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Resistente Tumorzellen

Krebswachstum trotz Therapie

19.10.2015  13:40 Uhr

Von Ilse Zündorf und Theo Dingermann / Die moderne Krebstherapie kann enorme Erfolge vorweisen. Aber leider nicht immer und nicht immer dauerhaft. Tumorzellen widerstehen den Attacken der Medikamente auf vielfältige Weise. Wie entsteht Resistenz – und wie kann sie vielleicht doch überwunden werden?

»Jeder zweite Krebspatient kann inzwischen geheilt werden.« So wurde der Präsident des Deutschen Krebsforschungszentrums Otmar Wiestler 2014, im Jahr des 50. Geburtstags des Forschungszentrums, vielfach zitiert. 

Das nimmt vielen Patienten vielleicht etwas Angst vor der Diagnose Krebs. ­Allerdings bedeutet das auch, dass nach wie vor jeder zweite Patient an einem Tumorleiden stirbt. Und das trotz der zahlreich vorhandenen Medikamente, die zum Teil sehr spezifisch Tumor­zellen attackieren.

 

Ein Problem ist, dass Tumorzellen resistent gegen die Arzneistoffe sind oder werden. Dies liegt vor allem an vielfältigen Resistenzmechanismen, die von Anfang an im Tumorgewebe selbst stecken, durch die Therapie erst induziert oder durch die direkte Umgebung des Tumors vermittelt werden. Dabei unterscheidet man zwischen adaptiven und nachgeschalteten Resistenzmechanismen. Zu den adaptiven Mechanismen zählen Veränderungen bei Transport, Aktivierung und Inaktivierung von Wirkstoffen, Modifikationen des Wirkstofftargets und Einschränkungen der DNA-Reparaturmechanismen. Bei den nachgeschalteten Re­sistenzmechanismen handelt es sich beispiels­weise um Beeinträchtigungen der Eliminationsmechanismen für auszusortierende Zellen, darunter Apop­tose und Autophagie.

 

Tumore sind heterogen

 

Natürlich unterscheidet sich ein Lungenkarzinom von einem Pankreas­karzinom oder einem Hirntumor und entsprechend werden unterschiedliche Tumortypen auch unterschiedlich therapiert. Aber genauso natürlich ist es, dass sich zum Beispiel das Mamma­karzinom einer Frau von dem einer anderen unterscheidet. Dies legt nahe, dass die Brustkrebszellen der einen Patien­tin eventuell ganz anders auf eine Therapie ansprechen als die einer anderen Patientin.

 

Typisch ist auch, dass die Brustkrebszellen einer bestimmten Patientin alles andere als funktionell einheitlich sind. Bereits 1976 veröffentlichte Peter C. Nowell ein Modell zur Tumorentstehung: Demnach lassen sich Tumoren zwar zunächst auf eine einzige mutierte Zelle zurückverfolgen. Allerdings entstehen in den sich schnell teilenden, genetisch instabilen Tumorzellen zusätzliche, teils sehr unterschiedliche Mutationen. Viele dieser veränderten Zellen sterben ab oder werden vom Immun­system eliminiert. Einige er­werben durch bestimmte Mutationen jedoch einen Selektionsvorteil gegenüber den übrigen Tumorzellen und wachsen weiter.

 

Dieses Modell liefert eine maßgeb­liche Erklärung dafür, wie es zu Resistenzen gegenüber bestimmten Chemo­therapien kommen kann. So lässt sich ein Tumor mit einem Regime so lange scheinbar erfolgreich behandeln, bis die sensiblen Zellen weitgehend eliminiert sind. Die Therapie beginnt dann zu versagen, wenn Zellen übrigbleiben, die den Arzneistoffen aufgrund von Mutationen keine Angriffspunkte mehr bieten.

 

Ergänzt wurde Nowells Modell durch die Arbeiten von Dominique Bonnet und John Dick, die 1997 sogenannte Krebsstammzellen bei der akuten myeloischen Leukämie identifizierten.

 

Knackpunkt: Krebsstammzellen

 

Vor etwa 150 Jahren hatten Rudolph Virchow und Julius Cohnheim bereits postuliert, dass sich Tumoren im Menschen aus »schlafenden Resten embryonalen Gewebes« entwickeln. Schließlich weisen Tumorzellen ähnliche Eigenschaften auf wie embryonale Zellen. Es dauerte aber noch einige Zeit, bis die technischen Möglichkeiten vorhanden waren, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen normalen Stammzellen und Krebsstammzellen aufzuzeigen.

Ähnlich wie normale Stammzellen können sich auch Krebsstammzellen selbst erneuern. Sie halten damit einen Pool an undifferenzierten Stammzellen vorrätig. Während ein Teil der normalen Stammzellen zu Nachkommenzellen mit bestimmten Funktionen und sehr begrenzter Teilungsfähigkeit und Lebensdauer ausdifferenziert, sind die Tochterzellen von Krebsstammzellen speziellere Tumorzellen mit meist sehr hoher Teilungs- und Überlebensfähigkeit.

 

Diese Entwicklung wird in normalen Stammzellen durch bestimmte Signalwege gesteuert, die genetisch und epigene­tisch streng reguliert sind. In Krebsstammzellen hingegen arbeiten diese Signalwege sehr ungeregelt. Wichtige Mitspieler in dieser Deregulation scheinen vor allem Transkriptionsfaktoren zu sein, die die Expression ­verschiedener Gene steuern und mit den Kürzeln Nanog, OCT4 und SOX2 bezeichnet werden. Diese Proteine sind in Krebsstammzellen ebenso über­exprimiert wie das Enzym Aldehyd­dehydrogenase 1 (ALDH1), was eine Möglichkeit bietet, Krebsstammzellen zu identifizieren. Man hat beobachtet, dass gerade die Menge an ALDH1 in Tumor­zellen direkt mit ihrer Therapieresistenz, einem aggressiven Phänotyp und einer schlechten klinischen Pro­gnose für den Patienten korreliert.

 

Obwohl Krebsstammzellen nur einen geringen Prozentsatz des Tumorgewebes ausmachen, sind sie sehr relevant für die Entwicklung eines Rezidivs. Denn sie sind extrem resistent gegenüber Chemo- und Strahlentherapien. Die Ursachen hierfür sind noch nicht umfassend geklärt. Eine Ursache scheint in der anderen Sauerstoffbe­ladung der Krebsstammzellen im Vergleich zu »normalen« Krebszellen zu liegen. In Krebsstammzellen wurden wesentlich mehr Radikalfänger und ­weniger reaktive Sauerstoffspezies gefun­den, sodass die Zellen resistent gegen strahleninduzierte DNA-Schäden sind. Außerdem scheint generell die ­Ansprechrate der Strahlentherapie von der Zelldichte im Tumor abzu­hängen.

 

Erschwerend kommt hinzu, dass gerade therapieresistente Krebsstammzellen zu einer epithelial-mesenchy­malen Transition (EMT), also zu einer dramatischen Veränderung der zellu­lären Eigenschaften fähig sind. Dies gilt vor allem für Stammzellen epithelialer Tumoren wie Melanome, Brust-, Prostata-, Leber- und Schilddrüsentumoren. EMT-spezifische Transkriptionsfaktoren wie SNAIL, SLUG und TWIST sorgen dafür, dass genetische Programme aktiviert werden, die den vormals epithe­lialen Krebsstammzellen nun einen mesenchymalen Charakter verleihen. Als Folge können die Zellen besser die Basalmembran überwinden, sich an anderen Körperstellen niederlassen und Metastasen bilden.

 

Es gibt also gute Gründe, gerade Krebsstammzellen bei einer Tumor­therapie anzugreifen. Einige exprimieren die Oberflächenproteine CD133 und CD44. Diese Moleküle und auch die speziellen Signaltransduktionswege, die in Krebsstammzellen genutzt werden, könnten sich als ideale Ziele erweisen, um gerichtet gegen diese Vorläufer­zellen vorzugehen. Entsprechende mono­klonale Antikörper und Aptamere müssen ihre Wirksamkeit und ihren therapeutischen Nutzen jedoch noch in klinischen Studien nachweisen.

 

Solange wir hier auf nachhaltige Erfolgs­storys warten, muss das Problem der Therapieresistenz von Tumorzellen auf andere Weise angegangen und gelöst werden.

 

Adaptive Resistenzmechanismen

Vielfältige Mechanismen liegen einer Resistenz von Tumorzellen zugrunde (Grafik 1). Folgende adaptive Mechanismen werden hier vorgestellt:

 

  • Pharmakokinetische Faktoren begrenzen die systemisch verfügbare Menge der Medikamente.
  • Wirkstoff-Inaktivierung oder fehlende -Aktivierung reduzieren die Konzen­trationen des Wirkstoffs am Zielort.
  • Mutationen können die Zielstrukturen so verändern, dass ein effizientes Andocken des Wirkstoffs nicht mehr möglich ist.
  • Durch Ausschalten von DNA-Reparaturmechanismen werden Zellen in den Zelltod getrieben.
     

Transport von Wirkstoffen

 

In einigen Tumoren – und im Übrigen auch in Krebsstammzellen – ist das Multi-Drug-Resistance-Protein 1 (MDR1, auch bekannt als P-Glykoprotein oder ABCB1) bereits von Anfang an über­exprimiert. Bei anderen Tumoren, darunter das Nieren-, Darm- oder Leber­kar­zinom sowie bei Leukämien und Lymphomen, kommt es erst unter Therapie zu einer verstärkten Expression. MDR1 transportiert bevorzugt hydrophobe Substanzen aus der Zelle hinaus, sodass ihre (zytostatische) Wirkung ausbleibt.

 

Unter den exportierten Stoffen befinden sich wichtige Chemotherapeutika wie Taxane, Anthracycline, Epipodophyllotoxine und Vinca-Alkaloide. Eher amphipathische oder hydrophile Moleküle wie die Camptothecine, 5-Fluoro­uracil (5-FU) und viele alkylierende Wirkstoffe werden hingegen von anderen Transportproteinen wie dem Breast-Cancer-Resistance-Protein (BCRP) oder dem MDR-assoziierten Protein 1 exportiert, die ebenfalls überexprimiert sein können.

 

Allerdings wird die Bedeutung der Effluxpumpen bei der Resistenzentstehung kontrovers diskutiert. Denn kli­nische Studien mit Zosuquidar oder Tariqui­dar, die in vitro potente Inhibi­toren von MDR1 sind, verliefen enttäuschend: Die Ansprechrate der Tumorzellen auf Anthracycline oder Taxane verbesserte sich kaum.

Aktivierung und Inaktivierung

 

Wichtige Antimetabolite wie 5-FU, aber auch Methotrexat sind Prodrugs, die zunächst in der Zelle enzymatisch umgewandelt und aktiviert werden müssen (Grafik 2). 5-FU wird mithilfe der Orotatphosphoribosyltransferase zu 5-Fluor-UMP umgewandelt, das nach weiterer Phosphorylierung zum Trinukleotid in wachsende Nuklein­säuren eingebaut wird. Dies führt zur Bildung fehlerhafter mRNA. 5-FU hemmt aber auch die Thymidylat­synthase irreversibel, indem es einen Komplex zusammen mit 5,10-Methylentetrahydrofolat bildet (Grafik, rechts unten). Dadurch kommt es zur Verarmung an DNA-Bausteinen in der Zelle. Somit greift 5-FU über mehrere Wege sehr effizient in den Stoffwechsel der Tumorzellen ein.

 

Inaktiviert wird 5-FU über das Enzym Dihydropyrimidin-Dehydrogenase (Grafik, links unten). Sind die aktivierenden Enzyme durch Mutationen weniger effektiv oder aber die abbauenden Enzyme hochreguliert, beeinträchtigt das natürlich die Effizienz einer 5-FU-Therapie: Der Tumor kann weiterwachsen.

 

Der Capecitabin-Resistenz liegt ein weiterer Mechanismus zugrunde. Das im Vergleich zu 5-FU besser verträgliche Fluoropyrimidin-Prodrug Capecitabin wird im Tumor durch das Enzym Thymidin-Phosphorylase zu 5-FU aktiviert. Zusätzlich zu den beschriebenen Aktivitätsänderungen der Enzyme für Aktivierung und Abbau von 5-FU spielt bei der Therapie mit Capecitabin noch ein epigenetisches Silencing eine Rolle. Darunter versteht man eine Inaktivierung, die nicht durch eine Mutation, sondern durch eine DNA-Modifikation verursacht wird.

 

Durch Methylierung kann das Gen für die Thymidin-Phosphorylase in­aktiviert werden; in der Folge entsteht kein 5-FU mehr. Wird jedoch zusätzlich ein Wirkstoff verabreicht, der die DNA-Methyltransferase inhibiert, kann die ­Capecitabin-Resistenz aufgehoben werden.

 

Ein DNA-Methyltransferase-Inhibitor ist aber nur bei einer Capecitabin-Resistenz sinnvoll, keinesfalls im Verbund mit dem Topoisomerase-I-Inhibitor Irinotecan. Hier ist eine DNA-Methylierung essenziell für die Wirksamkeit. Denn die Methylierung im Promotorbereich des UGT1A1-Gens stoppt die Ablesung des Gens. In der Folge wird keine UDP-Glucuronosyl-Transferase 1 (UGT1A1) mehr gebildet – ein Enzym, das für die Elimination von Irinotecan mitverantwortlich ist.

 

Epigenetisches Silencing kann sich somit auf die Wirksamkeit von Chemotherapeutika extrem unterschiedlich auswirken. Es kann die Wirksamkeit eines Chemotherapeutikums fördern, indem es dessen Ausscheidung durch Glucuronidierung verlangsamt (Beispiel Irinotecan). Andererseits kann es die Ursache für eine Resistenz sein, indem es die Aktivierung eines Prodrugs zur Wirkform verhindert (Beispiel 5-FU).

 

Modifikationen des Wirkstofftargets

Variationen der Expressionsrate eines Wirkstofftargets können erhebliche Probleme für die Therapie bereiten. Dabei ist eine scheinbare Überexpression des Targetproteins nicht nur die Folge einer verstärkten Genexpression. Auch post-transkriptionale Verstärkungsmechanismen können die Konzentration einer therapeutischen Zielstruktur erhöhen. Der Effekt ist der gleiche: eine unzureichende Hemmung dieses Proteins und damit Therapieresistenz. Auch hier kann 5-FU als Beispiel genannt werden.

 

Normalerweise binden Thymidylatsynthase-Moleküle, die nicht mit Sub­strat beladen sind, an die eigene mRNA und verhindern somit die Synthese weiterer Enzyme. Hat nun aber 5-FU irreversibel an die Thymidylatsynthase gebunden, sind weniger Moleküle für die Interaktion mit der mRNA frei. Damit entfällt der negative Regulationsmechanismus, sodass mehr Protein translatiert werden kann – was wiederum die Wirkung von 5-FU über diesen Weg abschwächt.

 

Der besondere Erfolg bestimmter Krebstherapeutika liegt in ihrer Spezi­fität gegenüber Zielstrukturen, die in ihrer mutierten Form für das Tumorwachstum verantwortlich sind. Solche mutierten Zielstrukturen sind vor allem zelluläre Kinasen, die wichtige Schalterfunktionen haben. Vorreiter einer derart zielgerichteten Therapie war Imatinib. Es greift ganz spezifisch die onkogene Kinase BCR-ABL1 an, die auf dem sogenannten Philadelphia-Chromosom codiert ist. Mit Imatinib war 2001 erstmals eine passgenaue Behandlung der durch BCR-ABL1 hervorgerufenen chronisch-myeloischen Leukämie (CML) möglich. Allerdings zeigte sich relativ schnell, dass es auch eine Mutation im BCR-ABL1-Fusionsgen gibt, die die Bindung von Imatinib verhindert, ohne die onkogene Funktion der Kinase zu beeinträchtigen.

 

Nilotinib, Dasatinib, Bosutinib und Ponatinib sind neue BCR-ABL1-Inhibitoren, die auch mutierte Kinasemoleküle hemmen.

 

Ein anderes Beispiel ist eine aktivierende Mutation in der Tyrosinkinase­domäne des epidermalen Wachstumsfaktorrezeptors (EGFR) bei bestimmten Formen des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms. Diese mutierten Rezeptoren lassen sich sehr gezielt von den Kina­se-Inhibitoren Gefitinib und Erlo­tinib ansteuern. Allerdings wurde in 50 Prozent der behandelten Tumoren nach einem Jahr unter Therapie bereits eine weitere Mutation im EGFR-Gen gefunden, die zur Folge hat, dass die Bindungsstelle der reversiblen Tyrosinkinase-Inhibitoren nicht mehr zugänglich ist. Dadurch wird der Tumor resistent gegen Gefitinib und Erlotinib.

 

Jedoch wurden mit Dacomitinib, Neratinib und Afatinib neue, irrever­sibel bindende Inhibitoren entwickelt, die Gefitinib- oder Erlotinib-resistente Tumore in ihrem Wachstum hemmen. Afatinib ist seit Oktober 2013 als ­Giotrif® in Europa zugelassen.

 

Resistenz gegen Antikörper

 

Unter den Aspekt »Modifikation des Wirkstofftargets« lassen sich auch Resistenz­mechanismen gegenüber einer Antikörpertherapie subsummieren. Seit 1998 wird Rituximab zur Behandlung des Non-Hodgkin-Lymphoms erfolgreich eingesetzt. 

 

Die Elimination der entarteten B-Zellen nach Markierung durch den Antikörper funktioniert so gut, dass Rituximab auch bei anderen Erkrankungen, zum Beispiel der Rheumatoiden Arthritis, eingesetzt wird, bei denen die Überproduktion von Antikörpern durch B-Zellen ein ­großes Problem ist.

 

Allerdings sind mittlerweile Resistenzen gegen Rituximab beschrieben. Offensichtlich können einige B-Zellen, auf deren Oberfläche Rituximab an CD20 angedockt hat, diesen Komplex internalisieren. So entziehen sie sich den gewünschten immunologischen Eliminationsprozessen.

 

Gefördert wird die Internalisierung durch den inhibitorischen Fcγ-Rezeptor IIB (FcγRIIB). Zudem aktiviert dieser Rezeptor inhibitorische Signalwege innerhalb von Immunzellen, die sich dann nicht mehr an der Bekämpfung der Tumorzellen beteiligen. Eine Hemmung dieses Rezeptors sollte die Rituximab-Therapie daher verbessern. Erste Versuche mit einer Co-Administration von Antikörpern gegen den inhibitorischen FcγRIIB zeigten recht positive Ergeb­nisse.

 

Eine andere Möglichkeit eröffnen die neuen sogenannten Typ-II-Anti-CD20-Antikörper wie Obinutuzumab. Diese Antikörper wurden in den Zuckerstrukturen optimiert, wodurch sie ­direkt auf die Tumorzellen wirken und einen programmierten Zelltod auslösen. Zudem wurde mit Obinutuzumab keine Internalisierung des CD20-Antikörper-Komplexes beobachtet.

 

DNA-Reparatur defekt

 

Damit die Millionen kleiner DNA-Schäden in unseren Zellen, die durch Umwelteinflüsse in Form energiereicher Strahlung oder durch chemische Noxen täglich verursacht werden, nicht zur Katastrophe für den Organismus führen, hat die Evolution verschiedene Reparatur­systeme hervorgebracht (Gra­fik 3). Funktionieren diese Reparaturproteine infolge von Mutationen nicht korrekt, kann nicht nur Krebs entstehen, sondern Tumorzellen können sehr effizient weiter diversifizieren.

Beispiele für derartige Reparaturkomponenten sind die Brustkrebs- Gene BRCA1 und BRCA2. Sind sie durch Mutationen geschädigt, kann eine Repara­tur von DNA-Schäden über die Produkte dieser Gene nicht mehr erfolgen. Da eine DNA-Reparatur aber lebens­wichtig für eine Zelle ist, gibt es Back-up-Systeme, die das Reparatur­defizit zumindest über eine gewisse Zeit auszugleichen vermögen.

 

Nicht korrigierte Mutationen können sich unterschiedlich äußern. Sie können neutral bleiben und von einer intakten Zelle toleriert werden. Sie können zum Absterben der Zelle führen, wenn der Fehler in einer essenziellen Komponente aufgetreten ist. Oder sie führen zur malignen Transforma­tion.

 

In der Tumortherapie nutzt man diese Reparatursysteme seit Kurzem als Zielstrukturen. Voraussetzung ist, dass eines der Reparatursysteme – in diesem Fall das BRCA-System – durch eine Mutation schon außer Kraft gesetzt ist. Dann inhibiert man das zweite Reparatursystem mit Olaparib. Dieser Wirkstoff hemmt das Enzym PARP 1 (polyadenosine 5'-diphosphoribose polymerase), das wie die BRCA-Proteine für die Reparatur der DNA zuständig ist (Grafik 3). Ziel ist es, dass die unter einer Platin-Therapie entstehenden Muta­tionen nicht mehr repariert werden, sich anhäufen und die Zellen in den Tod treiben.

 

Allerdings wurden auch hier bereits Resistenzmechanismen beobachtet. Die inaktivierten BRCA-Gene wurden durch weitere Mutationen akti­viert und standen somit als Repa­ratursystem wieder zur Verfügung.

 

Nachgeschaltete Resistenzmechanismen

 

Alle Ansätze in der Krebstherapie zie­- len darauf ab, Tumorzellen derart zu schädigen, dass sie anschließend absterben. Dafür ist der komplexe Apoptose-Prozess nötig, der von einem Wechselspiel zwischen pro- und anti-apoptotisch wirkenden Proteinen bestimmt wird. Beispielsweise wird die Effektivität der Tyrosinkinase-Inhibitoren Imatinib, Gefitinib und Erlotinib dadurch unterstützt, dass die Therapie die Expression des pro-apoptotischen Proteins BIM verstärkt. Es gibt aber auch Überlebensfaktoren, die der Apopto­se entgegenwirken.

 

Zu den prominentesten Proteinen, die anti-apoptotisch wirken und häufig in Tumorzellen anzutreffen sind, ge­hören die Inhibitoren der Apoptose-Proteine (IAPs), einige Mitglieder der BCL-2-Proteinfamilie und der Caspase-8-Inhibitor FLIP. Sind diese Proteine überexprimiert oder durch Mutationen überaktiv, können sie die zerstörerischen Effekte der Chemotherapeutika kompensieren, und der Tumor wächst weiter. Um dies zu unterbinden, werden gezielt Inhibitoren für anti-apoptotische Proteine entwickelt. Navitoclax und Obatoclax hemmen anti-apoptotische BCL-2-Proteine und befinden sich derzeit in Kombination mit anderen Tumortherapeutika in ­klinischen Stu­dien. Auch die sogenannten Smac-Mimeti­ka – spezifische Inhibitoren der IAPs – werden als ­Co-Medikation in der Tumortherapie klinisch getestet.

 

Im Zusammenhang mit Apoptose ist auch die Autophagie zu erwähnen, die eine wichtige Funktion sowohl in der Tumorsuppression als auch in der Tumorpromotion hat. Physiologisch ist die ­Autophagie wichtig, um unter meta­bolischem Stress, der auch durch eine Tumortherapie induziert wird, zellu­läre Organellen und Proteine ab­zubauen. Im Gegensatz zur Apoptose, bei der ganze Zellen kontrolliert ab­gebaut werden, werden bei der Autophagie zunächst nur Bestandteile einer Zelle verdaut. ­Autophagie ist somit ein Mechanismus, der hauptsächlich für das Überleben ­einer Zelle wichtig ist, wohingegen ­Apoptose zum Zelltod führt.

 

Man konnte zeigen, dass in Tumoren mit mutiertem RAS-Protein verstärkt Autophagie auftritt, wodurch sich die Zellen einen Überlebensvorteil verschaffen. Folglich war es nicht überraschend, dass in Tiermodellen Tumorzellen nach der Behandlung mit den Autophagie-Inhibitoren Chloroquin und Hydroxychloroquin wesentlich sensitiver auf Chemotherapeutika reagierten. Allerdings ist dieser intrazelluläre Verdauungsvorgang offensichtlich auch für gesunde Zellen so wichtig, dass ein genereller Einsatz von Autophagie-Inhibi­toren wahrscheinlich zu starken Nebenwirkungen führen würde.

 

Die Umgebung des Tumors

 

Für solide Tumoren ist die unmittelbare Umgebung immens wichtig. Wie wichtig, sieht man am Erfolg der Antiangiogenese-Wirkstoffe. Verhindert man das Einwachsen von Blutgefäßen in den Tumor, verhindert man gleichzeitig auch, dass die Chemotherapeutika mit dem Blut an ihr Ziel kommen. Zudem hat sich gezeigt, dass Tumorzellen, die über Oberflächenadhäsionsmoleküle in direktem Kontakt zur extrazellulären Matrix und zu gesunden Nachbarzellen stehen, eine Chemotherapie besser überleben. Ein ähnlicher Effekt wurde von bestimmten Wachstumsfaktoren gezeigt, die von Nachbarzellen, vor allem von tumorassoziierten Makrophagen abgegeben wurden.

Gemeinsam ist diesen Adhäsionsmolekülen und Wachstumsfaktoren, dass sie neben mehreren intrazellulären Signalwegen auch die PI3K-AKT-, MEK-ERK- und NF-κB-Signalwege in den Tumorzellen stimulieren und dar­über das Überleben und die Therapieresistenz der Zellen verstärken. Als Konsequenz empfiehlt es sich, zusätzlich spezifische Kinase-Inhibitoren in die Chemotherapie zu integrieren, die genau diese kritischen Signalwege unter­binden.

 

Die Schwierigkeit ist, diese milieuabhängigen Resistenzmechanismen gezielt mit Wirkstoffen zu hemmen, ohne wichtige Interaktionen im gesunden Gewebe zu schädigen. Außerdem ändert sich die Mikroumgebung von Tumorzellen bei der Metastasierung, sodass die Wirkstoffe dann möglicherweise nicht mehr greifen.

 

Tumortherapie der Zukunft

 

Kann man das Problem der Resistenzentwicklung in den Griff bekommen? Anlass zur Hoffnung geben neue Entwicklungen, die das Immunsystem noch stärker in die Bekämpfung von Tumoren einbinden. Wirkstoff-Proto­typen sind beispielsweise der PD-1-Inhibitor Pembrolizumab und der Checkpoint-Inhibitor Nivolumab. Beide Stoffe aktivieren die Funktionen von T-Zellen und sind nicht auf die Tumorzellen gerichtet. Somit ist es sehr viel unwahrscheinlicher, dass sich Resistenzen entwickeln. Allerdings bleibt abzuwarten, ob diese plausiblen Überlegungen nicht doch wieder durch biologische Tricks entkräftet werden.

 

Wir haben hier eine Auswahl der bereits aufgeklärten Prozesse zur Resistenz­entstehung vorgestellt. So wie die Forschung an Tumoren weiter fortschreitet und so wie unterschied­liche Tumorzellen analysiert werden, kommen immer noch weitere Resistenzmechanismen dazu. Und es werden immer noch weitere Mitspieler identifiziert. Damit tauchen neue Targets auf, die in der Therapie adressiert werden können und sollten. Künftig wird der Therapieerfolg wahrscheinlich in einer intelligenten Kombination von Wirkstoffen liegen. Diese sollen verschiedene kritische Zielstrukturen pa­rallel ansteuern, um Resistenzbildung zu verhindern. Zusätzlich wird man das Immunsystem zur Selbstverteidigung stimulieren und eventuell versuchen, die Tumoren durch Inhibitoren wichtiger Versorgungswege auszuhungern. /

 

Literatur bei den Verfassern 

Die Autoren

Theodor Dingermann studierte Pharmazie in Erlangen. Nach der Approbation 1976 folgten Promotion und 1987 Habilitation. Von 1991 bis 2013 war er Geschäftsführender Direktor des Instituts für Pharmazeutische Biologie an der Goethe-Universität Frankfurt/Main. Jetzt ist er Seniorprofessor der Universität. Dingermann war von 2000 bis 2004 Präsident der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft und arbeitete in zahlreichen wissenschaftlichen Gremien, unter anderem bei BfArM. Die Apotheker kennen ihn als Referenten, Autor und Co-Autor von wissenschaftlichen Fach- und Lehrbüchern. Seit April 2010 ist er externes Mitglied der Chefredaktion der PZ.

 

Ilse Zündorf studierte Biologie von 1984 bis 1990 an der Universität Erlangen. Nach einem Forschungsaufenthalt an der University of Kentucky, Lexing­ton, USA, wurde sie 1995 am Institut für Pharmazeutische Biologie der Universität Frankfurt promoviert. Zunächst als Akademische Rätin, seit 2001 als Akademische Oberrätin arbeitet sie am Institut für Pharmazeutische Biologie der Goethe-Universität Frankfurt. Ihre Forschungsthemen betreffen Herstellung und Charakterisierung monoklonaler Antikörper, Herstellung und Modifikation rekombinanter Antikörperfragmente sowie die Etablierung von zellulären Testsyste­men zur Wirkstoffsuche.

 

Professor Dr. Theo Dingermann und Dr. Ilse Zündorf

E-Mail: Dingermann@em.uni-frankfurt.de

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