Industrie sucht Schulterschluss mit Apotheken |
22.09.2003 00:00 Uhr |
Jenne machte klar, dass man grundsätzlich mit den Ausführungen des DAV-Vorsitzenden Hermann Stefan Keller übereinstimme. Der Großhändler beklagte jedoch eine von regionalen Apothekerverbänden initiierte „Verdrehung der Tatsachen“, was die Aktivitäten des pharmazeutischen Großhandels betreffe. Und auch die Medien machte Jenne für die nach eigenen Angaben dramatische Situation des Großhandels verantwortlich. So habe die „pharmazeutische Standespresse“ ein negatives Bild gezeichnet. Die zweifelhafte Inanspruchnahme des Großhandels durch den Gesetzgeber im Rahmen des Beitragssatzsicherungsgesetzes habe die Ertragsreserven aufgezehrt. Die Apothekerschaft werde sich „auf Dauer nicht besser stellen, wenn sie den Partner Großhandel schwächt“. Jenne selbst habe immer wieder versucht, die ABDA von seinen Anliegen zu überzeugen, damit aber keinen Erfolg gehabt. Und so schöpfe das Kombi-Modell der ABDA Teile der bisherigen Spanne des Großhandels ab. Jenne gab der ABDA die Schuld an der Halbierung der Großhandelsspanne. Der bisherige Rabatt an die Apotheken sei nun in deren Spanne enthalten.
Man habe innerhalb des Phagro sogar darüber diskutiert, ein Rabattverbot gegen Jedermann auszusprechen.. Man fürchte eine härtere und unfruchtbare Diskussion mit den Kunden, sagte Jenne, der darauf hinwies, dass sich der Großhandel ein zweites derart schlechtes Geschäftsjahr nicht leisten können.
VFA für Wettbewerb
Dr. Ulrich Vorderwülbecke, Geschäftsführer beim Verband forschender Arzneimittel-Hersteller (VFA), sagte, Apotheker stünden ebenso wie die Pharmaunternehmen vor neuen Herausforderungen. Er kritisierte, dass es faktisch keine parlamentarischen Beratungen gegeben habe, dass „wesentliche Inhalte“ der Gesetzgebung bei den Apotheken wie bei den forschenden Arzneimittelherstellern auf Ablehnung stießen.
Man setze auf Deregulierung und dezentrale Entscheidungen. Man stelle sich „lieber dem rauen Wettbewerb“, als das eigene Schicksal der Politik oder dem Staat anzuvertrauen. Trotzdem sehe man das Heil des Systems in einer „durchgängig wettbewerblichen Ausrichtung“. Das Gesetz sei unausgewogen und bestückt mit wettbewerblichen Exklaven. Man propagiere nicht den Wettbewerb „um des Wettbewerbs willen“, sondern glaube daran, dass dieser am ehesten in der Lage sei, Effizienzprobleme zu lösen und den Interessen des Einzelnen gerecht zu werden. Nur so werde den Bürgern wie der Industrie selbst die Möglichkeit eine Perspektive geboten, das System überlebensfähig zu gestalten.
Er regte einen engen Kontakt zwischen forschenden Herstellern und den Apotheken an, um die schwierigen Marktbedingungen gemeinsam zu meistern. Er warnte davor, trotz rauerer Tischsitten „in fremden Revieren“ zu wildern. Das Sankt-Florians-Prinzip sei keine hilfreiche Grundlage für Gespräche.
Scharfe Kritik an Regierung
Mit der Politik der rot-grünen Bundesregierung ging Dr. Andreas Madaus als Vorstandsmitglied im Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) hart ins Gericht. Noch im vergangenen Jahr habe man zwischen Hoffen und Bangen geschwankt. „Heute überwiegt nur noch das Bangen“, so Madaus. Die Politik sei nicht mehr in der Lage, ein zukunftsfähiges Gesundheitswesen zu gestalten, kritisierte der Unternehmer und beklagte die „vor Ideologie triefende Sozialfolklore“ von Rot-Grün. Die Allianz der großen Parteien sei getrieben von Regionalwahlkämpfen und von der Angst, der Wirklichkeit ins Auge zu schauen.
Wenn es kein anderes Lösungsmodell mehr gebe, dann richte sich der Blick auf die Leistungserbringer. Die müssten nun „den Karren aus dem Dreck ziehen“, weil eine verfehlte Wirtschaftspolitik dazu führe, dass die Sozialkassen unter der Last ächzten.
Der Mittelstand werde in den Sonntagsreden gelobt und wochentags geschröpft. Es sei unerträglich, dass Beamte und Politiker, „die von Pharma keine Ahnung haben“, die Politik bestimmen. Es auch nicht solidarisch, wenn der Patient in Zukunft von Apotheke zu Apotheke ziehen müsse, um den Preis für sein Medikament zu vergleichen. Madaus: „CDU und CSU fallen dem Mittelstand in den Rücken, um nicht als Blockierer dazustehen.“ Man sei zwar bereit den Gürtel enger zu schnallen, aber nur dann, wenn eine Reform mit Konzept gemacht werde. Es könne nicht sein, dass die Politik diejenigen Fachleute, die auf Fehler im Gesetz hinwiesen, als tumbe Lobbyisten darstelle. Der BPI wolle auch zukünftig am intensiven Austausch mit der ABDA festhalten.
Chancen vertan
Das bekräftigte auch Johannes Burges, Vorsitzender des Bundesfachverbandes der Arzneimittel-Hersteller (BAH). Die Regierung habe die große Chance vertan, „ein verkrustetes System aufzubrechen“. Stattdessen habe man nur in Einzelpunkten umstrukturiert. Die Herausnahme rezeptfreier Arzneimittel aus der Erstattung sei ökonomisch kontraproduktiv und werde zu einer erheblichen Mehrbelastung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) führen. Mit dem um 10 Prozentpunkte angehobenen Abschlag greife der Gesetzgeber zudem die finanziellen Grundlagen gerade mittelständischer Hersteller empfindlich an.
Nun gelte es, dass Hersteller wie Apotheker „behutsam mit den Möglichkeiten, die das Gesetz ihnen zukünftig einräumt, umgehen“. Da beziehe er den Großhandel ausdrücklich mit ein. Die Beratung des Apothekers sei hoch qualifiziert und deswegen auch ihren Preis wert. Es gelte deshalb, den einheitlichen Herstellerabgabepreis und den einheitlichen Apothekenabgabepreis zu erhalten. Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes sollte man gemeinsam überlegen, wie man die neuen Gestaltungsmöglichkeiten in beiderseitigem Interesse nutzen könne.
Kommentar: Klageweiber chancenlos Klageweiber und Klagewütige sind isoliert. Das ist ein Fazit dieser Expopharm. Wer hat nicht noch die Salven in den Ohren, die im Vorfeld und von Apothekertag und Expopharm gegen ABDA und all diejenigen abgefeuert worden waren, die sich im nahen Umfeld bewegen. Nun ist den Klageweibern und Klagewütigen nichts anderes geblieben, als die Erkenntnis, dass der Sensenmann die deutsche Apotheke bislang weder an die Hand genommen hat, noch in Kürze vor der Türe steht.
Natürlich fand auch in Köln die typische Expopharm statt – Dienstleistungen und Produkte wurden feil geboten, die Branche gab sich ein Stelldichein. Von Kooperationen und Partnerschaften, Allianzen und der Stärkung der Apotheke war allerorten die Rede. Denn jenseits des Klagens über die Gesundheitspolitik und deren Folgen, sehen Geschäftsleute und Marketingexperten durchaus Zukunftschancen für die Apotheke.
Und mancher, bis dahin politisch reichlich angefressene oder auch orientierungslose Expopharm-Besucher ließ sich anstecken von der Euphorie, die ihm entgegengebracht wurde.
Warum auch nicht? Eine Messe soll schließlich ein Diskussionsforum und eine Informationsbörse sein. Apothekenleiter und Angestellte haben dies in diesem Jahr besonders intensiv zu nutzen gewusst.
Messechef Gregor Ulrich kann zufrieden sein – nicht nur mit dem perfekten Ablauf der Messe und dem unerwartet großen Zuspruch. Vielmehr hat die Kölner Expopharm gezeigt, dass es genau diese Veranstaltungen sind, die fester Bestandteil einer Branche sein müssen, die Triebfeder für den wirtschaftlichen Fortbestand der Apotheken und mehr Zuversicht der gesamten Branche sein können. Lokale oder regionale Veranstaltungen können diesen Überblick nicht bieten.
Die Expopharm bringt einen neuen Motivationsschub und die Erkenntnis, dass das eigene Schicksal nicht allein von der Politik besiegelt werden darf, sondern auch in den eigenen Händen liegt. Da können manche die Gerichte dieser Welt beschäftigen, um ihre persönliche Gier nach oppositionellem Gehabe zu besänftigen. All das ist nichts gegen das wahre Interesse des Berufsstandes. Denn Apothekerinnen und Apotheker sind längst auf der Suche nach dem richtigen Weg in die Zukunft. Die Expopharm war ein hilfreicher Schritt für die meisten, die dort waren.
Das Signal aus Köln könnte klarer nicht sein: Egal, ob im Selbstverständnis mehr Heilberufler oder mehr Kaufmann: Den richtigen Weg finden Apotheker nicht über die Aufbereitung der Vergangenheit, sondern nur durch die Auseinandersetzung mit der Zukunft.
Thomas Bellartz
Leiter der Hauptstadtredaktion
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