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Eigennutz

12.06.2000  00:00 Uhr

- EditorialGovi-Verlag

Eigennutz

von Dr. Hartmut Morck,
Chefredakteur

Mit der Eröffnung der ersten virtuellen Apotheke im Internet kündigen die Initiatoren frischen Wind im europäischen Gesundheitssystem an. Erstmalig würden europaweit Arzneimittel auf spanischem Preisniveau angeboten. Das könnte helfen, Millionen, insbesondere bei den deutschen Krankenversicherungen, einzusparen.

Das klingt uneigennützig, ist es aber nicht. Denn primär möchte die holländische Internetapotheke chronisch Kranke und Nutzerinnen der Antibabypille bedienen, also die Rosinen des Arzneimittelgeschäfts einfahren.

Die Umsatzerwartungen und die angestrebte Kundenzahl von 50.000 bis Ende des Jahres zeugt ebenfalls nicht von Gemeinnützigkeit, sondern von reinem Gewinnstreben. Deshalb müssen Vokabeln wie Patientenfreundlichkeit, Arzneimittelsicherheit, innovationsfreundlich und Apothekenservice im Unternehmensprofil der 0800DocMorris.com-Internetapotheke in den Ohren der Offizinkolleginnen und -kollegen wie Hohn klingen.

Auch die Ankündigung des sich selbst als erfahrenen Apotheker titulierenden Initiators Jacques Waterval, nicht in Konkurrenz zu den etablierten Trägern des Gesundheitssystems, also auch nicht zu den Apotheken, treten zu wollen, klingt zynisch. Er sieht sich als Vollstrecker der bereits 1997 vom damaligen EU-Kommissar Bangemann geäußerten Prophezeiung, dass sich E-Commerce im Arzneimittelbereich nicht verhindern lasse und dass sich die Apotheken diesem Wettbewerb stellen müssten. Seine Legitimation sieht Waterval in der entsprechenden EU-Richtlinie und zum anderen in der sogenannten Schumacher-Entscheidung, die die Einfuhr ausländischer Arzneimittel nach Deutschland erlaube.

Waterval interpretiert offensichtlich die E-Commerce-Richtlinie, die bisher noch nicht umgesetzt wurde, ganz nach seinen Interessen. Er ignoriert dabei, dass die in den Richtlinien genannten nationalen Besonderheiten, zum Beispiel das Versandhandelsverbot in Deutschland, ausdrücklich zugelassen sind. Nun werden wohl die Gerichte bemüht, um Rechtssicherheit zu schaffen. Schwerer wiegt für mich die Ignoranz des niederländischen Kollegen, die deutsche Arzneimittelgesetzgebung nicht als das zu sehen, was sie ist, nämlich Verbraucherschutz. Waterval ist der Meinung, sie sei Bestandsschutz für die Apotheken und behindere den Wettbewerb.

Deutlicher könnte er gar nicht klar machen, dass ihn die Interessen der Patienten überhaupt nicht interessieren, sondern nur sein Gewinn. Dass er Zustimmung bei einigen Krankenkassen findet, überrascht nicht, da auch sie mit Blick auf die Kosten immer seltener die Interessen ihrer Versicherten vertreten.

Der von der ABDA eingeschlagene juristische Weg, E-Commerce beziehungsweise Versandhandel mit Arzneimitteln abzuwenden, ist lang. Deshalb sollten die deutschen Apothekerinnen und Apotheker primär auf die Vernunft des Verbrauchers setzen, der mehrmals bestätigt hat, dass er sich in seiner Apotheke wohl fühlt. Er wünscht also den persönlichen Kontakt. Und genau den wird er im Internet nicht finden. Überdies: Wer besucht im Internet die Adresse 0800DocMorris.com, um seine Arzneimittel zu bestellen? Sicher nicht der 60jährige chronisch Herzkranke.

Die deutsche Apotheke sollte sich also selbstbewusst der Konkurrenz aus dem Netz stellen und auf ihre eigene Kompetenz setzen. Erfahrungen aus anderen Ländern lehren, dass der versprochene frische Wind schnell zur Flaute werden kann. Top

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