Dick durch falsche Darmflora? |
14.05.2014 09:59 Uhr |
Von Theodor Dingermann und Ilse Zündorf / Ob ein Mensch dick wird oder nicht, hängt wohl auch von der Zusammensetzung der Bakterienpopulation in seinem Darm ab. Die Darmflora könnte mit verantwortlich sein für die Adipositas-Epidemie. Und sie bietet auch einen möglichen Ansatzpunkt für Interventionen.
Der Mensch ist nur eine von bis zu 1000 Spezies, die das Ökosystem »Mensch« ausmachen. Die Bakterienzahl, die einen jeden Menschen besiedelt, liegt um den Faktor 10 höher als die Zahl der Körperzellen. Ist der Mensch also eine nahezu vernachlässigbare Spezies einer äußerst komplexen Bakterienpopulation? Das sicherlich nicht. Aber Beachtung verdienen die Bakterien, die in und auf uns leben, schon. Und tatsächlich wird ihnen diese Aufmerksamkeit in den letzten Jahren auch gewährt.
Das Mikrobiom, das vereinzelt sogar als das größte »essenzielle Organ« des Menschen bezeichnet wird, ist zu einem attraktiven Thema geworden. Gerade die Darmflora wurde in den vergangenen Jahren mit der Entstehung von Krankheiten wie Darm- und Autoimmunerkrankungen und sogar Autismus in Verbindung gebracht. Und es wird auch spekuliert, ob hier eine der Ursachen für die sich rapide ausbreitende Adipositas-Epidemie und den damit assoziierten Folgekrankheiten wie Typ-2-Diabetes, kardiovaskuläre Erkrankungen, Fettstoffwechselstörungen und bestimmte Krebserkrankungen zu suchen sein könnte. Wenn diese Hypothese zuträfe, böte das Mikrobiom Ansatzpunkte für eine Intervention, ohne dass von den Betroffenen Eigenanstrengungen wie Umstellung der Ernährungsgewohnheiten oder mehr Sport einzufordern wären.
Die Eckdaten der Darmflora
Beforscht wird das Mikrobiom in den letzten Jahren intensiv und mit großer Kompetenz. Aus den Resultaten dieser Forschung kann man die Eckdaten des Darmmikrobioms recht zuverlässig ableiten. Demnach kommt ein Großteil der bakteriellen Gene in jedem menschlichen Darm in Form des sogenannten Basismikrobioms vor. Zusätzlich gibt es aber einen variablen Teil, der bestimmte Enterotypen prägt, die ihrerseits abhängig sind von genetischen Faktoren des Einzelnen und von den Bakterientypen, mit denen er in Kontakt gekommen ist. Je nach dominierender Bakteriengattung lassen sich die Menschen in drei Gruppen einteilen. Das Mikrobiom der ersten beiden Gruppen wird entweder von Vertretern der Gattung Bacteroides oder von Vertretern der Gattung Prevotella, die beide zum Stamm Bacteroidetes gehören, dominiert. Das Mikrobiom der dritten Gruppe wird geprägt von Keimen der Gattung Ruminococcus. Diese gehören dem Phylum Firmicutes an.
Diese Enterotypen sind zunächst unabhängig von Geschlecht, Alter und Nationalität des Menschen. Allerdings beobachtet man eine starke Assoziation zu langfristigen Ernährungsgewohnheiten, insbesondere bezogen auf tierisches Fett (Bacteroides-Enterotyp) oder eine hohe Kohlenhydratzufuhr (Prevotella-Enterotyp). Nach heutiger Kenntnis entwickeln sich die Enterotypen hinsichtlich ihrer Diversität primär bis zum dritten Lebensjahr. Im Alter beobachtet man dann eine Rückbildung der Diversität.
Mikrobiome bei Schlanken und Adipösen
Unterschiede in den Mikrobiomen bei Adipösen und Schlanken machen sich vor allem an Vertretern der beiden Phyla Bacteroidetes und Firmicutes fest. Sehr reproduzierbar dominieren bei Normalgewichtigen Bacteroidetes-Stämme, bei Adipösen hingegen Firmicutes-Stämme. Eine derartige Verschiebung der Hauptstämme wirkt sich unmittelbar auf den Energiestoffwechsel aus. So produziert das Mikrobiom von Adipösen deutlich mehr Enzyme, die unverdauliche Kohlenhydrate wie Zellulose spalten können. Damit holen diese Menschen viel mehr Energie aus ihrer Nahrung als Menschen, bei denen Bakterien des Phylums Bacteroidetes dominieren. Die lange bekannten Attribute »schlechter beziehungsweise guter Nahrungsverwerter« bekommen hier nun ein biologisches, nachvollziehbares Korrelat.
Andererseits handelt es sich beim Mikrobiom keineswegs um ein statisches, sondern um ein sehr dynamisches System. Experimentell ließ sich demonstrieren, dass das Mikrobiom von Normalgewichtigen erstaunlich schnell reagierte, wenn man diesen eine hochkalorische Diät verordnete: Der Anteil der (ungeliebten) Firmicutes-Vertreter stieg, während der der (eher vorteilhaften) Bacteroidetes-Vertreter um bis zu 20 Prozent sank. Die Konsequenz: die Energieausbeute aus der aufgenommenen Nahrung stieg um bis zu 150 Kilokalorien pro Tag. Was moderat klingt, hat auf Dauer aber deutliche Auswirkungen. Populationsstudien in den USA zeigen, dass dort viele Menschen pro Jahr um ein Pfund an Gewicht zulegen. Das summiert sich mit der Zeit auf, wenn man nicht gezielt gegensteuert.
Abbildung 5: Verträglichkeit des Prüfpräparates
Hinzu kommt, dass adipöse Menschen nicht nur ein unvorteilhaftes Mikrobiom mit dem Potenzial einer zu hohen Nahrungsverwertung aufweisen. Einige Bakterien aus den Familien Enterobacteriaceae und Desulfovibrionaceae produzieren sehr toxische Lipopolysaccharide, die vermehrt zu Störungen der Darmbarriere-Funktion führen und somit wiederum subklinische, chronische Entzündungen im Darmbereich, vermehrte Fetteinlagerung, Fettleber und eine gestörte Insulinsensitivität nach sich ziehen. Folgeerkrankungen sind Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörung und Insulinresistenz – alles Kernsymptome des gefährlichen metabolischen Syndroms.
Potenzielles Target
Alle diese Erkenntnisse lassen eine mögliche Intervention auf der Ebene des Mikrobioms als plausible Maßnahme erscheinen. Eine Möglichkeit kann darin bestehen, das Darmmikrobiom adipöser Patienten gegen das schlanker Personen durch eine sogenannte Stuhltransplantation auszutauschen. Hierzu erschien 2013 im Fachjournal »Science« eine interessante Studie von Forschern um Vanessa Ridaura von der Washington University in St. Louis (doi: 10.1126/science.1241214). Diese Autoren zeigten zunächst, dass schlanke, »keimfreie« Mäuse ein Transplantat der Darmflora von schlanken oder adipösen menschlichen Spendern annahmen. Die Mäuse blieben daraufhin entweder schlank, oder sie entwickelten eine Adipositas, wenn ihnen das Darmmikrobiom adipöser Spender übertragen worden war. Ob dieses Ergebnis auf Menschen übertragbar ist, muss durch Humanstudien erst noch gezeigt werden.
Weniger aufwendig, aber auch deutlich weniger effektiv erscheint die Einnahme von Präbiotika. Dies sind nicht verdaubare Polysaccharide, beispielsweise Oligofructose, die tatsächlich das Bakterienspektrum positiv zu beeinflussen scheinen. So ergab eine klinische Studie mit präadipösen Patienten, dass nach Einnahme von 21 g Oligofructose pro Tag über zwölf Wochen eine leichte Gewichtsabnahme von 1,03 ± 0,43 kg beobachtet wurde. In der Vergleichsgruppe, die statt der Oligofructose Placebo in Form von Maltodextrin erhielt, wurde eine mäßige Gewichtszunahme von 0,45 ± 0,31 kg beobachtet. Ferner besserten sich in der Präbiotika-Gruppe auch die Konzentrationen der appetitregulierenden Hormone Ghrelin und PYY.
Auch die Einnahme von Probiotika, also lebender Mikroorganismen, die eine Magenpassage überstehen und sich im Darm ansiedeln können, scheint positive Effekte auf den Body-Mass-Index, das Ausmaß an viszeralem Fett und den Taillenumfang zu haben.
Die Ernüchterung
Letztlich kann man jedoch Betroffene offensichtlich nicht aus einer aktiven Mithilfe bei der Bewältigung ihrer Gewichtsprobleme entlassen. Das Darmmikrobiom ist doch ein sehr dynamisches System, das trotz genetischer Vorgaben und einer lang entwickelten Homöostase sehr schnell auf zugeführte Nahrung und folglich auch auf Nahrungsumstellung reagiert. Daher muss man wohl trotz des großen Hypes um das Mikrobiom und trotz der Phantasien, die sich daran knüpfen nüchtern konstatieren, dass eine ausgewogene, maßvolle Ernährung und ausreichende Bewegung unabdingbare Voraussetzung für das Erzielen und den Erhalt eines Normalgewichts zu bleiben scheinen. /