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Heißer Pfeffer und sinnliche Vanille

27.05.2002  00:00 Uhr

Heißer Pfeffer und sinnliche Vanille

von Brigitte M. Gensthaler, München

Wie kommt Muskatblüte in die Weißwurst, wozu brauchte Herzog Karl der Kühne von Burgund 1468 etwa 380 Pfund Pfeffer und warum rieben sich reiche Römerinnen Safranpuder ins Haar? In der Sonderausstellung "Welt der Gewürze" im Deutschen Museum erfährt der Besucher viel Wissenswertes von Anis bis Zimtrinde.

Ein süßer schwerer Duft zieht durch die Eingangshalle der Bibliothek des Deutschen Museums. Hier ist die vielseitige Ausstellung aufgebaut. Ein großer Gewürzbasar sorgt dafür, dass die Sinne nicht zu kurz kommen. Der Besucher kann gemahlene und ganze Gewürze betrachten und beschnuppern. Wer auf den Geschmack gekommen ist, kann indische Spezialitäten mit exotischen Gewürzen bei "Surabaya" probieren und sich so gestärkt den Schautafel und -objekten zuwenden.

Gewürze waren einst wertvoll wie Gold und haben Weltgeschichte geschrieben. Sie waren eine wichtige Triebkraft der europäischen Expansion und führten dazu, dass sich um 1600 mit den ersten international tätigen Handelsgesellschaften völlig neue Wirtschaftsstrukturen herausbildeten. "Als Fernhandelsgüter hatten Gewürze einst einen ähnlichen Stellenwert wie für uns heute das Erdöl", erklärt die Kuratorin Dr. Elisabeth Vaupel, die auch die Abteilung Chemie des Deutschen Museums leitet.

Dies ist nur eine Facette des Themas, das zur Freude der Kuratorin botanische, pflanzengeographische, historische, technische, kunst- und kulturgeschichtliche sowie volkskundliche und völkerkundliche Komponenten vereint. Und ganz wichtig: Chemie und Pharmazie spielen stark hinein, wurden und werden Gewürze doch wegen ihrer Inhaltsstoffe, zum Beispiel ätherischen Ölen, Scharf- und Bitterstoffen, eingesetzt.

Wie der Pfeffer wächst

"Mit dieser Ausstellung wollen wir auch eine in unserem Museum eher unterrepräsentierte Gruppe anlocken: die Frauen", sagt Vaupel. Ebenso sollen kulturhistorisch interessierte Menschen in das naturwissenschaftlich-technische Museum gelockt werden. Dem dient auch die Kooperation mit dem Botanischen Garten in München-Nymphenburg.

"Viele Menschen wissen nicht, wie Gewürzpflanzen aussehen, welche Teile verwendet werden und wo die Pflanze beheimatet ist. Dies können sie bei uns ideal kennen lernen", wirbt Dr. Ehrentraud Bayer, die den Botanischen Garten als "lebendes Museum" bezeichnet. Auf einem "Gewürzpfad" trifft der Besucher in Lauf des Jahres auf mehr als 50 Gewürzpflanzen. Tropische Pflanzen findet er im Gewächshaus, andere im Freiland. Ein "Pflanzen-Highlight" will die Hauptkonservatorin nicht benennen. "Aber man muss schon mal gesehen haben, wie der Pfeffer wächst." Eher unscheinbar sei dagegen die Vanille. Ihr Geheimtipp: "Derzeit blüht der Kapernstrauch".

Würzige Arzneien

Jahrhunderte lang dienten Gewürzpflanzen wie Salbei, Anis, Fenchel und Kümmel als Arzneien. Seit dem frühen 9. Jahrhundert wurden in Klostergärten beispielsweise Salbei, Raute, Rosmarin, Poleiminze, Liebstöckel, Thymian und Dill angebaut. Eine Auswahl der in Klosterapotheken erhältlichen Importgewürze liest sich wie die Zutatenliste unserer Weihnachtsbäckerei: Ingwer, Kardamom, Koriander, Piment, Zimt, Orangeat, Muskat, Pfeffer, Nelken und Pistazien. Nicht zufällig entwickelte sich die Pfeffer- und Lebkuchenbäckerei in den Klöstern. Auch Gewürzweine und Kräuterliköre gehörten zum Repertoire der geistlichen Arzneibereiter.

Um schwierige Geburten zu fördern oder eine ungewünschte Leibesfrucht auszutreiben, griffen verzweifelte Frauen früher zu Muskat, Raute, Salbei, Rosmarin, Thymian, Petersilie, Ysop oder Safran. Pestärzte schützten sich vor einer Ansteckung mit Gesichtsmasken, in deren lange Nase Kräuter und Gewürze gefüllt wurden. Seit dem Mittelalter sollten Bisamäpfel, gefüllt mit Köstlichkeiten wie Zimt, Nelken, Safran, Rosmarin und Lavendel, vor "schlechter Luft" schützen. Zum Teil hat sich dieser Gedanke in der Aromatherapie erhalten.

Vanille macht Lust

Bei aller pharmazeutischen Begeisterung darf man eine beliebte Indikation verschiedener Gewürze nicht vergessen: Sie galten als Aphrodisiaka. Reiche Römerinnen rieben sich Safranpulver ins Haar, Muskatnüsse wurden in Europa als Liebesamulette getragen, und die Gartennelke ist seit dem Mittelalter die typische Verlobungsblume. Vanille galt wie Kakao schon den Azteken als wirkungsvoller Lustförderer. Dieser Ruf trug zu ihrer auffallenden Beliebtheit in Frankreich bei und ist einer der Gründe, warum mit Vanille gewürzter Kakao als Potenzierung eines Aphrodisiakums so beliebt war.

Die Vanille (Vanilla planifolia) ist die einzige Nutzpflanze innerhalb der Orchideen und wuchs ursprünglich ausschließlich in den küstennahen tropischen Regenwäldern Südostmexikos und Mittelamerikas. Die Europäer lernten die feine Schote erst vor etwa 500 Jahren kennen. Neben Chili und Piment ist sie eines der drei bedeutenden Gewürze, die die Seefahrer aus der Neuen Welt mitbrachten.

Da die Kultur der Vanille bis heute extrem viel Handarbeit erfordert, ist das Naturprodukt nach Safran das teuerste Gewürz der Welt. Die Hausfrau - und sehr viele Industriezweige - behelfen sich mit Vanillin. 1874 gelang Wilhelm Haarmann, einem Schüler des in Berlin tätigen August Wilhelm Hoffmann, die Synthese dieses Hauptinhaltsstoffs. Deren technische Nutzung legte den Grundstein für die Industrie synthetischer Duft- und Aromastoffe: ein Stück Chemie- und Industriegeschichte.

Rund um die Welt bis an die Isar

Die ältesten Gewürze stammten wohl aus den Ländern am Mittelmeer. Mohn wurde vor 6000 Jahren aus dem sonnigen Süden nach Mitteleuropa gebracht, wenig später kamen Petersilie und Sellerie, berichtet der Geobotaniker Professor Dr. Hansjörg Küster aus Hannover. Mit Schiffen über das Meer und mit Kamelen quer durch die arabische Wüste brachten Händler ihre wertvolle Fracht aus dem Zweistromland, aus Ägypten, China und Indien. Etwa 80 verschiedene Gewürze waren im alten Rom bekannt. Das Luxus liebende Volk rottete erstmals in der Geschichte eine Gewürzpflanze aus: Silphion oder Silphium aus Kyrene in Nordafrika fiel der Wirtschaft zum Opfer.

"Gewürzhandel hat viel mit der Globalisierung zu tun", erklärt Küster. Handelsbeziehungen entstanden quer um den Globus. Im späten Mittelalter wurde Afrika umrundet, Portugiesen und Holländer kamen per Schiff direkt zu den Gewürzinseln des Fernen Ostens und legten dort umfangreiche Kolonialreiche an. Reich wurden nicht die Erzeugerländer, sondern die Händler und Kolonialherren, aber auch Städte wie Venedig, Lissabon und Nürnberg. Den "Pfeffersäcken" ging es gut.

Mit der Ausstellung liefert das Deutsche Museum auch ein Stück Lokalgeschichte. Von Venedig über die Alpen kommend, wurden die Waren auf Flößen über die Isar weitertransportiert. Nelken, Muskat und Pfeffer wurden in Münchens Floßhäfen gelöscht und gelangten von hier aus in die zahlreichen typischen Wurstgewürzmischungen. Noch heute ist die Münchner Weißwurst ohne die "Muskatblüte", genauer Macis, undenkbar.

Mit der zunehmenden Verbreitung der Pflanzen haben sich auch die Assoziationen verschoben, zeigt Küster an Beispielen. Wer von Kapern spricht, denkt nicht mehr an den Nahen Osten, sondern an Königsberger Klopse. Dill, ursprünglich vielleicht aus Ägypten kommend, gilt als Charaktergewürz nordischer Fischgerichte. Paprika wird heute nicht mehr mit Mittelamerika, sondern mit Ungarn assoziiert.

Bleibt noch die Frage nach Karl dem Kühnen und seinen Pfeffersäcken. Der Herzog von Burgund, damals ähnlich reich wie heute Bill Gates, feierte 1468 seine Hochzeit. Pfeffer war damals ein kostbares Produkt, das aus Hinterindien um die halbe Welt transportiert wurde. Solche Gewürze galten bei reichen Leuten eben auch als Statussymbol. Und sie sollten die Gerüche nicht mehr frischen Fleisches überdecken und die Verdauung anregen, erzählte Küster. Johann Fischart schrieb dazu in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts: "Über ein stinkend Fleisch macht man gerne einen Pfeffer." Da hält man es lieber mit der Viersäftelehre, nach der Pfeffer als trocken und heiß im dritten Grad galt: ein besonders wirksames Aphrodisiakum.

 

Die Sonderausstellung "Welt der Gewürze" in der Eingangshalle der Bibliothek des Deutschen Museums, Museumsinsel 1, ist bis 31. Dezember täglich von 9 bis 17 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei. Ein reich bebilderter Begleitband ist für 15 Euro in der Ausstellung und im Museums-Shop erhältlich. Der Botanische Garten in der Menzinger Straße 65 ist in den Sommermonaten von 9 bis 19 Uhr geöffnet; die Gewächshäuser schließen über Mittag.

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