Angriff auf das bestehende System |
17.09.2001 00:00 Uhr |
Wie in jeder menschlichen Ordnung gibt es auch im System der Arzneimittelversorgung keine Perfektion. Daher sind die deutschen Apotheker jederzeit zu kritischen Diskussionen bereit und für Weiterentwicklungs- und Verbesserungsvorschläge offen. Dies erklärte ABDA-Geschäftsführer Lutz Tisch in seiner Eröffnungsrede zum Arbeitskreis "Arzneimitteldistribution".
Allerdings fordert er, dass die Probleme im Gesundheitswesen "dort gelöst werden, wo sie sich stellen". Dies sei sicherlich nicht in erster Linie die Apotheke. So sind die GKV-Ausgaben für Arzneimittel von 1992 bis 2000 nur um 16 Prozent gestiegen, während die Verwaltungsausgaben der Krankenkassen um 32,4 Prozent zulegten, berichtete Tisch.
Besonders heftig wandte er sich dagegen, die Trennung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung aufzuweichen, wie dies zurzeit diskutiert wird. "Die Einbeziehung der Krankenhausapotheken in die Arzneimittelversorgung ambulanter Patienten verstößt gegen Bundes- und Verfassungsrecht." Es wäre verfassungsrechtlich bedenklich, wenn Krankenhausträger in die mit den freiberuflichen, mit unternehmerischem Risiko tätigen Apothekern in den Wettbewerb zu treten.
Außerdem verstoße eine ambulante Arzneimittelversorgung durch Krankenhausapotheken ohne eine Vereinheitlichung des Preisbildungssystems gegen Artikel 3 des Grundgesetzes. Da Anstaltsapotheken Fremdbesitz verkörperten, müsste eine gesetzliche Neuregelung zur Aufhebung des Fremd- und Mehrbesitzverbotes auch bei öffentlichen Apotheken führen. Langfristig käme es zu einem Vertriebsoligopol, vergleichbar mit der Mineralölwirtschaft. "Diese Politik ist mittelstandsfeindlich und vernichtet Arbeitsplätze", erklärte Tisch. Außerdem greife sie ein bewährtes, qualitätssicherndes System zu Gunsten vermeintlicher Kostenvorteile an. Daher stehe die ABDA fest zu dem im Herbst vergangenen Jahres beschlossenen ABDA-ADKA-Kompromiss, der eine Belieferung der Ambulanzen des Krankenhauses nur dann zulässt, wenn die Medikamente dort unmittelbar am Patienten angewendet werden.
Gefährliches Thema
Ein noch gefährlicheres Thema für das System der Arzneimittelversorgung ist Tischs Ansicht nach der Versandhandel mit apothekenpflichtigen Medikamenten, der zurzeit als Revolution mit erheblichen "Einsparpotentialen" und "Convenience" gefeiert wird. Endlich müssten Bettlägerige nicht mehr die Apotheke aufsuchen, heißt es - als hätte es noch nie einen Lieferdienst der Apotheken für Notfälle gegeben.
Außerdem müsse man jetzt nicht mehr bis zum nächsten Öffnen der Apotheke warten, um dringend benötigte Medikamente zu erhalten. Dass die Lieferzeit von "Internet-Apotheken" für verschreibungspflichtige Arzneimittel bei etwa 96 Stunden liegt, wird in der Diskussion ebenso ignoriert wie die Feiertags- und Nachtdienstbereitschaft der Apotheker. Dennoch ertönt aus Politikerkreisen der Vorwurf, wer den Versandhandel nicht zulasse, wäre nicht europakompatibel. "Damit reduziert sich die Zahl der europakompatiblen EU-Mitgliedstaaten auf drei", erklärte Tisch lakonisch.
Wenn der Versandhandel mit Arzneimitteln zugelassen würde, kämen die deutschen Apotheken in einen Wettbewerb, bei dem man ihnen "Hände und Füße gefesselt lässt". Einige Vorschriften müssten nach Tischs Ansicht dann fallen. So dürfte der Apotheker nicht mehr dazu verpflichtet sein, Medikamente abzugeben, deren Preis die betriebswirtschaftlichen Kosten nicht deckt. Außerdem müsste aus Fairnessgründen die Lagerhaltung und Lieferfrequenz des Großhandels soweit reduziert werden dürfen, dass ein Lieferzeit von 96 Stunden gewährleistet ist. Weitere "Fesseln", die dann fallen müssten, sind die Pflicht zur Dienstbereitschaft und die Pflicht zur Rezeptherstellung.
Leidtragende einer solchen Politik, die das bestehende System zerstören würde, wären die Patienten, da sie die Apotheke in ihre Laufnähe verlieren, deren Beratung und ständige Verfügbarkeit durch Not- und Nachtdienste. Das effiziente und patientennahe Versorgungssystem wird in Frage gestellt, ohne das Nutzen-Risiko-Verhältnis seriös zu prüfen.
In der anschließenden Diskussion zeigten sich die Delegierten bemüht, keinen Konflikt zwischen Offizin- und Krankenhausapothekern aufkommen zu lassen. Einig waren sich beide Seiten in der Sorge vor Entwicklungen wie in Berlin, wo die Berliner Krankenhausgesellschaft Vivantes sechs Krankenhausapotheken zu einer riesigen Krankenhausapotheke zusammenfassen.
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