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Visionen

22.08.2005  00:00 Uhr

Visionen

Angela Merkel hat ihr Kompetenzteam vorgestellt. Seit Tagen sprechen wir nicht mehr über Merz und Seehofer, sondern nur noch über Kirchhoff und von der Leyen. Ohne Frage: Die Kanzlerkandidatin hat taktisches Gespür bewiesen. Sie setzt auf Personen, die Visionen haben, die lieber einen Schritt vorwärts gehen als zurück. Manchem in der eigenen Partei dürfte das suspekt sein. Dass dies dem politischen Gegner nicht geheuer ist, versteht sich von selbst. Angesichts eines neuerlichen Milliardendefizits ist die Hoffnung auf rot-grüne Besserung gering.

Über Professor Dr. Paul Kirchhoff ist viel gesagt und noch mehr geschrieben worden. Grundsätzlich dürfte der Mann nicht falsch liegen, wenn er sagt, dass vieles in diesem Staat einfacher und damit bürgernäher sein müsse, zum Beispiel das Bezahlen von Steuern und damit auch die eigene Steuererklärung. Die Vision hört aber nicht bei den fiskalischen Fragestellungen auf, sie geht weiter. Bald wird sie alle staatlich umsorgten Bereiche erfassen. Auch die Gesundheits- und Sozialpolitik.

Hier schickt Merkel mit Ursula von der Leyen den Shootingstar der Union ins Rennen (lesen Sie dazu diesen Beitrag). Die Mutter von sieben Kindern vereint in sich viele Ideale, die eine rot-grüne Frauen- und Familienpolitik lange gefordert und selbst nur teilweise durchgesetzt hat. Die Mittvierzigerin versteht viel von Ökonomie und Medizin, hat im Krankenhaus gearbeitet, im Ausland gelebt, weiß um die Bedeutung von Familie und ist inmitten einer politischen Familie als Tochter eines Ministerpräsidenten aufgewachsen. Wahlkampf-Herz, was willst du mehr?

Der niedersächsischen Sozialministerin hat man sicherheitshalber ein weites Feld im Kompetenzteam anvertraut. Es reicht von der Gesundheit über Familie bis hin zur Pflege. Das kennzeichnet zutreffend die Kompetenzen der Allrounderin und sichert die Kandidatin gegen das Anspruchsdenken möglicher Koalitionäre ab. Das Signal an Horst Seehofer ist denkbar deutlich: Eine Rückkehr des CSU-Vize in eine unionsgeführte Regierung will man sich noch nicht einmal mehr vorstellen. Wer geargwöhnt hatte, der Union gehe nach Seehofer das Personal aus, ist mit Ursula von der Leyen eines Besseren belehrt worden.

Welche Erwartungen könnten an eine mögliche konservative Gesundheitsministerin geknüpft werden? Das wird auf die Ansprüche ankommen. In Niedersachsen haben die Kieferorthopäden ihre Erfahrungen gemacht; von der Leyen schreckt nicht davor zurück, Unbequemes zu sagen und durchzusetzen. Auftritte wie der von Ulla Schmidt und Edelgard Bulmahn am Montag an der Seite von Pharmalobbyisten absolviert von der Leyen eher missmutig oder gar nicht.

Sie will die Gesundheitsprämie der CDU, auch wenn Sie den Kompromiss mit der CSU mitträgt. Ihr ist eine Reform der Gesetzlichen Krankenversicherung zuzutrauen und auch eine Auseinandersetzung darüber in den eigenen Reihen. Von der Leyen steht wie Kirchhoff für eine neue Politik. Die Union oder eine Koalition müsste sie nur lassen. Und der Wähler? Der wird sich seinen Reim auf die Qualität der Berliner Auftritte machen.

Wenn Professor Dr. Karl Lauterbach für die SPD in den Bundestag ­ und wohl in den Gesundheitsausschuss ­ zieht, dann träfe er möglicherweise mit von der Leyen auf einen starken Widerpart. Der Gesundheitspolitik wird dies nicht schaden.

Thomas Bellartz
Leiter der Hauptstadtredaktion
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