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Auf eigene Gefahr

30.06.2003  00:00 Uhr
Ausstellung

Auf eigene Gefahr

von Ulrike Abel-Wanek, Frankfurt am Main

Um es vorwegzunehmen: Lebensgefahr droht trotz der aufgestellten Warnschilder in der Frankfurter Kunsthalle Schirn nicht. Die Risiken der neuen Ausstellung „Auf eigene Gefahr“ sind wohl dosiert und kalkulierbar. Die elf Installationen internationaler Künstler wollen vor allem eins: die Besucher aus ihrer konsumierenden Passivität herausholen, auf die sie sich sonst im Museum zurückziehen können.

Risiken scheinen heute abgeschafft. Wir versichern uns gegen Feuer und Hochwasser, Ableben und Überleben, Arbeitslosigkeit und die gesundheitlichen Folgen von Überarbeitung. Versprochen wird ein gesellschaftliches Höchstmaß an Sicherheit – gleichzeitig fordern ständig wachsende Anforderungen an Mobilität und Flexibilität hohe Bereitschaft zum Risiko: alle zwei Jahre ein neuer Job, eine andere Stadt und wechselnde Freunde ist für Viele schon längst die Realität. „Es liegt somit nahe, der künstlerischen Auseinandersetzung mit diesem Phänomen nachzugehen“, sagte Museumsdirektor Max Hollein am 26. Juni in Frankfurt.

Die Ausstellung sei ein Trainingslabor für eigene Entscheidungen, erläuterte Kurator Markus Heinzelmann und stellte gleichzeitig klar, dass der Titel „Auf eigene Gefahr“ eigentlich paradox sei. Gefahr komme von außen und sei vom Individuum nur gering beeinflussbar, müsse folglich hingenommen werden. Ein Risiko einzugehen hingegen bedeute, selbst zu entscheiden. Der Besucher hat die Wahl, ob er statt Betrachter und Voyeur lieber Nutzer oder sogar selber Bestandteil der präsentierten Werke sein will.

Labor im Museum

Relativ gering scheint das Risiko, als „Kunstpatient“ an der Installation von Carsten Höller mitzuwirken. Der „Placebopillentank“ des Künstlers und studierten Naturwissenschaftlers enthält 20.000 weiße Zuckertabletten, die, von Ventilatoren in der Luft gehalten, in einem gläsernen Aquarium herumfliegen. Lust sie vor Publikum in dem hohen hellen Ausstellungsraum einzunehmen, will sich trotz der versprochenen und bekannten „Placebowirkung“ allerdings nicht einstellen.

Vielleicht gefährlicher als die Tabletten könnte jedoch der Genuss von ganz normalem Essen sein, glauben die Mitglieder des Critical Art Ensembles. In Zusammenarbeit mit den Naturschützern des BUND bauten sie im Museum ein Labor auf, in dem der Besucher seine mitgebrachten Nahrungsmittel auf genetische Manipulation testen lassen kann, somit den „Konsum auf eigene Gefahr“ bewusst wahrnimmt und reflektiert.

Nichts für Schüchterne ist die Einladung von Julia Scher: auf ihrer Betten-Installation „Embedded“ das zu tun, wozu man gerade Lust verspürt. Montierte Kameras filmen alles, was sich im Raum abspielt und geben es zeitverzögert an aufgestellte Monitore und das Internet weiter. Der Besucher überantwortet sich hier freiwillig einem Überwachungssystem – eine Entscheidung, die einem in der Realität nicht immer so eindeutig in die Hände gegeben wird.

Schaumwein nuckeln

An der „Champagne Bar“ von Camilla Dahl muss der freiwillige Benutzer für ein paar Schlucke Sekt in die Knie gehen. Eine Theke in anatomisch fließender Form bietet den Museumsbesuchern die Möglichkeit, mittels Baby-Saugern Champagner zu trinken, zwingt sie dazu allerdings in eine unterwürfige Position auf den Boden. Riskiert wird hier das sichtbare Abweichen von sozialen Regeln und Konventionen – auch wenn die Nuckel vorschriftsmäßig vor dem Trinken desinfiziert werden.

Dem eventuellen Kontrollverlust im öffentlichen Raum durch die Inhalation von Lachgas in Henrik Plenge Jakobsens „Gasgolf“ setzte der deutsche Gesetzgeber Grenzen. Der Kleinwagen mit den drei Gasflaschen auf dem Dach, die über Schläuche mit dem Wageninneren verbunden sind, darf zwar gezeigt, nicht aber wie in anderen Ausstellungen im Ausland, benutzt werden. Lachgas ist seit 1999 verboten, weil es als leicht euphorisierende Droge in der Technoszene kursierte.

Im Zentrum der Ausstellung steht nicht das Werk, das Objekt oder seine Herstellung. Es geht darum, Erfahrungsprozesse in Gang zu bringen. Einige Arbeiten thematisieren Alltagszenen aus den Bereichen Ernährung, Drogen oder Geschlechterbeziehungen. „Andere zielen stärker auf eine metaphorische oder erkenntnistheoretische Bearbeitung des Themas. Eine dritte Ebene ist in der spielerischen Erfahrung gegeben“, fasst Schirn-Kuratorin Martina Weinhart die Struktur der Ausstellung zusammen. Zur letzten Kategorie gehört auch der sechseckige Brunnen im Außenbereich, den man trockenen Fußes durchschreiten kann – wenn man sich traut. Seine kräftigen, hohen Wasserstrahlen versiegen, wenn man sich ihnen nähert und geben den Weg zunächst frei. Hinter einem schließt sich die Wasserwand allerdings wieder.

Wie ungefährlich die Arbeiten in Wirklichkeit auch sein mögen – sie symbolisieren unser ambivalentes Verhältnis zur Gefahr, so Hollein. Das kalkulierte Risiko scheine heute einer der zentralen Erfahrungswerte der westlichen Gesellschaft zu sein, die Freizeitrituale wie Bungee-Jumping, Paragliding oder andere Extremsportarten als Symptome produziere. Diese gesellschaftliche Schizophrenie thematisierten die Künstler in ihren Arbeiten.

 

Auf eigene Gefahr/At Your Own Risk
Schirn Kunsthalle Frankfurt
Römerberg
60311 Frankfurt/Main

27. Juni bis 7. September 2003

Katalog: 25 Euro (Ausstellung) beziehungsweise 29 Euro (Buchhandel)
ISBN 3-936919-01-1

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