Pharmazeutische Zeitung online

Topiramat toppt Konkurrenz

04.10.1999  00:00 Uhr

-PolitikGovi-Verlag

EXPOPHARMKONGRESS

Topiramat toppt Konkurrenz

von Ulrich Brunner und Ulrike Wagner, Leipzig

Der PZ-Innovationspreis 1999 geht an das Neusser Pharmaunternhemen Janssen-Cilag. Die Jury unter Vorsitz des Heidelberger Pharmakologen Professor Dr. Ulrich Schwabe zeichnete das Antiepileptikum Topiramat (Topamax®) aus. Der Arzneistoff unterscheide sich nicht nur strukturell von anderen Antiepileptika, sondern biete Patienten auch eine neue Chance auf Anfallsfreiheit, begründete Jurymitglied Dr. Hermann Liekfeld die Entscheidung.

Insgesamt 35 neue Arzneistoffe wurden zwischen Juli 1998 und 1999 eingeführt. Das Referententrio Liekfeld, Morck und Schneider stellte 32 Kandidaten während des PZ-Forums vor. Aber nur wenige von ihnen verdienen nach Meinung der Experten das Prädikat "innovativ". Acht Wirkstoffe kamen für den fünften Innovationspreis in die engere Wahl: neben Topiramat, der gegen Feigwarzen gerichtete Wirkstoff Imiquimod, die bei transplantierten Patienten eingesetzten Antikörper Basiliximab und Daclizumab, das Antiadipositum Orlistat, der LHRH-Antagonist Cetrorelix, der Thrombozytenaggregationshemmer Tirofiban und Rituximab, ein monoklonaler Abtikörper, mit dem Patienten mit Non-Hodgkin-Lymphom behandelt werden können.

Topiramat machte das Rennen sowohl wegen seiner chemischen Struktur, die sich von allen anderen Antiepileptika unterscheidet, als auch durch einen neuartigen komplexen Wirkmechanismus. Während andere Antiepileptika die Krampfschwelle herabsetzen, verhindert Topiramat die Ausbreitung der Krampfaktivität.

Zugelassen ist der Arzneistoff für die Zusatztherapie ("Add-on"-Therapie) von partiellen epileptischen Anfällen mit oder ohne Generalisierung. Das mit einer Sulfamatgruppe substituierte Monosaccharid entfaltet seine Wirkung auf unterschiedlichen Wegen. "Darin unterscheidet es sich von anderen Antikonvulsiva", erklärte Liekfeld. An erster Stelle blockiert es die spannungsaktivierten Natriumkanäle, was die wiederholte Entladungen von Neuronen verhindern kann. Außerdem aktiviert Topiramat bestimmte Subtypen des GABAA-Rezeptors und verstärkt damit die GABA-vermittelte Inhibition. Daneben hemmt der Wirkstoff Glutamat-Rezeptoren vom Kainat/AMPA-Typ, schwächt die Amplitude an bestimmten Calciumkanälen und hemmt die Carboanhydrasen Typ II und IV.

"Neben der antikonvulsiven Wirkung hat Topiramat auch neuroprotektives Potential", sagte Liekfeld. Überraschend seien diese Effekte nicht, erklärte er. Werden Neuronen geschädigt, steigt die Signalübertragung durch den Neurotransmitter Glutamat außerdem kommt es zu einer unkontrollierten Erregungsübertragung durch GABA. Topiramat wirkt beiden Mechanismen entgegen.

"Wir sind sehr stolz auf den Preis", betonte Dr. Harald Becker, Janssen-Cilag, während der anschließenden Pressekonferenz. Bei der Epilepsie gebe es aber noch sehr viel zu tun. Die Krankheit sei nach wie vor ein Stigma. Gerade junge Epileptiker würden häufig aus der Gesellschaft ausgegrenzt. Entweder weil Eltern, Mitschüler oder Lehrer bei einem Anfall oft hilflos daneben stehen, oder weil sich die Betroffenen bei der Berufswahl sehr einschränken müssen.

Topiramat erhielt den PZ-Innovationspreis nicht nur für seinen multiplen Wirkungmechanismus, sondern auch wegen der guten Ergebnisse klinischer Studien, berichtete Dr. Andreas Schreiner, Janssen-Cilag. Ziel bei der Behandlung von Epilepsiepatienten ist die Anfallsfreiheit und mit Topamax® habe man dieses Ziel immerhin bei jedem zwanzigsten Patienten erreicht. 527 Patienten mit therapierefraktären fokalen Epilepsien hatten an insgesamt sechs Doppelblindstudien zu Wirksamkeit und Verträglichkeit von Topiramat teilgenommen. Bei 21 Prozent der Patienten reduzierte sich die Anfallshäufigkeit um 75 Prozent, 44 Prozent der Probanden hatten nur noch halb so viele epileptische Anfälle. Das sei mehr, als mit anderen modernen Antiepileptika in einem derartigen Kollektiv erreicht werden konnte, berichtete Schreiner.

Respektable Daten lägen inzwischen auch für die Monotherapie von Patienten mit partiellen Epilepsien vor. Für diese Indikation ist Topiramat derzeit noch nicht zugelassen. Auch in der Langzeitbehandlung zeichneten sich günstige Ergebnisse ab, sagte Schreiner. Für die Behandlung von Kindern laufen derzeit klinische Studien.

Im Vergleich zu anderen Antiepileptika vertragen die Patienten Topiramat sehr gut. Bislang traten in der klinischen Anwendung keine Nebenwirkungen auf, die nicht bereits nach Abschluss der Zulassungsstudien bekannt gewesen wären. Für Neuroleptika ist das nicht unbedingt selbstverständlich, auf Nebenwirkungen werden die Experten oft erst nach der Zulassung aufmerksam.

Epileptiker, die Topiramat einnehmen, klagen vor allem über zentralnervöse Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Benommenheit, Ataxie und Nervosität, die aber durch einen langsamen Dosisanstieg vermeidbar sind. "Start low, go slow" ist hier das Prinzip, damit Patienten den Arzneistoff besser vertragen. Oft könnten bis zum Eintritt der Wirkung mehrere Wochen vergehen, darüber müssen die Patienten aufgeklärt werden. Bei circa 1,5 Prozent der Patienten treten Nierensteine auf, weil Topiramat die Carboanhydrase hemmt. Verhindern können das die Patienten durch ausreichendes Trinken. Drastischer Gewichtsverlust ist eine weitere allerdings seltene Nebenwirkung. Eine Überprüfung der Dosis empfahl Schreiner bei Patienten, die Digitalis-Präparate oder orale Kontrazeptiva einnehmen.Top

© 1999 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de

Mehr von Avoxa