Klerikaler Eingriff |
12.07.1999 00:00 Uhr |
Das Staunen nimmt kein Ende. Lobbyisten und Verantwortliche im Gesundheitswesen reiben sich seit Monaten verwundert die Augen. Andrea Fischer ist auf dem Kreuzzug. Die Argumente sind ausgetauscht. Fehdehandschuhe geworfen, aufgehoben, eingesteckt. Die nächste Runde wird folgen.
Doch Andrea Fischer gehen die Gegner nicht aus. Anders als ihr christsozialer Vorgänger Horst Seehofer hat die bündnisgrüne Dame ihren seidenen Schal ab- und die Rüstung angelegt. Die Gegnerschaft ist mächtig, hartnäckig und darf sich höchster Unterstützung gewiß sein. Hinzu kommt eine historische Erfahrung, über die die Gesundheitsministerin nicht verfügt: Kreuzzüge gehören ins bewährte Programm der Kirche.
Abtreibung und Mifygene wirbeln nicht erst seit vergangener Woche die Episkopalen im Herzen Europas durcheinander. Wer die Strömungen der Bischofskonferenz, die Diskussionen zwischen dem römischen Oberhirten und seinen deutschen Statthaltern verfolgt, dem sind die Konsenswünsche beider Seiten bekannt. Und trotzdem wird zum Angriff geblasen.
Bewußt ist sich die Kirche, daß sie an der gesetzlich bekräftigten Entscheidung nichts ändern kann. Mit der ohnehin erwarteten Freigabe von Mifygene in Deutschland ergab sich die Möglichkeit, noch einmal in aller Schärfe öffentlich Stellung zu beziehen. Gut vorbereitet. Gezielt. Sogar verletzend.
Die Gräben zwischen Befürwortern und Gegnern sind beim Thema Abtreibung besonders tief. Andrea Fischer hat aber recht, wenn sie sich gegen die Formulierungen des Kölner Kardinals Joachim Meissner zur Wehr setzt. Der hatte dem Berliner Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte vorgeworfen, "ganz bewußt die Tötung ungeborener Menschen" zu verharmlosen. Ein klerikaler Eingriff, der seinesgleichen sucht.
Frau Fischer nahm den Handschuh auf und verwies unmißverständlich auf die eindeutige Gesetzgebung der Bundesrepublik. Meissner dürfte der deutliche Hinweis auf Wirkweisen von Legislative, Judikative und Exekutive nicht entgangen sein. Auch wenn der moralische Anspruch der Kirche nicht in Frage gestellt wird - die Gewaltenteilung findet ohne sie statt.
Schlecht gewählt waren die rhetorischen Mittel bei diesem verbalen Kreuzzug. Die PR-Abteilungen der Bischöfe und Kardinäle sind nicht schlechter besetzt als die der Ministerien. Mechanismen sind trainiert, Rüstkammern gut ausgestattet mit Homepages und automatischen Faxverteilern. Es geht nicht darum, längst bekannte Positionen zu definieren, sondern zu polarisieren. Mitarbeiter eines staatlichen Instituts, die ihren wichtigen Job professionell und mit Auftrag des, zwar nicht göttlich, so doch demokratisch gewählten Gesetzgebers ausüben, als "Sklaven von Interessengruppen" zu bezeichnen, geht zu weit.
Für Meissner und seine Kollegen kam die Zulassung zum rechten Zeitpunkt. Das konservative Lager der Bischofskonferenz demonstrierte dem Papst im fernen Latium nach der Schein-Diskussion der vergangenen Wochen unmißverständlich Gehorsam. Wohlwissend, daß alle Entscheidungen gefallen sind; in vollem Bewußtsein, nichts mehr bewirken zu können.
Das Sommerloch hat seine erste unnötige Diskussion. Und Frau Fischer wird ihre Rüstung gut pflegen, wenn nicht sogar eine komplette Legislaturperiode anbehalten dürfen.
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