Orientierungslos |
27.01.2003 00:00 Uhr |
Können Sie bei der rot-grünen Regierung ein Konzept erkennen? Mir fällt es schwer.
Die Bilanz der neuen Regierung nach den ersten 100 Tagen fällt nicht nur für mich negativ aus. Eigentlich waren Schröder und seine Minister mit dem Willen in die neue Legislaturperiode gestartet, nicht die gleichen Fehler wie 1998 machen. Es ist bei der Absicht geblieben. Es ist sogar noch mehr schief gelaufen als vor vier Jahren.
Der größte Fehler ist, dass die Regierungsmitglieder sich offensichtlich nicht mehr in den Kabinettssitzungen untereinander abstimmen. Man erhält inzwischen den Eindruck, dass jede Ministerin und jeder Minister eine eigene Politik betreibt. Eichels Äußerungen widerspricht Clement. Künast macht Vorschläge, die der Kanzler wieder kassiert. Ulla Schmidt kündigt Reformen an, die weder mit dem Kanzleramt noch mit den anderen Ressorts abgestimmt sind. Selbst Berater aus dem Hause Schmidt machen öffentlich andere Aussagen als die Hausherrin. Von einem Regierungsteam kann nicht die Rede sein. Orientierungslosigkeit und Unsicherheit prägen das Bild der Regierung. Dazu kommt ein Richtungsstreit innerhalb der SPD zwischen Neoliberalen und den Traditionalisten, die den Gewerkschaften nahe stehen. Auch aus dem angekündigten Rückgang der Arbeitslosenzahlen wurde nichts. Mit fast 4,6 Millionen Arbeitslosen im Januar 2003 ist ein neuer Höchststand erreicht worden, der nicht zur Stärkung des Vertrauens in die Regierung beiträgt.
Es stellt sich die Frage, ob die Regierung überhaupt noch in der Lage ist, wieder eine Richtung in ihre Politik zu bringen.
Vor vier Jahren kam die damalige rot-grüne Regierung nicht aus eigener Kraft aus dem Stimmungstief heraus. Der CDU -Spendenskandal und die Balkankrise lenkten von der schlechten Regierungspolitik ab. Und schließlich half der Regierung auch der Antiterrorkrieg in Afghanistan über die eigene Unzulänglichkeit hinweg.
Heute sind keine geeigneten Ziele für Ablenkungsmanöver zu erkennen. Zwar versucht Schröder, mit seiner Haltung zum möglichen Irak-Krieg Punkte zu sammeln. Die meisten Bundesbürger glauben ihm nicht mehr, was sich in seinem Sturz vom zweiten auf den siebten Platz der Beliebtheitsskala für Politiker deutlich widerspiegelt.
Nachdenklich stimmt auch, dass das Bundesverfassungsgericht immer häufiger beauftragt wird, Fehler der Politik zu korrigieren. Dass das nicht so schnell geht, wie gewünscht, zeigt die Ablehnung der Eilanträge gegen die Erhöhung des Zwangsrabatts durch das Beitragssatzsicherungsgesetz. Ob es mit der Normenkontrollklage des Landes Baden-Württemberg bezüglich der Zustimmungspflicht des Bundesrates besser geht, bleibt abzuwarten. Ein kleine Hoffnung besteht sicherlich, dieses existenzvernichtende Gesetz aufzuhalten.
Bei einer solchen orientierungslosen Politik ist es aus meiner Sicht angezeigt, der Politik offensiv mit eigenen Konzepten zu begegnen und die Bürger als Verbündete zu gewinnen. Denn eines ist klar: Die Regierung hat sich nicht selbst gewählt, sondern sie ist von den Bürgern gewählt worden. Und nur sie können durch ihre Stimmabgabe zum Beispiel bei den anstehenden Landtagswahlen eine neue Politik fordern.
Professor Dr. Hartmut Morck
Chefredakteur
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