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Serie AMTS

Interprofessionelle Zusammenarbeit

22.09.2015  11:31 Uhr

Von Walter E. Haefeli, Hanna M. Seidling und Marina Weißenborn / Die Zusammenarbeit aller am Medikationsprozess Beteiligten ist ein wichtiger Faktor für den Erfolg einer Arzneimitteltherapie. Doch wie kann eine effektive Kooperation speziell zwischen den Heilberuflern Arzt und Apotheker unterstützt und gefördert werden? Dazu gibt es mehrere theoretische Modelle.

Jean-Didier Bardet von der Universität Grenoble und Kollegen identifizierten 2015 in der Zeitschrift »Research in Social and Administrative Pharmacy« in einer Übersichtsarbeit vier Modelle und Werkzeuge als die wichtigsten Ansätze für den ambulanten Sektor (DOI: 10.1016/j.sapharm.2014.12.003). Im am häufigsten zitierten Collaborative Working Rela­tionship (CWR)-Modell wird die Zusammenarbeit von Ärzten und Apothekern als ein fünfstufiger, dynamischer Prozess beschrieben. Beeinflussende Faktoren sind dabei unter anderem das Alter, die Berufserfahrung und die Bereitschaft der Betroffenen zur Zusammenarbeit, das Umfeld und die Art der Kommunikation (siehe Abbildung).

Stufenweise Annäherung

 

In Stufe 0 ist der Austausch inhaltlich und zeitlich auf ein Minimum reduziert. Eine erste Annäherung – in diesem Modell vonseiten des Apothekers – findet in Stufe 1 statt. In Stufe 2 werden gemeinsam Erwartungen und Ziele definiert und Grenzen abgesteckt. In Stufe 3 geht die Kontaktaufnahme von beiden Heilberuflern aus und das Miteinander basiert auf Vertrauen und Respekt. Es werden Regeln und Standards festgelegt; gleichzeitig können erste Konflikte auftreten. Stufe 4 unterscheidet sich inhaltlich kaum von Stufe 3, zeichnet sich jedoch zusätzlich durch langjährige Stabilität aus. Beide Parteien bekennen sich offiziell zu dieser Zusammenarbeit. Das Physician/Pharmacist Collaboration Instrument (PPCI), ein Werkzeug, das das Ausmaß der Zusammenarbeit messen soll, identifizierte aus den beeinflussenden Faktoren des CWR-Modells das gegenseitige Vertrauen, eine klare Rollenverteilung und den professionellen Umgang miteinander als wichtigste Faktoren.

 

Das aus England stammende General Practitioner and Community Pharmacist Collaboration (GPCPC)-Modell besteht aus den drei Stufen Isolierung, Kommunikation und Kollaboration. Sieben Faktoren beeinflussen die Zusammenarbeit: Standort, Service, Vertrauen, sich kennen, Kommunikation, Rollenverteilung und Respekt. Eine Besonderheit dieses Modelles ist die zweiseitige Darstellung der genannten Stufen und deren inhaltliche Ausprägung aus dem Blickwinkel von Arzt und Apotheker.

 

Das in Australien entwickelte Community Pharmacist Attitudes Towards Collaboration with General Practitioners (ATC-GP)-Modell beschreibt Faktoren, die Ärzte und Apotheker dazu bewegen, Kooperationen einzugehen. Diese ähneln denen der anderen Modelle, jedoch werden das Vertrauen und die Erwartungen nicht als direkte, sondern als indirekte Faktoren eingestuft, da durch sie zuerst die Person selbst wahrgenommen und bewertet wird und nicht ihr Handeln.

 

Beispiele für Modellprojekte

 

Alle diese Modelle beschreiben Voraussetzungen für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Apothekern, wobei das CWR-Modell besonders geeignet erscheint, um die Situation in Deutschland abzubilden und derzeit laufende Projekte einzustufen. So tauschen einige Apotheken und Arztpraxen Informationen mit standardisierten Faxvorlagen aus. Die Heil­berufler stehen dabei zwar selten persönlich in Kontakt, doch haben solche Vorlagen den Vorteil, dass sie zügig ausgefüllt werden können und der Empfänger das Anliegen des Absenders auf einen Blick erkennt und ohne Zeitdruck bearbeiten kann.

Faxvorlagen entsprechen Stufe 0 des CWR-Modells, können jedoch prinzipiell in jeder Stufe der Zusammenarbeit unterstützend eingesetzt werden. Es gibt eine Reihe von deutschsprachigen Vorlagen, die zum Teil in Projekten evaluiert und nun genutzt werden können. So hat die Abteilung Versorgungsforschung des Instituts für Public Health und Pflegeforschung in Bremen in einem Projekt mit der Landesapothekerkammer (LAK) Niedersachsen eine Faxvorlage für dringende Arztanfragen entworfen (Download unter http://www.apothekerkammer-niedersachsen.de/arzneimittelinformation.php).

 

Hilfreiche Faxvorlagen

 

Im Rahmen einer Studie der Koopera­tionseinheit Klinische Pharmazie der Universität Heidelberg wurden Faxvorlagen entworfen, mit denen Apotheken missverständlich oder fehlerhaft ausgestellte Rezepte an den Arzt rückmelden können (Download über den geschützten Bereich der Homepage der LAK Baden-Württemberg). Auch die ABDA bietet auf ihrer Homepage Faxvorlagen an, beispielsweise für arzneimittelbezogene Probleme im Rahmen der Medikationsanalyse (www.abda.de/themen/apotheke/qualitaets sicherung0/leitlinien/leitlinien0/). Das Zentrallabor stellt im Neuen-Rezeptur-Formularium Vorlagen für nicht plausible oder bedenkliche Rezepturen zur Verfügung.

 

Allgemeine Materialien zur Arzt-Apotheker-Kommunikation werden derzeit in einem von der Förderinitia­tive Pharmazeutische Betreuung (FI) unterstützten Projekt in der Koopera­tionseinheit Klinische Pharmazie an der Universität Heidelberg entwickelt. Da­rüber hinaus erstellt die FI eine Sammlung von Hilfsmitteln und Instrumenten, deren sich Apotheker im Rahmen eigener Projekte zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) bedienen können. Die Sammlung wird online über www.foer derinitiative.de abrufbar sein.

 

Ähnlich Stufe 1 des CWR-Modelles gibt es derzeit mehrere Projekte wie das ATHINA- oder das Apo-AMTS-Projekt, in denen die Apotheke Maßnahmen zur Verbesserung der AMTS ergreift und dadurch mitunter auch verstärkt in Kontakt mit Ärzten tritt. Die CWR-Stufe 2 ist eine sensible Phase, in der die Heilberufler offen miteinander kommunizieren und festlegen müssen, wer für welche Aufgaben verantwortlich ist. Im aktuellen Aktionsplan zur Verbesserung der AMTS ist die Förderung der interdisziplinären Zusammenarbeit aller Heilberufe als eine Maßnahme definiert und derzeit erarbeitet die Koordinierungsgruppe AMTS ein Positionspapier zur Zusammenarbeit von Ärzte- und Apothekerschaft im Bereich AMTS.

Interdisziplinäre Interventionen zur Verbesserung der Versorgung stehen für eine Zusammenarbeit auf Stufe 3 – diese Projekte sind zurzeit in der Aufbauphase und haben meist Modellcharakter. Sie befassen sich zum einen mit spezifischen Herausforderungen, zum Beispiel der ambulanten Entzugshilfe bei Benzodiazepin-Abhängigkeit, oder definierten Krankheitsbildern, etwa die Pharm-CHF Studie bei Herzinsuffizienz. Zum anderen entwickeln die Projekte allgemeine Ansätze zur langfristigen Zusammenarbeit und zur Verbesserung der AMTS, beispielsweise das ARMIN-Projekt, das in seinem dritten Modul das gemeinsame Medikationsmanagement vorsieht, oder die WestGem-Studie, die zusätzlich zum interdisziplinären Medikationsmanagement ein umfassendes Case-Management durch das Pflegepersonal und Wohn­beratungen mit einschließt.

 

Qualitätszirkel stehen für eine Zusammenarbeit auf Stufe 3 und bieten Raum für den interdisziplinären, persönlichen (Informations-)Austausch. In Bonn und Umgebung befasst sich beispielsweise ein Qualitätszirkel unter anderem mit der Vorratshaltung im Notdienst benötigter Arzneimittel. Die kassenärztlichen Vereinigungen Westfalen-Lippe und Sachsen haben Leit­linien zur Organisation und zum Ablauf von Qualitätszirkeln erstellt.

 

Für die Zukunft steht die nachhaltige Implementierung erfolgreicher Projekte im Vordergrund, wobei wir uns grundlegend mit der Frage auseinandersetzen müssen, welche Maßnahmen den interprofessionellen Austausch entscheidend und langfristig verbessern können. Hierbei wird es sowohl essenziell sein, das Vertrauen und das professionelle Miteinander zwischen den Heilberuflern zu stärken als auch geeignete Werkzeuge, die die interdisziplinäre Zusammenarbeit vereinfachen, zu entwickeln und zur Verfügung zu stellen. /

 

Literatur bei den Verfassern

Die Autoren sind an der Abteilung Klinische Pharmakologie und Pharmakoepidemiologie sowie an der Kooperationseinheit Klinische Pharmazie der Universität Heidelberg beschäftigt.

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