Ein erster Schritt |
19.02.2001 00:00 Uhr |
Die Tage des Arzneimittelbudgets sind offenbar gezählt. Zwei Jahre und zwei Ministerinnen hat die rot-grüne Koalition gebraucht, um zu erkennen, dass die Deckelung ein unwirksames Instrument ist. Von unwirksamen Instrumenten, so Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, "sollte man Abschied nehmen". Ohne Frage ist dies eine richtige Erkenntnis.
Ärzte, Apotheker und die pharmazeutische Industrie fordern schon lange ein Ende der Budgetierung. CDU und FDP hatten sich bereits zum Ende ihrer Regierungszeit von den Budgets zu Gunsten von Richtgrößen verabschiedet. Ob sich jetzt in der Arzneimittelversorgung alles zum Besseren wendet, ist noch längst nicht ausgemacht.
Mit dem Ende des Arzneimittelbudgets wird die Kollektivhaftung der Ärzte zunächst einmal abgeschafft. Das absurde Vorhaben, Ärzte unabhängig von persönlichem Fehlverhalten für Budgetüberschreitungen verantwortlich zu machen, war ohnehin zum Scheitern verurteilt. Juristen hatten stets Zweifel an der Durchsetzbarkeit von kollektiven Regressforderungen. Die Krankenkassen haben deshalb nicht einmal versucht, die Mehrkosten bei den Medizinern einzutreiben.
Den meisten Krankenkassen waren die Budgets dennoch ein lieb gewonnenes Kostendämpfungsinstrument. Unter dem Damoklesschwert Regress wurden Ärzte am Jahresende regelmäßig geizig. Sie verordneten nur noch das Allernötigste; alle anderen Rezepte wurden erst im Januar des nächsten Jahres ausgestellt. Dass darunter viele Patienten litten, wurde übergangen.
Mit der avisierten Abschaffung der Budgets haben die Ärzte nun die Gelegenheit, das Morbiditätsrisiko an die Krankenkassen zurückzugeben. Das Budget ist ein fixer Betrag, es orientiert sich nicht am aktuellen Bedarf. In Jahren mit heftigen Grippewellen und dementsprechend hohen Arzneimittelausgaben war Budget schneller am Ende als das Kalenderjahr.
Es wäre fahrlässig zu glauben, dass jetzt alles besser wird. Zum Einen regt sich bei Teilen der SPD und bei den Grünen Wiederstand gegen den von Ulla Schmidt und Bundeskanzler Gerhard Schröder eingeschlagenen Kurs. Zum Anderen findet keine wundersame Geldvermehrung statt. Auch wenn die Budgets tatsächlich durch Richtgrößen ersetzt werden, was bislang noch nicht ausdrücklich vereinbart wurde.
Die Krankenkassen werden deshalb weiter einen strengen Sparkurs fahren. Schließlich bleiben ihre Mittel begrenzt. Das Primat der Beitragssatzstabilität wird die Bundesregierung sicherlich nicht aufgeben. Ulla Schmidt hat bereits klargestellt, dass die Kassenbeiträge stabil bleiben sollen. In nicht einmal zwei Jahren sind Wahlen; bis dahin dürfen die Lohnnebenkosten nicht steigen. Raum für Mehrausgaben gibt es nicht, denn eine Ausweitung der Selbstbeteiligung wird es nach meiner Einschätzung bis zur Bundestagswahl 2002 nicht geben.
Die SPD wird dies ihren ohnehin schon leicht verstörten Stammwählern nicht zumuten wollen. Die Forderung von Leistungserbringern und Industrie, es müsse mehr Geld in das System, bleibt also ungehört. Von ökonomischen Zwängen befreit werden die Ärzte sicherlich nicht.
Angesichts dieser Vorgaben haben es neue Steuerungsinstrumente in der Arzneimittelversorgung schwer. Das morbiditätsbezogene Richtgrößenkonzept, so wie es die Kassenärztliche Bundesvereinigung vorschlägt, ist bei konsequenter Beitragssatzstabilität kaum umzusetzen. Die Einnahmen der Krankenkassen korrelieren mit der Grundlohnsumme. Mit der Morbidität korrelieren sie wohl nicht - wenn überhaupt, dann eher reziprok.
Das Ende des Budgets ist nur ein erster Schritt, immerhin in die richtige Richtung. Wenn das Ziel ein flexibles und bedarfsgerechtes System ist, dann müssen weitere Reformen folgen.
Und zu guter Letzt muss sich die Regierung kundtun, wer die Mehrkosten trägt, die der medizinische Fortschritt und die demographische Entwicklung verursachen. Die Solidargemeinschaft, jeder für sich oder eine Mischung aus beidem? Um die Antwort auf diese Frage hat sich bislang jede Regierung in Deutschland gedrückt.
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