Die neue Mitte |
06.05.2002 00:00 Uhr |
Heute, knapp vier Jahre später, muss ich feststellen, dass es die neue Mitte in der Regierungspolitik nicht gibt und dass auch der bestehende Mittelstand keine besondere Pflege erfährt. Im Gegenteil! Beim Blick in die Wirtschaftsstatistiken fällt auf, dass gerade im zurückliegenden Jahr 2001 bei den mittelständischen Betrieben die meisten Pleiten zu verzeichnen waren. Von einer staatlichen Unterstützung weit und breit keine Spur. Der Mittelstand wird nur als Steuerzahler gebraucht.
Auch die aktuelle Diskussion um neue Vertriebswege im Arzneimittelmarkt lässt nicht erkennen, dass der Regierung der Erhalt der Apotheken als mittelständische Betriebe am Herzen liegt. Versandhandel mit Arzneimitteln wird zwangsläufig erst ab einer bestimmten Betriebsgröße rentabel. Nicht umsonst streben Internet-Apotheken aus den Niederlanden und der Schweiz in den deutschen Markt. Ihre Umsätze im Heimatland reichen nicht aus, um schwarze Zahlen zu schreiben.
Aber es kommt noch schlimmer: Die Krankenkassen werden bei einer Zulassung des Versandhandels nicht mit jeder Apotheke einen Vertrag schließen wollen. Sie werden sich vielmehr auf einzelne Apotheken konzentrieren oder selbst Versandhandel betreiben. Das Bundesgesundheitsministerium nimmt offensichtlich ohne Bedenken in Kauf, dass Fremd- und Mehrbesitzverbot sowie die Preisspannenverordnung fallen werden. Apothekerinnen und Apotheker werden mit dem scheinheiligen Argument beruhigt, dass nicht jeder Patient sein Arzneimittel über das Internet bestellen wird.
Ich frage mich, warum die rot-grüne Regierung ein bewährtes System zerstören will und einen beträchtlichen Abbau von bisher sicheren Arbeitsplätzen in den Apotheken in Kauf nimmt? Warum macht der Kanzler die Arzneimitteldistribution nicht zur Chefsache? Bei Holzmann oder der von der EU geplanten Liberalisierung des Automarktes hat er es auch getan.
Ich habe immer mehr den Verdacht, dass diese Entwicklung im Hintergrund von den Gewerkschaften forciert wird, denn mittelständische, freiberufliche Strukturen schwächen den Einfluss der Gewerkschaften. Nur in großen Betrieben, also auch in Apothekenketten, können sie steuernd eingreifen. Apotheken als Kleinbetriebe sind für die Gewerkschaften uninteressant. Da auch in den Krankenkassen der Einfluss der Gewerkschaften unübersehbar ist, decken sich die Interessen der Kassen und der Gewerkschaften in der Schaffung von Großstrukturen.
Und welche Rolle spielen die SPD und der Kanzler? Sie suchen auch den Schulterschluss mit den Gewerkschaften, selbst wenn die augenblicklichen Streiks ein anderes Bild vermitteln (sollen). Warten wir ab, wer in der jetzigen Auseinandersetzung als Schlichter Punkte für den Wahlkampf sammeln wird.
Bei diesen Überlegungen werde ich immer mehr an den Politikwissenschaftler Theodor Eschenburg erinnert, der schon in den 60er-Jahren vor dem Staat der Verbände gewarnt hatte. Die Individualität geht dabei verloren. Sollte der Trend weiter gehen, hätten Apotheken als mittelständische Betriebe und die Verbraucher keine Chance mehr mitgestalten zu können. Das Gesundheitswesen würde von den Verbänden, von den Gewerkschaften gestaltet. Dies muss verhindert werden. Die "Initiative Pro Apotheke", mit der sich abzeichnenden großen Zahl an Unterschriften, wird der Politik zeigen, dass es eine gesellschaftliche Mitte wirklich gibt, unerheblich ob neu oder alt. Diese Mitte wird sich gegen die Machenschaften der Politik wehren. Der Apothekenkunde, der Patient als Wähler ist zurzeit der wertvollste Verbündete der Apotheken. Er muss mobilisiert werden.
Dr. Hartmut Morck,
Chefredakteur
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