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Spätberufene missachtet Überholverbot

22.08.2005  00:00 Uhr
Ursula von der Leyen

Spätberufene missachtet Überholverbot

von Thomas Bellartz, Berlin

Es gibt nicht viele Gemeinsamkeiten zwischen der Gesundheitsministerin und ihrem gesundheitspolitischen Pendant im Kompetenzteam der Union. Eigentlich nur die eine: Auch Ursula von der Leyen (CDU) gewinnt durch ihr unerschütterliches Lächeln ­ und gilt dabei dennoch als zielstrebig.

Doch hier hören die Gemeinsamkeiten zwischen ihr und Ulla Schmidt auf. Zu unterschiedlich sind die Biografien, zu verschieden die politischen Werdegänge. Die allein erziehende Ulla Schmidt, beamtete Mutter einer Tochter, wühlt sich seit Jahrzehnten durch SPD-Ämter, hat früh im Kampf zwischen den Parteiflügeln und in einer männerdominierten Politwelt bestehen müssen.

Von der Leyen ist einen anderen Weg gegangen, persönlich wie politisch. Die Mutter von sieben Kindern lernte und studierte im In- und Ausland, konzentrierte sich zunächst aufs Wirtschafts-, später auf ihr Medizinstudium und dann auf ihre Familie. 1990 war sie der CDU in Niedersachsen beigetreten. Manche in der Union finden heute noch, das sei reichlich spät gewesen und der Aufstieg ginge demzufolge reichlich schnell. Doch von der Leyen hat ein Vorbild; Ihr Vater war auch Spitzenpolitiker: Ernst Albrecht, ehemaliger Ministerpräsident von Niedersachsen. Albrecht galt als gewiefter Taktierer und strahlte notfalls auch kompromisslose Härte aus. Diese Gene kann Ursula von der Leyen jedenfalls nicht verleugnen.

Kurze kommunalpolitische Episode

Erst im Jahr 2001 startete die Blitzkarriere der in vielerlei Beziehung engagierten Frau. Nach einer kurzen kommunalpolitischen Episode, unter anderem als Fraktionsvorsitzende der CDU im Stadtrat von Sehnde, holte der frisch gewählte niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff die Ärztin in sein Kabinett. Als Sozialministerin beackert die 46-Jährige nun ein Feld, das auf sie perfekt zugeschnitten scheint. Doch der Job ist hart. Bei der Haushaltssanierung wurde besonders im Sozialbereich des Landes gekappt. Von der Leyen konnte sich nicht immer gegen die sozialpolitischen Zumutungen zur Wehr setzen. So wurde in Niedersachsen das Blindengeld gestrichen; der Start für eine bundesweite Debatte. Von der Leyen erhielt über Nacht den Ruf der eiskalten Sozialreformerin, auch wenn sie sich in Fraktion und Kabinett für den Erhalt der Sozialleistung eingesetzt hatte.

Aus den Lobeshymnen wurden insbesondere von der SPD befeuerte Hasstiraden. Andrea Nahles, Ulla Schmidt und andere SPD-Frauen äußerten öffentlich und polemisch ihre Ablehnung gegen die »Supermutti«. Zuletzt nach deren Aufnahme in Merkels Kompetenzteam.

Dabei dürfte Schmidt die Vorgehensweise der Sozialministerin sympathisch sein: Als von der Leyen die finanziellen Forderungen der Kieferorthopäden in Niedersachsen überzogen erschienen, reagierte sie prompt und kompromisslos. Sie erlaubte den Krankenkassen, preiswerte Kieferorthopäden aus dem benachbarten Polen zu engagieren und stellte die Revoluzzer kalt. Eine Ärztin, die sich gegen den Berufsstand stellt? Nicht wenige Beobachter trauten ihren Augen nicht. Doch von der Leyen setzte sich durch.

Lobbyisten haben mit von der Leyen jedenfalls keine Freude. Die Medizinerin kennt die Facetten im Sozial- und Gesundheitswesen. Die ihr nachgesagte brillante und schnelle Auffassungsgabe hat dazu geführt, dass sie sich in kürzester Zeit in das Thema eingearbeitet hat. Im niedersächsischen Landtag jedenfalls mutierte sie schnell zur lächelnden Bastion der CDU auf der Regierungsbank. Und in ihrem Ministerium ist man voll des Lobes für die smarte Chefin. Sie sei eine perfekte Logistikerin und schaffe es, Familie und Job unter einen Hut zu bringen. Davon können sich ihre Mitarbeiter selbst überzeugen, wenn die Ministerin mal eben nach Hause düst, um nach dem Rechten zu sehen oder der Nachwuchs bei Mama im Ministerium vorbeischaut.

Von der Leyen selbst sieht sich nicht als »Supermutti«, daran lässt sie keinen Zweifel. Ihrer Partei jedenfalls ist die Frau geheuer. Und so wurde sie auf dem vergangenen CDU-Bundesparteitag mit mehr als 94 Prozent der Stimmen ins Präsidium der Partei gewählt. Mit dem Rücktritt des Sozialpolitikers Hermann-Josef Arentz bot sich eine Chance zum Aufstieg in den parteipolitischen Olymp ­ von der Leyen nutzte ihn ohne langes Zögern. Schon zuvor war Angela Merkel auf die Niedersächsin aufmerksam geworden. Gemeinsam mit den Amtskolleginnen aus Hessen und Bayern war von der Leyen im Jahr 2004 beauftragt worden, der Union mit einem Arbeitspapier ein schärferes sozial- und familienpolitisches Konzept zu verpassen. Das Ergebnis kam gut an.

Dass von der Leyen Ecken und Kanten hat, die auch für manche Parteigröße schmerzhaft sein können, zeigte sich ebenfalls im Vorjahr. Damals hatte sie ­ kurz vor und auch nach der Einigung mit der CSU über die Gesundheitspauschale ­ klar gemacht, dass es gut sei, sich zu einigen und den innerparteilichen Konflikt beizulegen.

Inhaltlich übte von der Leyen auch öffentlich weiter Kritik ­ und fing sich eine leichte Rüge der Parteichefin ein. Für Horst Seehofer (CSU) ist von der Leyen ein rotes Tuch. Im kleinen Kreis lobt er zwar die Stärke der Landesministerin, kritisiert aber deren Unterstützung für die Gesundheitsprämie der CDU scharf. Auch bei den anderen Gesundheitspolitikern aus dem Bundestag genießt von der Leyen nicht den besten Ruf. Denn in kürzester Zeit hat sie geschafft, wovon manches Mitglied im Gesundheitsausschuss nur träumt: Die Partei- und Fraktionsspitze wird aufmerksam und lockt mit Verantwortung. Und für Personal, dass Merkel außerhalb der Fraktion akquiriert, hat das eiserne »Überholverbot« keine Auswirkung. Für Ursula von der Leyen ohnehin nicht.

Vorläufiger Höhepunkt

Für den vorläufigen Höhepunkt der für Unionsverhältnisse unglaublichen Karriere sorgte Merkel bei der Präsentation ihres Kompetenzteams in der vergangenen Woche. Mittendrin eine lächelnde Spätberufene. Eine Ärztin, die es geschafft hat, Familie und Karriere unter einen Hut zu bringen und sich allem Anschein nach dabei nicht verstellen und schon gar nicht verstecken muss. Familie, Gesundheit, Soziales und Pflege verantwortet die Ministerin nun bis zum 18. September 2005. Nach der Wahl sind die Türen dann weit geöffnet. Familien- oder Gesundheitsministerin soll von der Leyen werden. Obwohl das Familienressort auf den ersten Blick passend erscheint ­ von der Leyen dürfte sich damit nicht zufrieden geben.

Auch wenn sie seit Februar 2005 der Kommission »Eltern, Kind, Beruf« der CDU vorsteht; die gesetzgeberische Einflussnahme einer Familienministerin hält sich auch unter einer konservativ geführten Regierung in Grenzen. Und in der Gesundheits- und Sozialpolitik kennt sie sich mindestens ebenso gut aus. Wie auch immer: Ursula von der Leyen ist einer der Stars im Kompetenzteam der Union. An ihr geht nach einem möglichen Wahlsieg im September kein Weg vorbei.

  Biografie Ursula von der Leyen, geboren am 8. Oktober 1958 in Brüssel, ist verheiratet mit Professor Dr. Heiko E. von der Leyen und Mutter von sieben Kindern.

Von der Leyen besuchte die Europäische Schule in Brüssel (1964 bis 1971), das mathematisch-naturwissenschaftliche Gymnasium Lehrte (1971 bis 1976), studierte Volkswirtschaft in Göttingen und Münster (1977 bis 1980) und an der London School of Economics (1978); anschließend Studium der Medizin an der Medizinischen Hochschule Hannover (1980 bis 1987), nach Staatsexamen und Approbation folgte die Promotion (1991) und der Magister Public-Health (2001).

Von der Leyen arbeitete als Assistenzärztin an der Frauenklinik der MHH, zwischenzeitlich mehrere Jahre in Stanford, Kalifornien/USA, und bis 2002 wieder an der MHH.

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