Abenteuer der Erkenntnis |
16.05.2005 00:00 Uhr |
Die Welt ist kein wunderbares Uhrwerk, das präzise nach dem immer gleichen Muster arbeitet. Energie, Masse und Licht hat Albert Einstein neu erklärt, Raum und Zeit die Absolutheit genommen.
»Er nahm uns die Sicherheit des Newtonschen Weltbildes«, sagte Professor Dr. Wolfgang M. Heckl, Generaldirektor des Deutschen Museums, bei der Eröffnung der Ausstellung zum Einsteinjahr. Die Architektur der Ausstellung, die am 5. Mai 2005 eröffnet wurde, greift diese Idee auf: In einem dunklen, optisch nicht begrenzten Raum scheint ein weißes Raumschiff zu schweben. Im Zentrum fesselt ein großes futuristisch anmutendes Objekt die Aufmerksamkeit: das Interferometer nach Georg Joos, das die Geschwindigkeit zweier Lichtstrahlen relativ zueinander misst. Mit dieser Maschine versuchte man 1930, den »Äther« nachzuweisen. Bis dahin hatte man angenommen, dass das gesamte Weltall mit diesem Medium gefüllt ist. Der Versuch misslang und stützte damit Einsteins Theorie, dass sich Licht auch im Vakuum ausbreitet.
Den Titel für die Ausstellung im Deutschen Museum lieferte Einstein selbst. »Physik als Abenteuer der Erkenntnis« hatte er eines seiner Bücher genannt, das 1938 erschienen war. Einstein präsentierte darin Physik als eine Detektivgeschichte mit noch offenem Ausgang. Wissenschaft als permanente Suche diese Idee spiegelt sich in der Ausstellung wider. Sie zeigt nicht die fertigen Theorien des Physikers, sondern zeichnet den Weg dorthin nach. Betritt man die Ausstellung, so löst sich das Raumschiff in vierzehn weiße Türme auf, angeordnet zu einer geschlossenen Ellipse. Auf der Innenseite dieser Schaukästen folgt man den Ideen Albert Einsteins, auf der Außenseite spüren Briefe und Zeitungsausschnitte seinem Leben nach und reflektieren die Wirkung seiner Theorien auf Politik und Gesellschaft.
Aufbruch ins technische Zeitalter
Albert Einstein ist in einem anregenden Umfeld aufgewachsen: Vater und Onkel betrieben eine elektrotechnische Fabrik in München. Er hatte die Technik immer vor Augen, und er war immer auf der Suche nach Neuem. »Das Schönste, was wir erleben können, ist das Geheimnisvolle. Es ist das Grundgefühl, das an der Wiege von wahrer Kunst und Wissenschaft steht«, schrieb er später.
Sein Onkel versorgte ihn mit Büchern zur Mathematik, anhand derer er sich schon früh immense Kenntnisse aneignete. Humboldts »Kosmos«, Ludwig Büchners »Kraft und Stoff« sowie Immanuel Kants »Kritik der reinen Vernunft« schärften sein Denken, die »Naturwissenschaftlichen Volksbücher« von Aaron Bernstein beflügelten seine Fantasie. »Wie wäre es, wenn man hinter einem Lichtstrahl herliefe? Wie, wenn man auf ihm ritte?« Um solche Fragen kreisten Einsteins Gedanken schon als Schüler. Sie bahnten seinen Weg zur Relativitätstheorie.
Es war eine aufregende Zeit, in der er aufwuchs: Eisenbahnen ermöglichten die ersten Reisen, der Elektromotor wurde erfunden, ein wachsendes Telefonnetz begann, die Welt zusammenrücken zu lassen. In der Ausstellung weist eine Wanduhr darauf hin, dass die Synchronisation von Zeit ein Problem war, das gelöst werden musste. »Wenn Sie damals von München nach Augsburg mit dem Zug fuhren, mussten Sie Ihre Uhr verstellen«, erläuterte Dr. Christian Sichau, verantwortlich für das Ausstellungskonzept. Geschwindigkeit, Beschleunigung, Synchronisation von Zeit waren beherrschende Themen des beginnenden 20. Jahrhunderts. Die Zeit als vierte Dimension, eng verknüpft mit den drei Dimensionen des Raumes, regte damals die Fantasie nicht nur von Wissenschaftlern, sondern auch Künstlern an.
Das alles bildete den Stoff, aus dem der Physiker seine Theorien wob. »Einstein hatte den Korb voll mit Fragen und Widersprüchen, die ihn inspirierten«, fasst Dr. Jürgen Neffe zusammen, Autor des Buches »Einstein. Eine Biographie«.
Die Schaukästen der Ausstellung zeigen zur einen Seite Einsteins Weg in den Mikrokosmos. Sein Beitrag zur Quantentheorie beginnt mit dem 1905 veröffentlichten Artikel zum photoelektrischen Effekt, der siebzehn Jahre später mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Gut dreißig Jahre später wurde der erste Laser entwickelt, basierend auf Einsteins Werk. Im Museum präsentieren sich Idee und Anwendung nebeneinander. Folgt man den Ausstellungsblöcken zur anderen Seite hin, begleitet man den Physiker in den Makrokosmos, ein Weg, der ihn zunächst zur speziellen und schließlich zur allgemeinen Relativitätstheorie führte. Er verknüpfte Raum und Zeit, Geschwindigkeit und Gleichzeitigkeit auf völlig neue Weise. Am Ende schließt sich der Kreis mit all den Anwendungen, die auf Einsteins Werk zurückgehen: Laser, Fernseher, Siliziumchip und GPS. So beginne die Ausstellung mit Technik, meint Sichau, und ende auch damit.
In seinen letzten Lebensjahren setzte sich der Wissenschaftler zunehmend kritisch mit seinem Werk auseinander. Er stellte es mehr und mehr infrage, und er versuchte vergeblich, Quanten- und Relativitätstheorie in einer Feldtheorie zusammenzufassen. Der Mensch Einstein rang jedoch damit, nicht nur Theorien zu entwickeln, die die Wirklichkeit beschreiben, sondern auch Wahrheit zu finden. Der Glaube an Gott, der ihn in jungen Jahren geprägt und den er später verworfen hatte, schimmerte im Alter zunehmend durch. So schrieb er 1926: »Die Theorie liefert viel, aber dem Geheimnis des Alten bringt sie uns kaum näher.«
Einstein und das Deutsche Museum
Schon in den Zwanzigerjahren wollte das Deutsche Museum Einsteins Relativitätstheorie eine Ausstellung widmen. Doch es gestaltete sich inhaltlich schwierig, und Einstein war schon da eine umstrittene Persönlichkeit. Fachliche Kritik an seiner revolutionären Physik mischte sich mit dem aufkommenden Antisemitismus. Das Projekt wurde fallen gelassen.
Am Eingang der Ausstellung dokumentiert eine Urkunde aus dem Jahr 1920 Einsteins Mitgliedschaft im Deutschen Museum, aber auch die Notiz über seinen Ausschluss vierzehn Jahre später. Das Deutsche Museum habe an Einstein etwas gutzumachen, sagte Heckl.
Anlass zu der Ausstellung, die noch bis zum 30. Dezember 2005 zu sehen sein wird, sind der 50. Todestag Einsteins und das 100. Jubiläum des Annus mirabilis 1905, in dem der Wissenschaftler seine Arbeiten zur Atomphysik und speziellen Relativitätstheorie publizierte.
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