Dem Gesicht auf der Spur |
24.03.2003 00:00 Uhr |
Die beiden Männer mussten schon etwa ein Jahr tot in ihren Schlafsäcken im Frankfurter Nidda-Park gelegen haben. Ihre Schädel waren zertrümmert und einige Knochen durch Tierfraß zerstört oder verschleppt. Lange rätselten die Ermittler über die Identität der Männer, bis die biologische Anthropologin Ursula Wittwer-Backofen mit einem computergestützten Spezial-Verfahren Gesichtsbilder der unbekannten Leichen anfertigte.
Der Erfolg kam nach zwei Wochen. Die Toten wurden wiedererkannt. Die Informatiker aus Georgien hatten in Deutschland Arbeit gesucht und waren ermordet worden.
Die Wissenschaftlerin erforschte die Grundlagen für die „Gesichtsrekonstruktion über Computersuperpositionen“ in Rostock am Max-Planck-Institut. Die praktische Anwendung läuft über die Universität Freiburg. Mittlerweile gehen Anfragen von Ermittlungsbehörden aus ganz Deutschland ein. „Bei uns landen die schwierigen Fälle“, sagt Wittwer-Backofen. „In der Regel haben diese Menschen wenig Spuren hinterlassen und ohne Registrierung in Deutschland gelebt.“
Im Vergleich zur „herkömmlichen“ plastischen Rekonstruktion habe das seit eineinhalb Jahren angewandte Verfahren zwei wesentliche Vorteile. „Es ist schneller und verursacht nur etwa ein Drittel der bislang anfallenden Kosten.“ Von der Analyse bis zur fertigen Rekonstruktion am Bildschirm dauert es etwa zwei Wochen. Kostenpunkt: etwa 900 Euro. Die plastische Rekonstruktion dauert hingegen meist zwei bis drei Monate. Allerdings kann der Gesuchte bei dieser Methode dreidimensional gezeigt werden. Am Computer ist derzeit nur eine Frontalansicht möglich.
Maß nehmen am Schädel
Bei der Suche nach der Identität stützt sich die Anthropologin auf die Datenbank des Bundeskriminalamtes (BKA) in Wiesbaden. „Wir haben etwa 1100 Bilder von Menschen verschiedener Ethnien gespeichert“, sagt BKA-Sprecherin Birgit Heib. Das Bild entsteht in nur vier bis fünf Stunden. Entscheidend aber ist die Vorarbeit. Zunächst wird anhand des Zahnzementes das Alter der Leiche bestimmt. „Dann nehmen wir etwa 80 Maße am Schädel“, sagt Ursula Wittwer-Backofen. Gemessen werden Strecken, Bögen und Winkel.
Bei der Rekonstruktion orientieren sich die Wissenschaftler an allgemeinen Erkenntnissen: Die Mundwinkel liegen auf der Höhe der Eckzähne und die Neigung des „knöchernen Nasenbodens“ gibt Auskunft über Stups-, Knubbel- oder Hakenform der Nase. Position und Größe des Riechorgans geben zudem Auskunft über die Lage der Ohren. „Wer eine kleine niedrige Nase hat, hat auch kleine Ohren“, sagt Wittwer-Backofen.
Die großen ethnischen Gruppen in Afrika, Asien oder Osteuropa lassen sich auf Grund spezifischer Schädelformen leicht bestimmen. Aber selbst innerhalb eines Landes gibt es Unterschiede: „Wir können einen Norddeutschen von einem Alpenländer unterscheiden.“ Wenn das fertige Bild am Computer zu 70 Prozent dem Original entspricht, ist Wittwer-Backofen mehr als zufrieden.
Näherung reicht aus
Das Phantombild dient nicht dem direkten Vergleich mit einem Passbild. Es geht vielmehr um das kurze Hinschauen etwa bei einer Fernsehfahndung: „Dann konzentriert sich der Betrachter auf das Wesentliche. Wir erkennen ja auch nach 20 Jahren einen Bekannten wieder, obwohl er gealtert ist und Bart und Brille trägt.“
An Arbeit dürfte es den Forschern künftig nicht mangeln. Allein im Vorjahr wurden dem BKA 50 unbekannte Leichen gemeldet. Die Gesamtzahl aus den vergangenen Jahren dürfte wesentlich höher sein. Mitgezählt werden auch Fälle aus dem Ausland, bei denen die dortigen Behörden einen Bezug zu Deutschland vermuten. „Es gibt Fälle, die liegen mehr als 30 Jahre zurück“, sagt BKA-Sprecherin Heib. „Und einige werden wohl nie geklärt werden können.“
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