Arzneimittelversorgung ist mehr als Logistik |
17.09.2001 00:00 Uhr |
Rund 12 bis 15 Prozent gebe die GKV derzeit pro Jahr für Arzneimittel aus. Es sei naiv, zu denken, alleine dieses Volumen habe das Gesamtbudget der Kassen ins Wanken gerbacht. "Es ist das bekannte Schwarze-Peter-Spiel, bei dem die Arzneimittelkosten herangezogen werden", so Braun. Aber schon mit Maßnahmen zur Unterstützung der Riester-Versicherung würde die GKV alleine 2001 mit 5 Milliarden DM Mehrkosten belastet. Und auch die Ausfälle bei der Arzneimittelzuzahlung, ein Wahlversprechen der Regierung, schlügen jährlich nochmals mit 2 Milliarden DM zu Buche: All samt Mehrausgaben, ohne dass ein einziges Medikament zusätzlich verordnet würde. Dass die Arzneimittelausgaben bereinigt von Zuzahlungsbelastungen dennoch in diesem Jahr um 7,5 Prozent steigen, wertete der ABDA-Hauptgeschäftsführer als vorgezogene Folge der geplanten Budgetabschaffung. Dies sei jedoch kein Hinweis auf ein lascheres Verordnungsverhalten der Ärzte, sondern mache deutlich, dass Patienten in Folge des Budgets nicht ausreichend mit teuren aber sinnvollen Innovationen versorgt wurden. Braun: "Alterstruktur und die heutige Finanzierung führen die GKV immer weiter in die Sackgasse". Aus der herauszukommen, würde immer schwieriger, je weiter man in der Einbahnstraße voranschreite. Die ABDA habe stets Fakten-orientiert argumentiert und bei Bedarf ihre gesundheitspolitischen Positionen überprüft. Dies zuletzt vor Einberufung des runden Tisches in Berlin. Braun erläuterte in seinen weiteren Ausführungen erneut die Grundsatzpositionen der ABDA.
Positivliste ist kein Qualitätsinstrument
Die Positivliste sei weder ein probates Einsparmittel, noch eigne sie sich als Qualitätsinstrument, um die medizinische Versorgung zu verbessern. Ein sachgerechter Einsatz von Negativliste und Arzneimittelrichtlinien reiche aus, um die Pharmakotherapie zu optimieren. Cerivastatin hätte sicherlich auch auf der Positivliste gestanden, griff Braun den Lipobay-Zwischenfall auf.
In diesem Zusammenhang kritisierte der Hauptgeschäftsführer die Informationspolitik des Pharmakonzerns Bayer. Das Leverkusener Unternehmen hätte vielleicht nach den Regeln der Börsenaufsicht gehandelt. Für Apotheker habe aber Gesundheit einen höheren Stellenwert als Gewinnmaximierung. Der Berufsstand hätte zumindest zeitgleich informiert werden müssen. Schließlich erreiche das AMK-Phagro-Schnellinformationssystem nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit binnen Stunden jede Apotheke.
Nach Meinung Brauns ist es zu kurz gegriffen, die Diskussion um die Preisbildung lediglich auf die Vertriebskosten zu fokussieren. So basierten die Forderungen nach Abschaffung der Arzneimittelpreisverordnung auf der einseitigen Betrachtung, dass der Apotheker lediglich logistische Funktionen erfüllt. Im Apothekengesetz würden die Apotheken zur Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln verpflichtet. Das sei mehr als pure Logistik, kritisierte Braun.
Der Hauptgeschäftsführer nannte erneut die USA als Negativbeispiel für verschärften Wettbewerb in der Arzneimittelversorgung. Dort sei das Preisniveau nicht wie erwartet gesunken, seit der Gesetzgeber die Apotheken aus ihrer gesetzlichen Versorgungsfunktion entlassen habe. Die Ausgaben stiegen dort pro Jahr durchschnittlich um 15 Prozent an. "Diese Erfahrungen sprechen eindeutig für den Erhalt der Arzneimittelpreisverordnung", folgerte Braun.
Die ABDA wehre sich allerdings nicht gegen eine Weiterentwicklung der Preisverordnung. Dies müsse jedoch einkommensneutral erfolgen. Würden die Margen im Hochpreis-Segment gesenkt und dafür die Spannen bei preisgünstigen Arzneimitteln angehoben, ließen sich nicht nur Ausgaben senken. Diese "Drehung" vereitele zusätzlich auch die Rosinenpickerei. So könne man Verstößen gegen § 11 des Apothekengesetzes auch ökonomisch entgegentreten.
Zuzahlungsmodi haben Ziel verfehlt
Bei Mehrwertssteuer und den Patientenzuzahlungen sieht der Geschäftsführer Einsparpotenziale. Die ABDA werde daher nicht Müde, eine Halbierung des Mehrwertsteuersatzes auf Arzneimittel zu fordern. Zudem empfahl Braun eine prozentuale Zuzahlung mit sozialverträglichen Unter- und Obergrenzen. Die Zuzahlungsmodi der letzten Jahre hätten eindeutig ihr Ziel verfehlt. Warum sollten Versicherte 8 DM für eine 20er-Packung bezahlen, wenn sie für 10 DM schon eine 100er bekämen, fragte er. Die von der ABDA empfohlene prozentuale Zuzahlung liefert seiner Meinung nach auch Gegenargumente für die "äußerst populistisch geführte Diskussion" um die Wiederverwendung von bereits verordneten Arzneimitteln.
Staffelrabatte drängen kleine Apotheken aus dem Markt
Eine klare Absage erteilte Braun den Forderungen der Kassen sowohl nach höheren als auch variablen Abschlägen. Umsatzabhängige Staffelrabatte dürften nicht als großzügige Unterstützung kleiner Apotheken fehlinterpretiert werden, sondern dienten lediglich dazu, langfristig umsatzschwache Apotheken aus dem Markt zu drängen, warnte er das Auditorium. Schnell würden Versicherte von ihren Kassen auf Apotheken mit höheren Rabatten hingewiesen. "Beim Staffelrabatt handelt es sich in Wirklichkeit um ein Instrument der Konzentrierung der Arzneimittelversorgung mit dem Ergebnis, dass kleine Apotheken aus der Fläche verschwinden."
Aut-idem statt Festbeträge
Die ABDA fordert nach wie vor nachdrücklich ein generelles Aut-idem-Gebot für Apotheker. Natürlich müsse der Arzt in Form der so genannten "Kästchen-Umkehr" bei Bedarf eingreifen können. Wenn Apotheker dann nach wirtschaftlichen Kriterien auswählen müssten, könnte auf eine Festbetragsregelung verzichtet werden, erklärte Braun den Standpunkt der Berufsorganisation.
Versorgungsqualität statt Versand
Immer wieder würde suggeriert, Deutschland hinke mit seinem
Versandhandelsverbot "schlafmützig hinter den Entwicklungen in
Europa her", so der Geschäftsführer zum Thema Internetapotheke.
Kritiker würden dabei aber ignorieren, dass drei Viertel aller
europäischen Länder den Versand per se untersagt hätten. Zudem wünsche
man sich in Deutschland doch eine noch bessere Versorgungsqualität. Dazu
tragen laut Braun Versandhändler nicht bei. "Wir sollten nicht von
einer besseren Qualität in der Arzneimittelversorgung reden, sondern
lieber bestehende Qualitätsstandards erhalten."
Wenn der Berufsstand der rein logistischen Versorgung eine apothekerliche
entgegensetzen wolle, müssten seine Angebote patientenorientiert sein,
folgerte der ABDA-Hauptgeschäftsführer. Mit der pharmazeutischen
Betreuung, Qualitätsmanagementsystemen und einer verbesserten Aus- und
Fortbildung sei man auf dem richtigen Weg. Braun: "Zur Hardware
Arzneimittel ist die Beratung als Software hinzugestoßen, und der
Produktpreis wandelt sich mehr und mehr zum Servicepreis. Diesen Wandel
gilt es in Gesellschaft und Politik zu kommunizieren".
Braun forderte Kolleginnen und Kollegen auf, gemeinschaftlich für politische Ziele zu kämpfen. "Auch wenn es zeitraubend ist und manchmal schwer fällt, zu einer einheitlichen Meinung zu kommen. In einer Zeit des Umbruchs kann sich der Berufsstand keine Aufsplitterung und Entsolidarisierung leisten."
"In einer Zeit des Umbruchs kann sich der Berufsstand keine Aufsplitterung und Entsolidarisierung leisten, denn kleine Brocken werden leichter geschluckt als größere. Kleine Happen machen Appetit, große sind oft schwer verdaulich."
© 2001 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de