Dolchstoß |
20.11.2000 00:00 Uhr |
Zyniker dürften annehmen, der neuerliche BSE-Auftrieb komme Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne) gerade recht. Seit einigen Tagen wird wieder eifrig diskutiert. Die europäischen Landwirtschaftsminister und deren Kolleginnen und Kollegen aus den Gesundheitsressorts suchen nach Lösungen.
Während Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke (SPD) bemüht ist, den durch die Rinderseuche angerichteten Flurschaden unter Berücksichtigung europäischer und eigener Interessen einzugrenzen, fordert nun auch die Gesundheitsministerin schärfere Tests. Wie eine Grippewelle scheuchen die Bilder von torkelnden und dahinsiechenden Rindern die Nation auf. Immer mehr Menschen sterben in Europa an der neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit.
Erst jetzt - die Katastrophe ist bereits seit Jahren in vollem Gange - treffen sich einmal mehr die Ministerialen, um sich zu beraten und möglichen Konfliktstoff zu begraben. Die herbei gesehnte Chance bieten BSE-Tests, die wie in Nordrhein Westfalen seit 1999 - längst hätten realisiert werden können, aus Kostengründen aber nicht flächendeckend angewendet wurden.
Während in Brüssel, Berlin und Paris um die Termine zur Testeinführung gestritten wird, dümpelt die Reform des deutschen Gesundheitswesens weiter vor sich hin.
Der Anfängerbonus, der der Rentenspezialistin Fischer zum Beginn der Legislaturperiode eingeräumt wurde, scheint dahin. Anzeichen für die drastische Verschlechterung ihrer Position im Schröder-Kabinett war nun die handfeste Kritik der fünf Wirtschaftsweisen. Im Jahresgutachten kamen Finanz-, Haushalts- und sogar die Riestersche Rentenpolitik gut weg. Zur Halbzeit seiner Regierung durfte sich der Kanzler ungeahnt freuen. Nur für Frau Fischer hagelte es schlechte Noten. Ihre Gesundheitsreform 2000 werde vielen Anforderungen nicht gerecht. Die Ökonomen warnten davor, die GKV-Beitragsstabilität weiterhin zum einzigen Ziel einer rot-grünen Gesundheitspolitik zu stilisieren.
Vor dem Hintergrund demografischer Veränderungen, medizinisch-technischen Fortschritts und veränderter Morbidität seien "steigende Beitragssätze keine Fehlentwicklung". Vielmehr solle sich eine dringend erforderliche Reform zum Beispiel mit der Fehl- oder Überversorgung beschäftigen.
Ein Dolchstoß in den Rücken der Ministerin. Die seit Wochen hinter vorgehaltener Hand diskutierten Varianten einer möglichen Regierungsumbildung in Berlin bekommen durch solch fachlich geäußerte Kritik neue Nahrung. Und auch die Profilierung der Ministerin durch ein engagiertes Zupacken in Sachen BSE täuscht nicht darüber hinweg: Fischer geht schweren Zeiten entgegen.
So konstatierte am Montag auch der Spiegel bislang der grünen Ministerin wohlgesonnen , dass nicht nur Fischer, sondern auch deren Staatssekretäre Jordan und Nickels die Kompetenz fehle.
Die ganze Misere wird komplettiert durch die Ergebnisse einer aktuellen emnid-Umfrage. Demnach trauen nur 43 Prozent der Befragten der Regierung eine Lösung der Probleme zu. Zwei Drittel der Befragten bewerten das deutsche System nicht zuletzt wegen der Rationierungsmaßnahmen - als Zwei-Klassen-Medizin.
Andrea Fischer hat viele heiße Eisen angepackt. Aber ihr fehlen langjährige Kontakte, Beziehungen und auch Seilschaften. Zu viele Projekte scheitern bereits in den Ansätzen, bewähren sich nicht im System. Auch wenn ein hartes Durchgreifen gegen BSE sinnvoll ist und der engagiert wirkenden Ministerin zugute geschrieben werden kann: Erledigt ist nur eine kleine Teilaufgabe.
Der Versuch der Grünen-Bundestagsfraktion und der Parteispitze, ihrer Ministerin durch ein eigenes Programm zur Gesundheitspolitik und durch die Ankündigung stärkeren Engagements Rückendeckung zu verschaffen, unterstreicht eher die Ohnmacht als den Erfolg der Ressortchefin.
Spannend ist, wie viel Schonzeit der zurzeit erfolgsverwöhnte Kanzler seiner Ministerin noch geben wird.
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