waren an einer Kasse bezahlt, wo keine pharmazeutische Beratung erfolgt. Rezepte werden an speziellen Kassen eingelöst, wo die Patienten von pharmazeutischem Personal bedient und beraten werden. Mit Ausnahme der Positionierung der OTC-Produkte in der Freiwahl waren mir Arbeitsablauf, Arbeitsverteilung und Atmosphäre in dieser finnischen Apotheke durch meine Arbeit in öffentlichen Apotheken in Deutschland sehr vertraut.

Da in den Ländern der Europäischen Union viele Berufsausbildungen anderer Mitgliedsstaaten akzeptiert werden, besteht für die Angehörigen zahlreicher Heilberufe die Möglichkeit, im europäischen Ausland in ihrem erlernten Beruf zu arbeiten. Ein Austauschprogramm oder ein durch Eigeninitiative organisiertes Praktikum bietet eine ausgezeichnete Möglichkeit zu prüfen, ob eine Berufstätigkeit im europäischen Ausland in Frage kommt.

Weiterführende Informationen zum Hope-Austauschprogramm sind unter www.hope.be abrufbar.

Anschrift der Verfasserin:
Susanne Uhlenbrock
Apotheke des Universitätsklinikums Münster
Albert-Schweitzer-Straße 41
48149 Münster
Tel.: 0251 / 83-48828
E-Mail: uhlenbro@klinikum.uni-muenster.de
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