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Pawlowscher Reflex

18.10.2004  00:00 Uhr

Pawlowscher Reflex

Um das Jahr 1890 herum begann der russische Physiologe Iwan Petrowitsch Pawlow mit Hunden zu experimentieren. Er lies eine Glocke schellen und präsentierte ihnen kurze Zeit später Futter in einem Napf; bei den Hunden floss der Speichel. Nach mehreren Versuchen schellte nur noch die Glocke. Auch ohne Futter setzte der Speichelfluss ein. Physiologen nennen dieses Verhalten einen bedingten Reflex, den Prozess klassische Konditionierung. Das funktioniert bei allen höheren Lebewesen bis hin zum Menschen, also auch bei den Verantwortlichen des Arzneiverordnungsreportes.

Verhaltensforscher wissen, dass ein einmal generierter bedingter Reflex eine sehr stabile Reaktion ist, sie läuft immer wieder gleich ab. Ein Rückblick auf die jährlichen Präsentationen des Arzneiverordnungsreportes und besonders auf dieses Jahr belegt dies. Jahr für Jahr, wenn die Kameras und die Aufnahmegeräte surren, erzählen die Autoren und die Krankenkassen von gewaltigen Einsparpotenzialen. Vor allem die Verordnung von Analog-Präparaten reiße unnötige Löcher in die Kassenfinanzen. Der jährlich auf diese Weise verlustig gehende Betrag ist ebenfalls immer derselbe. In den Jahren 1999 und 2000 waren es 8,2 Milliarden DM, beziehungsweise 8,1 Milliarden DM. Im Gegensatz zu italienischen Restaurants widerstanden Schwabe und Paffrath immerhin der Versuchung einer 1:1-Umstellung auf den Euro. So liegt das postulierte Einsparpotenzial seit 2001 knapp über 4 Milliarden Euro.

Das weitere Procedere ist ebenfalls hundertprozentig formkonstant: Die Ärzte werden aufgefordert, weniger Analog-Arzneimittel und mehr Generika zu verordnen, die Preise der Industrie und die Vertriebsstrukturen für Arzneimittel werden nach der Veröffentlichung von Kassen oder Politik infrage gestellt. Der Ruf nach Änderungen in der Vertriebsstruktur wird laut.

Dabei, wie bereits erwähnt, eignet sich die Realität nur bedingt, dieses kurzfristig Verhalten zu beeinflussen. So wie den Hunden irgendwann egal ist, ob sie tatsächlich einen Futternapf bekommen, fällt die Kritik an Ärzten, Apothekern und Industrie auch dann heftig aus, wenn die Arzneimittelausgaben sinken und die Kassen Überschüsse erwirtschaften.

Langfristig - und dies zum Trost - setzt sich in der Verhaltensphysiologie das tatsächliche Leben durch. Bleibt der ursprüngliche Reiz langfristig aus, setzt irgendwann auch der bedingte Reflex aus. Bleiben die Arzneimittelausgaben auf dem aktuellen Niveau oder sinken sie gar noch weiter, dann werden irgendwann auch die Autoren des Arzneiverordnungsreportes ihr Verhalten ändern. Noch nicht dieses Jahr, vielleicht wäre auch das kommende Jahr noch zu früh, aber immerhin, es besteht Anlass zur Hoffnung. Denn: Alles fließt, wenn auch manchmal zäh.

Daniel Rücker
Stellvertretender Chefredakteur
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