Online-Vorlesung am Krankenbett |
21.04.2003 00:00 Uhr |
Am Berliner Universitätsklinikum Charité können Medizinstudenten seit Beginn des Sommersemesters die Untersuchung interessanter Fälle per Notebook live und interaktiv verfolgen.
Die Idee zu dem bundesweit einmaligen E-Learning-System entstand 2001. „Damals war ein Wettbewerb des Bundesministeriums für Bildung und Forschung ausgeschrieben zur Frage, wie das Notebook in der Lehre eingesetzt werden könnte“, sagte Professor Dr. Ingrid Reisinger von der Charité. Gleichzeitig klagten Hochschullehrer, dass sie die wirklich interessanten Krankheitsfälle ihren Studenten oft nicht zeigen könnten, weil die Patienten meist plötzlich und ungeplant in die Klinik eingeliefert würden.
Seit dem 14. April dieses Jahres läuft nun die Pilotphase, während der zunächst 80 Studenten an der Online-Vorlesung teilnehmen können. Sieht ein Professor einen Patienten mit einer seltenen oder besonders interessanten Erkrankung, ruft er ein Kamerateam, das ihn in das Untersuchungszimmer begleitet. Gleichzeitig informiert er seine Studenten über SMS oder Mail. Über einen Online-Vorlesungsplan kann der Hochschullehrer die Studienverpflichtungen der Kursteilnehmer einsehen und dies bei der Terminfestsetzung berücksichtigen.
Live-Bilder von der Untersuchung
Mit Unterrichtsbeginn öffnen die angehenden Ärzte ihre Notebooks, setzen ihre Kopfhörer auf, stecken eine Mini-Kamera auf den Rechner und verfolgen die Behandlung über WLAN drahtlos und online. So werden etwa auch Ultraschallbilder während der Untersuchung live übertragen. Ausdrücklich erwünscht ist die interaktive Teilnahme der Studenten am Geschehen. Über Mikrofon und Rechner können Professor und Schüler miteinander kommunizieren und auch den Kranken mit in den Dialog einbeziehen.
Die Notebooks sind mit einem Gigahertz-Prozessor, einer 20-Gigabyte-Festplatte und 256-Megabyte-RAM so leistungsstark, dass die Studenten auf umfangreiche Datenbanken zurückgreifen können. Röntgenbilder, Ultraschall, CT- und MRT-Aufnahmen oder das Archiv des Pschyrembel lassen sich nebenbei aufrufen. Etwa 969 Euro kostet ein solcher Kleinrechner zum Vorzugspreis für die Kursteilnehmer.
„Die Studenten können den Patienten zwar am Bildschirm sehen und hören, aber nicht fühlen und untersuchen“, erklärte Reisinger während einer Presseveranstaltung in der Charité. Deshalb kann die Notebook-Vorlesung immer nur eine Ergänzung zur theoretischen Medizinerausbildung sein. Doch der mittelbare Kontakt sei immer noch besser als die Theorie an der Tafel. In acht Fächern wird die Online-Visite zunächst angeboten, darunter Geburtshilfe, Kardiologie und Dermatologie.
Alternative Online-Fortbildung
Hochschulprofessoren wie Dr. Rainer Bollmann von der Charité freuen sich auf die neue Unterrichtsmethode: „Auf diese Weise kann man sehr viel mehr Studenten erreichen, als dies normalerweise der Fall ist.“ Für den Geburtsmediziner liegen die Vorteile auf der Hand. „In Brandenburg etwa haben wir nur noch drei Kliniken mit 500 Entbindungen im Jahr. Es sind keine Patienten mehr da“, sagte Bollmann. Für ihn ist die Online-Vorlesung eine Alternative: „Um manuelle Geburtshilfe zu lernen, müssen wir ansonsten bald unsere Studenten in die Entwicklungsländer schicken.“
Voraussetzung, dass dies alles auch so funktioniert, ist das Einverständnis des jeweiligen Patienten. Nur Notebooks, die registriert sind, können sich in das Netz einwählen. Dazu wurden überall auf dem Campus „Access-points“, also Empfangspunkte, installiert. In einem Umkreis von 100 Metern ist dort ein drahtloser Empfang möglich. Die Entwicklung der Online-Vorlesung wurde vom Bund mit 700.000 Euro gefördert.
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