Kultstätte der Götter und Athleten |
02.08.2004 00:00 Uhr |
Wenige Woche vor Beginn der Olympischen Spiele rückt der heilige Hain von Olympia in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Hier wird alle vier Jahre das olympische Feuer entzündet, und dann im Staffellauf aus Griechenland zum jeweiligen Veranstaltungsort getragen. Symbolisch baut diese Zeremonie eine Brücke zwischen den Spielen der Neuzeit und dem Ort, an dem sie über 1000 Jahre lang gefeiert wurden.
Anders als das heutige Sportspektakel hatten die antiken Spiele ihre Wurzeln in der Religion. In Olympia wurde der Göttervater Zeus verehrt.
Seit 776 vor Christus, als die Olympischen Spiele der Überlieferung zufolge das erste Mal stattfanden, herrschte im Heiligtum von Olympia alle vier Jahre reges Treiben. Besucher aus allen Teilen der griechischen Welt kamen zusammen, um das Fest zu Ehren ihres höchsten Gottes zu feiern, und um die bedeutendsten Sportwettkämpfe des Landes zu verfolgen. In einer Welt ohne Telefon, Fernsehen und Internet entwickelte sich diese Großveranstaltung zu einer riesigen „Kommunikationsbörse“, auf der Informationen ausgetauscht, Bündnisse und Verträge geschlossen und diplomatische Kontakte geknüpft wurden. Ein Sieg in Olympia machte Athleten auf einen Schlag „weltweit“ bekannt.
Baedeker der Antike
Um 170 nach Christus besuchte der griechische Reiseschriftsteller Pausanias das Heiligtum. In seiner „Beschreibung Griechenlands“ schildert der auch als „Baedeker der Antike“ bezeichnete Schriftsteller ausführlich das Aussehen von Gebäuden, Weihgeschenken, Statuen und Sportstätten. Vieles von dem, was der Augenzeuge damals sah, konnten deutsche Archäologen, die 1875 die Ausgrabungen in Olympia aufgenommen hatten und bis zum heutigen Tage fortführen, wieder entdecken und identifizieren.
Es gab dort nicht nur Hunderte von Statuen aus Bronze und Marmor, geschaffen von den berühmtesten Bildhauern der antiken Welt, sondern auch eines der sieben Weltwunder, die Statue des Olympischen Zeus. Das Götterbild, 430 vor Christus geschaffen von dem Athener Künstler Phidias, war mit 12,50 Metern so hoch wie ein dreistöckiges Haus. Seine Oberfläche bestand aus glänzendem Gold und weißem Elfenbein. Die Wirkung des Kolosses auf den Betrachter muss überwältigend gewesen sein, denn es ging die Rede, dass derjenige, der es gesehen hat, in seinem Leben nie mehr ganz unglücklich sein könne.
Die Hoffnung der Archäologen, in Olympia eine Vielzahl von Statuen ans Tageslicht zu befördern, erfüllte sich leider nicht. Mit dem Sieg des Christentums und dem Verschwinden heidnischer Heiligtümer wurden die Kunstwerke auf Grund ihres Materialwerts zerschlagen und wanderten in die Schmelzöfen. Welch unermessliche Kunstschätze man dabei zerstörte, zeigen neben dem Bericht des Pausanias auch steinerne Basen mit Inschriften, auf denen die Statuen einst standen. Selbst von der Zeus-Statue des Phidias fand sich nicht ein einziges Stück, seine Spuren verlieren sich um 400 nach Christus.
Blutige Opfer am Zeusaltar
Enttäuschte die Ausbeute an plastischen Werken die Ausgräber, so war der Gewinn auf einem anderen Gebiet um so größer: In Olympia konnte ein griechisches Heiligtum in seltener Vollständigkeit freigelegt und die meisten Gebäude nach den Angaben des Pausanias in ihrer Funktion identifiziert werden. Im zentralen Bereich des Heiligtums, der so genannten Altis, standen drei steinerne Tempel und die meisten der rund 70 Altäre Olympias.
Anders als im Christentum, wo sich die Gemeinde in einer Kirche zum Gottesdienst versammelt, war in der griechischen Religion nicht der Tempel das Zentrum, sondern der Altar, an dem unter freiem Himmel Opfer dargebracht wurden. Während der Olympischen Spiele wurden allein beim großen Opfer am Zeusaltar nicht weniger als 100 Rinder geschlachtet. Im Tempel bewahrte man dagegen das Kultbild des Gottes auf.
Neben Zeus besaß auch seine Gemahlin Hera einen Tempel in Olympia, erbaut rund 150 Jahre vor dem des Göttervaters. Die vier Säulen der Ringhalle, die man im 20. Jahrhundert wieder aufgerichtet hat, machen dieses Bauwerk heute zu einem der markantesten in der Antikenstätte. In den Vertiefungen an den Säulenschäften waren Bildnisse von Mädchen angebracht, die bei den Festspielen zu Ehren der Hera gesiegt hatten. Diese Wettkämpfe waren weiblichen Teilnehmerinnen vorbehalten und fanden ebenfalls im vierjährigen Turnus in Olympia statt. Östlich vom Tempel liegt der zugehörige Altar, an dem man seit 1936 das Olympische Feuer entzündet. Nur wenige Meter vom Hera-Tempel entfernt befindet sich eine sanfte Erhebung, die von einer niedrigen Mauer eingefasst wird. In diesem Hügel – dem so genannten Pelopion – sahen die Griechen die Grabstätte des mythischen Helden Pelops, dessen Name noch in dem Wort Peloponnes, der Insel des Pelops, fortlebt. Seine Nachfahren herrschten in Mykene, und sein Enkel Agamemnon war der Anführer der Griechen im Kampf gegen Troja.
Sprint als Königsdisziplin
Ebenso wie die heutigen Sommerspiele fanden auch die Olympischen Spiele der Antike in den Monaten August/September statt. Die meisten Wettbewerbe wurden im Stadion ausgetragen, das im Gegensatz zu anderen griechischen Stadien niemals mit Marmor-Sitzreihen ausgestattet wurde, also wenig Komfort bot. Die rund 40 000 Zuschauer saßen oder standen auf einfachen Erdwällen, nur die Kampfrichter und die Trainer konnten auf einer steinernen Tribüne Platz nehmen. Die Athleten betraten die Arena durch einen ebenerdigen, tunnelartigen Eingang, der ihrem Auftritt einen besonderen Effekt verlieh.
192,28 Meter mussten beim Sprint auf der Laufbahn zurückgelegt werden. Ein Sieg in dieser Disziplin war prestigeträchtig und wog besonders schwer, so wie noch heute der 100 m-Lauf als „Königsdisziplin“ der Leichtathletik gilt. Knapp 400 Meter legten die Läufer beim Doppellauf zurück. Weil das Stadion keine Kurve besaß, bremsten die Athleten am Ende der Bahn ab, liefen um einen Holzpfahl herum und dann wieder dieselbe Strecke zurück. Neben den beiden Sprintstrecken gab es auch einen Langlauf über 24 Stadien, was einer Distanz von etwa 4600 Metern entspricht. Speerwurf, Diskuswerfen und Weitsprung gehörten ebenfalls schon zum olympischen Programm, allerdings nicht als Einzeldisziplinen, sondern im Rahmen des Fünfkampfes. Er umfasste außerdem noch Wettlauf und Ringen.
Der Ringkampf wurde auch separat ausgetragen, ebenso wie der Faustkampf und das so genannte Pankration (Allkampf), eine besonders harte Kampfsportart, die eine Kombination aus Ringen und Boxen darstellte. Neben den Leichtathletikwettbewerben und den Kampfsportarten wurden auch Pferde- und Wagenrennen veranstaltet, jedoch nicht im Stadion, sondern auf der dafür angelegten Pferderennbahn, dem Hippodrom.
Der Preis für den Olympiasieger bestand aus einem Zweig des wilden Ölbaums, des „schön bekränzenden“, wie er genannt wurde. Der auf den ersten Blick dürftige Lohn für die Mühen des Trainings und des Wettkampfes zog jedoch große Ehrungen in der Heimatstadt des Athleten nach sich. Dazu gehörten nicht selten eine politische Karriere und kostenlose Speisung bis an das Lebensende durch den Staat. Damit waren die antiken Olympiasieger finanziell abgesichert, vergleichbar mit den lukrativen Werbeverträgen heutiger erfolgreicher Athleten. Der Wettkampfsieger hatte außerdem das Recht, eine Statue von sich im Heiligtum von Olympia aufzustellen, die noch Jahrhunderte später von seinem Ruhm zeugte, und ihn in den Augen der Griechen unsterblich machte.
Für die alten Griechen zählte allein der Sieg. Zweitplazierte galten als Verlierer, nicht als „zweite Sieger“. Ausgezeichnet wurde deshalb nur der Beste, Silber- und Bronzemedaillen kannte man ebenso wenig wie Welt- oder olympische Rekorde. Der abstrakte Vergleich mit früher einmal erbrachten Leistungen war nicht relevant.
Frauen unerwünscht
Nach wie vor nicht völlig geklärt ist die Frage, warum bei den Olympischen Spielen nur Männer und Mädchen zuschauen durften, während verheirateten Frauen der Besuch des Stadions strikt untersagt war. Die Missachtung dieses Gesetzes war kein Kavaliersdelikt: Auf Zuwiderhandlung stand die Todesstrafe. Soweit man heute weiß, wurde sie aber niemals vollstreckt.
Ein einziger Fall ist bekannt, in dem sich eine Frau über dieses Gesetz hinwegsetzte. Kallipateira hatte nach dem Tod ihres Mannes das Training für ihren Sohn Peisirodos übernommen. Um ihn auch zu den Spielen nach Olympia begleiten zu können, verkleidete sie sich als Sportlehrer, und kam so unerkannt ins Stadion. Als Peisirodos siegte, wurde die überglückliche Mutter unvorsichtig. Sie übersprang die Absperrung und entblößte sich dabei. Der Skandal war perfekt, doch man ließ Gnade vor Recht ergehen, weil Vater, Brüder und jetzt der Sohn von Kallipateira allesamt olympische Siege errungen hatten. Dennoch zog man aus dem Vorfall Konsequenzen. Künftig mussten nicht nur die Athleten, sondern auch die Trainer nackt zum Wettkampf erscheinen.
Verheiratete Frauen durften bei den Olympischen Spiele nicht zuschauen oder gar an ihnen teilnehmen. Dennoch konnten sie Olympiasiegerinnen werden. Bei den Wagenrennen wurde nämlich nicht der Wagenlenker, sondern der Besitzer des Gespanns als Sieger ausgerufen. Und das konnte auch eine Frau sein. Nur besonders wohlhabende Personen ließen Pferdegespanne nach Olympia transportieren und dort starten. Die erste bekannte Gewinnerin ist Kyniska, die Schwester eines Königs von Sparta. Sie siegte im Jahr 396 vor Christus mit dem Fohlen-Viergespann.
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