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Die deutsche Krise meistern

21.04.2003  00:00 Uhr
Pharmacon Meran

Die deutsche Krise meistern

von Bernd Theimann, Eschborn

„Deutschland zwischen Bangen und Hoffen“ heißt der Vortrag von Historiker und Publizist Professor Dr. Arnulf Baring anlässlich der Eröffnungsveranstaltung des Pharmacons in Meran am 25. Mai 2003. Baring, bekannt durch seine provokativen politischen Kommentare, ist zurzeit einer der gefragtesten Gesprächspartner in öffentlichen Diskussionen.

Selten hat ein Mann die öffentliche Meinung polarisiert wie er. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 19. November 2002 schrieb Baring unter anderem, dass die Geduld der Deutschen am Ende sei. „So wie bisher geht es auf keinen Fall weiter. Die Situation ist reif für einen Aufstand gegen das erstarrte Parteiensystem. Ein massenhafter Steuerboykott, passiver und aktiver Widerstand, empörte Revolten liegen in der Luft. Bürger auf die Barrikaden! Wir dürfen nicht zulassen, dass alles weiter bergab geht, hilflose Politiker das Land verrotten lassen“. Längst habe der Bundestag abgedankt und Politik werde nur noch in Hinterzimmern oder Büros von Gewerkschaftsfunktionären gemacht.

Mit seiner Forderung nach „politischer Kur an allen Gliedern“ hat er das Land aufgerüttelt. Der Historiker hält vor allem die lähmende Überbürokratisierung Deutschlands für ein vorrangiges, alle Initiativen hemmendes Problem. Die Politik sei von einer Regulierungswut besessen, die das Leben im Keim zu ersticken drohe. Abgesehen davon, dass dadurch der deutschen Wirtschaft jährlich immens hohe Kosten entstünden, nähmen hier im Vergleich zu anderen europäischen Ländern – von den USA und Japan ganz zu schweigen - Planungs- und Genehmigungsverfahren ein Vielfaches an Monaten, mitunter Jahren, in Anspruch.

Zustimmung und Kritik

Zum Aufruf „Bürger auf die Barrikaden“ gab es in viel kritische Resonanz. Der FAZ–Artikel wurde als „fulminanter Endzeit-Beitrag“ gescholten, ohne Kosten-Nutzen-Abwägung der Lösungsvorschläge, stattdessen mit überbordender Häme, misslungenen Vergleichen, pseudorevolutionärer Agitation und fehlendem Realitätssinn. Auch seine Behauptung, die Bundesrepublik sei zu einer westlichen „DDR light“ mutiert, stieß auf erhebliche Kritik. Schließlich sei die DDR eine Parteidiktatur gewesen, ein menschenfeindliches System, das zu einem Vergleich nicht tauge.

Klar ist, dass Barings provokante Thesen nicht nur Zustimmung ernten. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse äußerte sich anlässlich des 70. Geburtstags des Historikers im Mai vergangenen Jahres wohlwollend, und hob dessen hervorragendes wissenschaftliches Renommee hervor. Er habe die historisch-politische Streitkultur in Deutschland wesentlich mitgeprägt. Die Auseinandersetzung mit seinen Veröffentlichungen, Analysen und unbequemen Thesen sei nicht nur für die Wissenschaft, sondern gerade auch für die Politik immer wieder anregend. Er wünsche ihm weiterhin einen kritischen Blick auf das, was um ihn herum in Politik und Gesellschaft geschehe.

Hoffung und Zweifel

Baring ist sich nicht sicher, ob die deutsche Politik zu entscheidenden ökonomischen und sozialen Reformen fähig ist. Denn schon im Bundestagswahlkampf sei es kaum mehr um substanzielle politische Probleme gegangen, sondern vielmehr um Demoskopie und Medienwirkung. Alles, was an den Kern der Krise rührt, sei tabuisiert worden. Dies erläuterte er am Beispiel der Pisa-Studie. Auf eine offenkundige Bildungsmisere habe man nur wieder technokratisch und formal reagiert: in Berlin mit einer Oberstufenreform, die Schlüsse aus Pisa pseudowissenschaftlich ins Gegenteil verkehre. Auch den Wahrheitsausschuss des Bundestages hält er für ein taktisches Ausweichmanöver. Unionspolitiker hätten genug Informationen über die Haushaltslage gehabt. Alle Parteien scheuten davor zurück, der Bevölkerung reinen Wein einzuschenken, weil sie schon an die nächsten Landtagswahlen denken.

Um die Krisen einer Nation zu lösen, ist seiner Auffassung nach auch ein gemeinschaftlicher Zusammenhalt notwendig. „Wir werden ohne ein neues Gemeinschaftsgefühl, ohne einen neuen Patriotismus mit der Konsolidierung nicht zu Rande kommen“, fordert er. Trotz aller historischer Fehler („Auschwitz dürfen wir natürlich nie vergessen“) könne die Grundlage unserer Identität nur ein halbwegs positives Verhältnis zu uns selbst sein, denn „wer sich selbst nicht mag, kann auch andere nicht mögen, er entwickelt keine Überzeugungskraft nach innen oder nach außen.“

Demographische Katastrophe

Baring weist immer wieder darauf hin, dass die demographische Katastrophe, vor der wir stehen, ins Bewusstsein dringen müsse. Unsere Bevölkerung werde sich voraussichtlich bis zum Ende des Jahrhunderts halbieren, was nicht mit mehr Zuwanderung kompensiert werden kann. Familien, so fordert er, müssen so gestellt werden, dass sie sich Kinder leisten können. In der Familienpolitik werde tabuisiert, dass es eine halbe Million Euro koste, ein Kind großzuziehen. Damit hänge zusammen, dass die Generationengerechtigkeit seit Jahrzehnten missachtet wird. Für ungeheuerlich hält er, dass die Politik die Alten bevorzugt und die Jungen schädigt – von der Bildung über den Arbeitsmarkt bis zu den Renten. Er fordert, dass sich Zuwanderer auf eigene Kosten und mit eigenen Anstrengungen in die deutsche Sprach- und Kulturgemeinschaft integrieren müssen. Ganz allgemein gelte, wer sich aus öffentlichen Mitteln unterstützen lasse, müsse auch eine entsprechende Gegenleistung für die Gesellschaft erbringen. Top

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