Grün beruhigt |
19.06.2007 11:54 Uhr |
Grün beruhigt
Von Daniela Biermann
Bei Stress und Nervosität können pflanzliche Beruhigungsmittel helfen. Auch wenn alle wirksamen Komponenten noch nicht mit letzter Sicherheit identifiziert sind, so gibt es Hinweise auf die anxiolytische und sedierende Wirkung von Johanniskraut, Baldrian, Hopfen, Melisse und Passionsblume.
Stress, nervöse Einschlafstörungen und depressive Verstimmungen sind jedem bekannt und können die Lebensqualität und Gesundheit negativ beeinflussen. Den Weg zum Arzt scheuen viele aus Angst, nicht ernst genommen zu werden, oder im Gegenteil, starke Tranquilizer oder Antidepressiva verordnet zu bekommen. Die Apotheke ist daher oft erste Anlaufstelle zur Beratung. Es gilt zunächst abzuklären, ob es sich um eine Befindlichkeitsstörung handelt, die für die Selbstmedikation geeignet ist oder ob ein Arzt oder Psychologe konsultiert werden sollte.
Eine Alternative zu starken Sedativa wie Benzodiazepinen bilden pflanzliche Beruhigungsmittel. Die Cochrane Collaboration, die Studien evidenzbasiert auswertet und als Goldstandard gilt, fordert zwar mehr und größere klinische Studien zum Wirksamkeitsbeleg. Doch Kommission E, einberufen vom ehemaligem Bundesgesundheitsamt, und in Nachfolge die European Scientific Cooperative on Phytotherapy (ESCOP) von der EMEA sehen die Wirkung für die jeweils genannten Indikationen als gesichert.
Im Gegensatz zu starken Sedativa oder Antidepressiva schränken die Phytopharmaka nicht die Leistungsfähigkeit und Fahrtüchtigkeit ein, führen nicht zu Gewöhnung oder Abhängigkeit und sind bei großer therapeutischer Breite nebenwirkungsarm oder sogar -frei. Zwar wirken sie in Tier- und Menschenstudien selbst nicht hypnotisch, doch vermindern sie nachgewiesenermaßen nervöse Anspannung und fördern so die Schlafbereitschaft. Die Wirkung der vorgestellten Phytopharmaka tritt erst nach zwei bis vier Wochen ein. Auf diese Latenzzeit sollte man die Patienten hinweisen.
Stimmungsaufheller Johanniskraut
Zur Behandlung leichter bis mittelschwerer Depressionen, nervöser Unruhe und Angst werden standardisierte Johanniskrautextrakte angewandet. Sie werden aus den getrockneten Triebspitzen von Hype-ricum perforatum L. gewonnen. Als Leitsubstanzen gelten Phloroglucinderivate wie Hyperforin, Naphthodianthrone wie Hypericin und Flavonole wie Hyperosid. Standen früher Hypericine als antidepressiv wirksame Komponenten im Fokus, zeigen neuere Untersuchungen, dass Hyperforin und verwandte Stoffe eine größere Rolle spielen als bisher angenommen. Sie hemmen unspezifisch die Wiederaufnahme von Noradrenalin, Dopamin, Serotonin, GABA und Glutamat. Im Gegensatz zu Hypericin konnte Hyperforin im Gehirn von Nagetieren nachgewiesen werden (1). Die übliche Dosierung von Johanniskraut beträgt 900 mg Extrakt oder laut Kommission E zwei bis vier Gramm Droge pro Tag.
Johanniskrautextrakte sind Placebo signifikant überlegen und wirken bei besserer Verträglichkeit genauso effektiv wie synthetische Antidepressiva bei leichten und mittelschweren Depressionen, wie eine Metaanalyse von 30 Studien zeigte (2). Photosensibilisierende Effekte, verursacht durch die Hypericine, können als Nebenwirkung auftreten. Unbedingt ist das Interaktionspotenzial zu beachten: Extraktbestandteile können Cytochrom-P450-abhängige Enzyme aktivieren, vor allem CYP3A4 und P-Glykoprotein. Die Wirkung von Antikoagulanzien wie Phenprocoumon, oralen Kontrazeptiva, trizyklischen Antidepressiva, Proteaseinhibitoren, Ciclosporin, Theophyllin und Digoxin wird vermindert.
Baldrianwurzelextrakt, gewonnen aus Valeriana officininalis L., wurde von der ESCOP für die Indikationen Einschlafschwierigkeiten, Nervosität, Rastlosigkeit und Erregbarkeit positiv bewertet. Die übliche Dosierung beträgt 200 bis 600 mg.
Als analytische Leitsubstanzen gelten ätherisches Öl, Iridoide wie Valepotriate und Sesquiterpensäuren wie Valerensäuren. Nachdem diese Substanzen und ihre Abbauprodukte lange als wirksame Komponenten galten, stehen nun auch andere Inhaltsstoffe im Mittelpunkt von In-vitro- und tierexperimentellen Studien. Das Flavon 6-Methylapigenin zum Beispiel bindet hochaffin an die Benzodiazepin-Bindungsstelle des GABAA-Rezeptors und wirkt anxiolytisch (3). Es scheint selbst nicht sedativ zu wirken, aber die beruhigende Wirkung anderer Flavonoide wie Hesperidin zu verstärken. Zwar ist die Bioverfügbarkeit gering, doch sind vermutlich Metabolite an der sedierenden Wirkung beteiligt (4). Andere Studien legen nahe, dass Baldrianextrakte die Schlafbereitschaft auch durch eine Wechselwirkung mit Adenosin-A1-Rezeptoren fördern (5).
Die Arzneipflanze des Jahres 2007
Der Studienkreis Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzenkunde an der Universität Würzburg hat den Hopfen (Humulus lupus L.) zur Arzneipflanze des Jahres 2007 gewählt. Damit wird eine Kulturpflanze gewürdigt, deren Nutzung sich nicht nur auf das Brauereiwesen beschränkt: Hopfenextrakt enthält Bitterstoffe wie Humulone und Lupulone sowie als Leitsubstanz das Chalkon Xanthohumol. Aus den Bitterstoffen entsteht bei längerer Lagerzeit und vermutlich auch in vivo 2-Methyl-3-buten-2-ol, das in hohen Dosen im Tierversuch stark sedierend wirkt. Das definitive Wirkprinzip ist noch unbekannt und ein anxiolytischer Effekt ist für Hopfenextrakt bisher nicht nachgewiesen. Empfehlenswert sind Präparate mit Baldrian-Hopfen-Kombinationen. Denn für diese zeigen klinische Daten einen schlaffördernden Effekt. In einer im Mai 2007 veröffentlichen Studie war diese Kombination der Monotherapie mit Baldrianextrakt überlegen (6).
Zur Behandlung nervöser Unruhezustände sowie Ruhelosigkeit und Reizbarkeit mit Einschlafstörungen empfiehlt die ESCOP Passionsblumenkraut. Sechs Gramm Droge der Stammpflanze Passiflora incarnata L. gelten als mittlere Tagesdosis. Die wirksamen Komponenten sind unbekannt, Hauptinhaltsstoffe sind Flavonoide. In einer kleinen randomisierten Doppelblindstudie konnte eine anxiolytische Wirkung nachgewiesen werden (7).
Auch im Fall der Melisse (Melissa officinalis) sind die wirksamen Komponenten unbekannt. 600 mg eines 30-prozentigen Methanolextrakts zeigten gegenüber Placebo deutlich beruhigende Wirkungen in einer randomisierten Doppelblindstudie (8). Positiv bewertet ESCOP Melissenblätter für die Indikationen Nervosität, Rastlosigkeit und Erregbarkeit. Die Tagesdosis sollte bei 1,5 bis 4,5 Gramm Droge liegen.
Literatur bei der Verfasserin