Pharmazeutische Zeitung online

Lange Zeit auf falscher Fährte

09.04.2001  00:00 Uhr

GESCHICHTE DER CHOLERA

Lange Zeit auf falscher Fährte

von Martin Militz, Potsdam

In den 30er-Jahren des 19. Jahrhunderts rüttelte eine tückische Krankheit Europa auf - die asiatische Cholera. Die Cholerapandemie nahm1816/17 ihren Anfang in Hinterindien und gelangte über Persien und das Kaspische Meer nach Astrachan. Bis zum Februar 1831 wurden in Moskau von 8731 Erkrankten 4500 von der Seuche dahingerafft. Sie ergriff weite Teile Russlands und forderte schon bald ihre Opfer in St. Petersburg.

Im Frühjahr 1831 erreichte die Seuche Königsberg, im Sommer desselben Jahres brach in Berlin die so genannte Cholera asiatica aus, an der auch Friedrich Hegel im November 1831 starb. Die Bezeichnung Cholera asiatica s. indica s. epidemica unterschied diese neue, schwere Form der Cholera von der bekannten Cholera nostras, dem Brechdurchfall oder Brechruhr.

Der Seuche musste Einhalt geboten werden. Deshalb setzte die kaiserliche russische Regierung einen ansehnlichen Preis für medizinische Arbeiten zur Bekämpfung der Cholera aus. Das Interesse der Ärzteschaft war groß. Auch ein deutscher Arzt befand sich unter den Preisbewerbern.
In der Hahn'schen Hofbuchhandlung zu Hannover veröffentlichte im Jahr 1831 ein in der Anonymität bleibender Arzt eine 70 Seiten umfassende Abhandlung. Ihr Titel lautete "Neue specifische Heilmethode der epidemischen Cholera oder (richtiger) des Cholera Fiebers, mittelst des fiebervertreibenden Princips der Chinarinde".

"Die eigentliche Cholera wird bei uns, wenn der Arzt frühzeitig genug hergerufen wird, fast immer sicher und schnell durch Opium geheilt (3). Da aber auch große Dosen der Tct. Opii bis 60 Tropfen pro Dosis bei der Behandlung dieser Cholerakranken keinerlei Wirkung erkennen ließen, musste auf eine neue, heimtückische Form der Cholera geschlossen werden."

Um eine Verbreitung des Cholerafiebers zu verhindern, müssten bereits die Vorboten der Krankheit bekämpft werden. Wenn ein bis dahin Gesunder einen ganz "eigentümlichen, ängstlichen Ausdruck im Gesicht" zeige und er über ein unbestimmtes Unwohlsein klage, vielleicht auch mit dünnem Stuhlgang behaftet, müsse zunächst ein Brechmittel gegeben werden. Hier sei eine Gabe von Tct. Ipecacuanhae in Verbindung mit einer hinlänglichen Dosis Tartarus emeticus zu verabreichen, da Tartarus emeticus zudem einen hohen "antifebrilen Werth" hat. Zur Weiterbehandlung sei - je nach Art des Vorboten der Krankheit - zu Ader zu lassen oder bei deutlicher Fieberanstieg das Cort. Chinae zu geben.

Reicheren könne man statt dessen auch Vinum Chinae verabreichen. Zeige sich dagegen das unauslöschliche Verlangen nach kaltem Wasser, müsse man dem Kranken sofort kalte Getränke oder auch Eisstückchen in den Mund geben. Außerdem könne das frühzeitige Auflegen eines Blasenpflasters in der Magengegend vor dem vollständigen Ausbruch der Krankheit von Nutzen sein. Doch müsse das Emplastr. vesicatorium, da es mit Canthariden bereitet wird, mit Bedacht angewandt werden. "Das wesentlichste und zugleich gefährlichste Symptom ist der heftige und anhaltende Starrfrost, der in eine wahre Totenkälte übergeht. Die dringendste Aufgabe ist nun, die Lebenswärme wieder zur Peripherie zu treiben. Gewöhnliche Erwärmungsmittel wie heißer Sand, Wärmflaschen, reichen häufig nicht aus. Stärkere Wirkung haben heiße Essigdampfbäder. Zum Abreiben des kalten und starren Körpers ist zu empfehlen, eine Mischung von einem Pfund reinsten Brandwein, versetzt mit zwei Unzen spanischen Pfeffers, drei Drachmen Kampfer und drei Unzen weißem Terpentin. Bei Reichen ist auch das bekannte Kölln'sche Wasser mit Nutzen anzuwenden."

Aber auch mit inneren Arzneimitteln müsse der ungeheure Frostanfall und die schmerzliche Verkrampfung beim asiatischen Cholerafieber bekämpft werden. Hier sei als Hauptmittel die Rad. Serpentaria virginianae - die Virginische Schlangenwurzel - zu nennen, welche im Wechselfieber insbesondere in Verbindung mit Rad. Chinae sich schon immer bewährt habe. Man gebe in diesem Falle 20 bis 30 Gran (ein Gran=0,5 Gramm) der gepulverten Substanz oder dem weingeistigen Auszug. Zur Beruhigung eines Krampfes im Gefäßsystem sowie zur Dämpfung des Erbrechens und der heftigen Diarrhoe sei Opium anzuwenden. Das Opium wirke hier nicht als Cholera Specificum, sondern als Nervinum sedans.

Auf einer von der Oberhaut entblößten Stelle sei das Acetas morphicus aufzutragen. Anstelle dieses neuen vorzüglichen Morphinsalzes, falls noch nicht erhältlich, sei eine aus Extr. Oppi und Mandelöl bereitete Salbe zu verwenden. Die Stelle, die sich am besten für diese Applikation eignete, liege über dem Brustbein. Die erforderliche Eröffnung der Haut sei mit einem in kochendes Wasser getauchten kleinen Eisenhammers zu erzielen, welchen man fest auf die Haut drücke. Nach dem Öffnen der in dieser Weise erzeugten Blase, streut man ein halbes Gran Acatas morphicus in die Wunde. Die empfohlene Methode lässt das Martyrium der geplagten Kranken erkennen.

Nach Meinung des unbekannten Verfassers ist die seit Jahren in Ostindien und vielen anderen Ländern Ostasiens herrschende Cholera bisher völlig verkannt und daher unwirksam behandelt worden. Den Berichten englischer Ärzte aus Indien glaubt er entnehmen zu können, dass "die bis jetzt Cholera morbus asiatica genannte Krankheit nichts anderes sey, als eine bestimmte Form von Sumpfwechselfieber". Sie ist daher mit dem Specificum gegen alle Formen dieses Fiebers - dem Sulphas chinicus - zu behandeln. Nach ausführlichen Hinweisen für die Behandlung kommt der Verfasser jedoch zu dem bemerkenswerten Schluss, dass "Wir noch keine Erfahrung über die Wirksamkeit des Chinins im Cholera Fieber haben können". Es sei ihm bewusst, dass viele Ärzte seine Ansicht über die wahre Natur dieser mörderischen Krankheit nicht teilen werden. Manche werden seine Erkenntnisse in theoretischer Hinsicht als Paradoxie und in praktischer Hinsicht als Experimentum periculosum abwerten.

In Abständen von wenigen Jahren kam es in Deutschland und vielen anderen Ländern Europas und Asiens zu heftigen Ausbrüchen von Cholera-Epidemien, zuletzt 1892 in Hamburg mit mehr als 8500 Toten. Bis etwa zum Ende des vorherigen Jahrhunderts waren die Ursachen für Erkrankung weitgehend rätselhaft. Max Pettenkofer (1818-1910), der 1865 in München den ersten deutschen Lehrstuhl für öffentliche Hygiene erhalten hatte, war noch auf der Cholera-Konferenz in Weimar 1867 der Meinung, dass die Bodenbeschaffenheit und deren Ausdünstungen für die Entstehung der Cholera verantwortlich seien.

Robert Koch (1843-1910) war bereits Leiter des neugeschaffenen Reichgesundheitsamtes, als er 1883 den Erreger der Cholera entdeckte. Mit der Auffindung des Vibrio cholerae und seiner Verbreitungswege, begann seine wirksame Bekämpfung. In den Beschlüssen der Magdeburger Cholera-Konferenz von 1894 hieß es "Der sicherste Schutz gegen die Cholera ist die in Cholera-freien Zeiten ausgeführte Gesundung der Städte und Ortschaften durch Beseitigung der Abfallstoffe und durch reichliche Versorgung mit reinem Trinkwasser".

 

Literatur

  1. Meyers Konversationslexikon Leipzig und Wien 1890
  2. Krehnke,Walter "Der Gang der Cholera in Deutschland seit ihrem 1. Auftreten bis heute. Berlin1937
  3. Anonym, Neue specifische Heilmethoden der epidem. Cholera, Hannover 1831
  4. Hager, Hermann, Technik der Pharmaceutischen Receptur, Berlin 1890

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