Ohne Netz und Angel |
07.07.2003 00:00 Uhr |
Durch eine intensive Kooperation von Wissenschaft und Industrie hat Norwegen in den vergangenen dreißig Jahren eine Perfektionierung der Aquakulturen erlebt, die aus dem einstigen Gourmetprodukt Lachs ein Nahrungsmittel für jedermann machte. Forscher meinen, dass kein Weg am Ausbau der Fischfarmen vorbeiführte, wenn weiter so viel Fisch gegessen werden sollte wie bisher.
Langsam nähert sich das Motorboot der Fischfarm nahe der westnorwegischen Insel Austevoll. Bauchhohe Netze trennen die 15 mal 15 Meter großen und 30 bis 40 Meter tiefen Käfige. Dort tummeln sich jeweils bis zu 100.000 Lachse. In wenigen Monaten werden sie ihren Weg in die Kochtöpfe Frankreichs, Spaniens und Deutschlands antreten müssen.
Die Fischfarmen sind das Reich von Sebjørn Madsen. Er ist Manager der Farming Division von Austevoll Havfiske, mit einer Produktion von 12.000 Tonnen Lachs pro Jahre eine der rund 70 mittelständischen Fischzucht-Unternehmen an der norwegischen Westküste. Er koordiniert die Lachszucht, soll für Produktivitätssteigerung und Kostensenkung in den 15 Fischfarmen seiner Firma sorgen.
Norwegen produzierte im vergangenen Jahr rund 440.000 Tonnen Zuchtlachs und 77.000 Tonnen Forellen. Mit einem Marktanteil von 50 Prozent der Weltproduktion war der Wikingerstaat die internationale Nummer eins, konnte die Konkurrenz aus Kanada, Schottland, Irland, den Färöer Inseln und Chile hinter sich lassen. Nach Schätzungen der norwegischen Fischereibehörden wird Norwegen in diesem Jahr wahrscheinlich von den Südamerikanern überholt werden, die in den letzten Jahren ihre Aquakultur-Produktion stark ausgeweitet haben.
Das Prinzip der Aquakulturen ist einfach: In speziellen Firmen werden Baby-Lachse an Land gezüchtet, dann von den Fischfirmen gekauft und im Mai beziehungsweise Oktober ausgesetzt. Nicht ohne Stolz zeigt Madsen die computergesteuerten Fütterungsmaschinen, mit denen die Lachse ihre Nahrung aus Fischmehl, Fischöl, Soja, Mais, Vitaminen und dem Farbstoff Astaxanthin erhalten. Die Mortalitätsrate von 5 bis 10 Prozent sei gering, der wirtschaftliche Erfolg groß.
„Aquakulturen sind die intensivste und effektivste Form der Fleischproduktion.“, erklärt Ole J. Torrissen, Forschungsdirektor der Abteilung Aquakultur des „Havforskningsinstituttet“ in Bergen, der zweitgrößten meeresbiologischen Forschungseinrichtung Europas. Ein Lachs verbrauche zur Produktion von einem Kilo Fleisch nur ein Kilo Nahrung, ein Huhn dagegen 2 bis 2 ½ Kilogramm. Torrison nennt zwei Gründe für diese Effizienz: Während eine Sau im Laufe ihres Lebens 18 bis 20 Ferkel zur Welt bringe, schaffe eine Henne 250 Küken, ein weiblicher Lachs dagegen bis zu 20.000 Jungfische. Außerdem verbrauche der Lachs wenig Energie für Körperwärme. Da er im Wasser lebe, müsse er sein Gewicht nicht tragen, verbrenne die Nahrung direkt. Im Vergleich mit Hühnern und Schweinen besitze der Lachs die beste „Ökobilanz“.
Impfung reduziert Antibiotika
Der Meeresbiologe hält eine Zusammenarbeit von Forschung und Fischindustrie für fruchtbar und sinnvoll. Wissenschaftliche Erkenntnisse hätten dazu beigetragen, den Entwicklungszyklus des Lachses zu verkürzen. Während ein Wildlachs bis zu fünf Jahre benötigt, um mit 3 bis 7 kg Gewicht schlachtreif zu werden, reichen beim Zuchtlachs 12 bis 18 Monate. Auch die Verlegung der Fischfarmen aus den Fjorden an die Meeresküste ist ein Verdienst der Forschung. Die größere Tiefe des Meeres und die stärkere Wasserbewegung sorgen dafür, dass die Ökologie des Meeresbodens nicht so sehr in Mitleidenschaft gerät, sich die Exkremente über eine große Fläche verteilen, in Nährstoffe umgewandelt und in die Nahrungskette integriert werden.
Der wichtigste Erfolg der Forschung war die praktisch gänzliche Abschaffung der Verabreichung von Antibiotika in Aquakulturen. In den frühen 80er-Jahren hatte die Fischindustrie mit bakteriellen Erkrankungen zu kämpfen, setzte große Mengen Antibiotika ein und brachte den Zuchtlachs international in Verruf. Dank der Entwicklung eines Impfstoffs, den jeder Zuchtlachs injiziert bekommt, konnte zwischen 1987 und 2000 der Verbrauch von Antibiotika um 99,8 Prozent gesenkt werden. Sorgen bereiten den Bergener Forschern die Lachslaus und die Escapees – Zuchtlachse, die aus den Käfigen ausbrechen, sich mit Wildlachsen paaren und deren genetische Struktur verändern. Der Genpool der Wildlachse verarmt und lokale Populationen sterben aus. Lachsläuse sind gefährliche Parasiten, die nicht nur die Zuchtfische, sondern auch die Wildlachspopulationen auf ihren Wanderungen an den Farmen vorbei gefährden.
Dass Fischfarmen die Lösung für das Problem der Überfischung der Meere sein könnten, bezweifelt Marius Holm von der Umweltstiftung Bellona in Oslo. Solange die Fischfarmen weiter Fischprodukte zur Fütterung der Lachse nähmen und nicht, wie von den Umweltschützern gefordert, verstärkt Algen und Plankton einsetzten, könne von der Aquakultur keine Lösung des Problems erwartet werden.
Tonnenweise Futter
Um eine Tonne Lachsfleisch zu erhalten, müssen – zusätzlich zum industriell hergestellten Futter, drei Tonnen Fischmehl zugefüttert werden. Die Nachfrage nach Fischmehl ist durch den Boom der Aquakultur drastisch gestiegen, wodurch sich der Trend der Überfischung weiter fortsetzt. Austevoll-Havfisk-Eigentümer Helge Møgster hofft, dass die Wissenschaftler in Zukunft herausfinden können, welche Mengen Futter die Fische zu welchem Zeitpunkt exakt fressen, so dass die Fütterung entsprechend angepasst werden könnte.
Veränderungen sind notwendig, denn durch die chilenische Konkurrenz spüren die erfolgsverwöhnten norwegischen Fischzüchter starken Gegenwind. Während der Markt für Zuchtlachs in den letzten Jahren weltweit um rund 6 Prozent gewachsen ist, hat Chile seine Produktion um 15 Prozent angehoben. Der Mittelständler sieht in der Krise aber auch eine Chance. Durch niedrige Preise öffnen sich neue, vor einigen Jahren kaum für möglich gehaltene Märkte in Russland und Polen. Møgster hält die Aquakultur deshalb weiterhin „für einen sich rasend schnell entwickelnden Industriezweig“. Die Bergener Wissenschaftler wollen - nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Überfischung der Nordsee - die Ergebnisse der Lachszucht auch auf andere Fischarten übertragen. Seit 15 Jahren versuchen sie, Heilbutt und Kabeljau konsumsicher zu züchten - bisher jedoch erfolglos.
Für Ole Torrison ist der Durchbruch in der Heilbutt und Kabeljau-Zucht nur eine Frage der Zeit. Für den Meeresbiologen hat Aquakultur sogar ethische Dimensionen. Die Lachszucht könnte Ernährungsalternativen für die ärmeren Länder der Welt bieten. Der Forscher weiß, dass eine Umstrukturierung der Fischindustrie vom Fischfang zur Aquakultur einer „Revolution“ gleichkomme. Ob die Norweger dazu bereit seien, bleibe eine offene Frage.
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