Pharmazeutische Betreuung bei Hautveränderungen |
04.12.2006 11:32 Uhr |
Pharmazeutische Betreuung bei Hautveränderungen
Von Alfred Goldinger
Bei einer Strahlentherapie erleiden Patienten oft starke Hautirritationen bis hin zu offenen Wunden. Dies beeinträchtigt den Therapieerfolg und die Lebensqualität massiv. Eine intensive Betreuung des Patienten zur Hautpflege kann hier Abhilfe schaffen und zugleich zur Kostenreduktion beitragen.
Die Strahlentherapie wird seit mehr als 100 Jahren erfolgreich in der Onkologie eingesetzt. Da nicht nur die Tumorzellen, sondern auch das umgebende gesunde Gewebe mit bestrahlt werden, stellten sich durch Überschreiten der Gewebetoleranzgrenzen bald bleibende Schäden ein. Die Strahlendosis war an der Eintrittsstelle Haut oft gleich oder sogar höher als die am Tumor ankommende Dosis und führte zu ausgeprägten Reaktionen, teilweise mit Spätschäden. In den letzten Jahrzehnten änderten sich die Bestrahlungsmethoden. Erweiterte Kenntnisse zur Physiologie der Haut sowie neue Wirkstoffe und Pflegepräparate eröffneten zudem neue Möglichkeiten der Prophylaxe und Therapie von strahleninduzierten Hautveränderungen.
In der interdisziplinären Zusammenarbeit mit dem Radioonkologen sind die Kenntnisse und Erfahrungen des Apothekers bei der Wahl optimaler Präparate zum geeigneten Zeitpunkt sehr sinnvoll. Die individuelle Beratung bei starken oder atypischen Hautreaktionen bietet eine neue Chance für die Pharmazeutische Betreuung von Krebspatienten. An den Universitätskliniken Mainz wird dies in einem neuen Projekt umgesetzt.
Erytheme nach Bestrahlung
Die Verwendung von Korpuskularstrahlung (Alpha-Partikel, Elektronen, Protonen, Neutronen) und Photonenstrahlung führt zur Ionisierung biologischen Materials. Durch die Absorption der ionisierenden Strahlung kommt es unter anderem zu reversiblen und irreversiblen DNA-Veränderungen im Gewebe sowie Beeinflussung der Zellteilung (35). In der Haut werden die mitotischen Fähigkeiten der Stammzellen in der Basalzellschicht geschädigt, sodass die Zellerneuerung unterdrückt und die Hautintegrität geschwächt wird. Der Grad der Hautreaktion hängt von der Strahlendosis und vom Überleben der aktiv proliferierenden Basalzellen in der Epidermis ab.
Neuerdings wird auch diskutiert, ob ionisierende Strahlung den Transkriptionsfaktor NF-κB durch intrazelluläre Bildung von Sauerstoffradikalen aktiviert. Wichtige Mediatoren der Strahlungseinwirkung an der Haut sind Ceramide und Sphingomyeline. Bevor eine strahleninduzierte Dermatitis klinisch manifest wird, wird bereits die epidermale Barrierefunktion infolge Gefäßirritation gestört. Der transepidermale Wasserverlust (TEWL) erhöht sich und erreicht seinen Höhepunkt vor dem Peak der Radiodermatitis. Bei Patienten mit sehr frühem Beginn der Barrierestörung hält die Dermatitis länger an. Eine Fraktionierung der Strahlung verbessert die Verträglichkeit.
Um Tumorzellen in die Apoptose zu treiben, ist eine relativ hohe Strahlendosis erforderlich, die oft nahe an der Toleranzgrenze des gesunden Gewebes liegt. Je nach Tumorlage, ob hautnah oder im Inneren des Körpers, ist in Abhängigkeit von der Strahlenqualität und -energie die Oberflächendosis (»Hautdosis«) ebenfalls hoch und kann zu sichtbaren Reaktionen wie Erythemen bis zur Nekrose führen. Eine Erythembildung ist stets zu erwarten und bildet sich später überwiegend voll zurück.
Besonders die Verbesserung der Strahlenqualität durch Anwendung von hoch energetischen Photonen, erzeugt durch Beschleuniger, hat zu einer wesentlichen Dosisminderung und damit Entlastung an der Haut geführt. Verteilt man die Gesamtstrahlendosis nicht auf eine, sondern zahlreiche kleinere Einzeldosen über einen längeren Zeitraum (Fraktionierung), können sich das gesunde Gewebe und die Haut zwischenzeitlich erholen. Auch dies verbessert die Verträglichkeit.
Zu Beginn der Strahlentherapie-Ära galt das früh auftretende Erythem sogar als Dosiseinheit. Man bestrahlte die Haut des Patienten einzeitig bis zur Erythembildung. Dies stellte eine Haut-Erythem-Dosis (HED) dar, von denen der Arzt tumorabhängig eine entsprechende Anzahl verordnete.
Einteilung der Hautreaktionen
Meist werden Strahlenschäden der Haut nach der Einteilung der Radiation Therapy Oncology Group/European Organisation for Research and Treatment of Cancer (RTOG/EORTC) klassifiziert (Tabelle 1; 12, 25, 34).
Stadium | Hauterscheinung |
---|---|
keine Veränderung zur Baseline | |
1 | schwaches Erythem, trockene Desquamation, Haarausfall, verringertes Schwitzen |
2a | ausgeprägtes Erythem |
2b | feucht schuppende Effloreszenz, moderates Ödem |
3 | flächenhafte Desquamation, ausgeprägte Ödeme |
4 | Ulzeration, Hämorrhagie, Nekrose |
Hautreaktionen sind dosisabhängig. Bei der Bestrahlung von Nicht-Tumorpatienten (»Entzündungsbestrahlung«) mit Dosen von 5 bis 10 Gy sind keine Veränderungen zu erwarten, bei 20 bis 30 Gy treten nur selten Hautreaktionen auf, bei hoher Dosierung über 50 Gy ist eine Erythembildung häufig. Mehr als 80 Prozent der radiologischen Abteilungen in Großbritannien beobachten Hautreaktionen (4). Dies sind zu etwa 80 bis 90 Prozent Erytheme und zu 10 bis 15 Prozent feuchte Desquamation (15).
Lokale Strahlendermatitis
Die Strahlendermatitis ist eine lokale Reaktion auf die Strahleneinwirkung; man unterscheidet zwischen einer Akutreaktion und einer Spätveränderung. Initial kann die Radiotherapie dosisabhängig die Melanozyten stimulieren, was der Haut ein dunkleres Aussehen gibt (11, 28). Hautanhangsgebilde wie Haare, Talgdrüsen und Schweißdrüsen sind ebenfalls betroffen; es kommt zur Funktionseinschränkung oder zum völligen Haarausfall. Dilatierte Mikrogefäße in der Dermis und fortschreitende Einengung der Arterien wurden nach einzeitigen hohen Strahlendosen gesehen.
Die Hautreaktionen während oder kurz nach der Strahlentherapie können von einem milden Erythem über eine trockene bis zur konfluierenden feuchten Desquamation (Abschuppung) mit Blasenbildung reichen. Die gravierendste Form ist die Nekrose. Mitunter kann man eine Kombination von Erythem, trockener und feuchter Desquamation innerhalb eines bestimmten Bereichs beobachten. Spätveränderungen können sich erst nach vielen Monaten und Jahren einstellen in Form von Pigmentierung, Hautatrophie, oft verbunden mit Teleangiektasien bis hin zur Nekrose (Strahlenulcus). Eine starke Frühreaktion der Haut kann vollständig ohne Spätveränderungen abheilen, ein Spätschaden muss nicht Folge einer starken Frühreaktion sein.
Trott und Mitarbeiter berichteten von einer Überexpression von Tumornekrosefaktor alpha (TNFα), IL-1α und induzierbarer NO-Synthase nach einzelner Hochdosisbestrahlung bei Mäusehaut (33). Dies konnte durch antiinflammatorische Wirkstoffe supprimiert und somit die folgende feuchte Desquamation verringert werden.
Schmuth und Mitarbeiter maßen den TEWL als Zeichen einer epidermalen Dysfunktion während fraktionierter Radiotherapie von 50 bis 60 Gy bei Brustkrebspatientinnen (29). Sie fanden einen Anstieg des TEWL ab Tag 11, der einem Erythem vorausging, ein Maximum um Tag 27 sowie eine Normalisierung zum Tag 66. Dies kann bedeuten, dass die Bestrahlung eine funktionelle Störung der Keratinozyten auslöst, die zu einer abnormen extrazellulären Matrix und einer mangelhaften epidermalen Lipidproduktion führt. Die Dysfunktion der Barriere könnte eine Zytokinproduktion triggern, die die Inflammation wiederum anregt.
Bei der normalen Hauthomöostase werden die oberflächlichen Zellen ständig abgeschuppt und aus der Basalzellschicht rücken neue nach. Die Erneuerung der gesamten Epidermis dauert etwa vier Wochen. Dies stimmt mit der Zeitdauer überein, die Basalzellen brauchen, um an die Oberfläche zu gelangen. Die Basalzellschicht proliferiert rasch, sodass sie besonders empfindlich gegenüber einer Radiotherapie ist. Der Basalzellverlust beginnt bei einer Strahlendosis von 20 bis 25 Gy (1). Ein Maximum der Schädigung trat bei Patienten auf, die mit 50 Gy behandelt wurden. Dies bedeutet, dass Hautreaktionen in der Praxis um die zweite bis dritte Woche einer Strahlentherapie sichtbar werden, mit einem Peak am Ende der Bestrahlung oder innerhalb einer Woche danach (2, 28).
Die Haut versucht, die Schäden durch erhöhte mitotische Aktivität zu kompensieren. Wenn die neuen Zellen sich schneller reproduzieren als die alten abgeschilfert werden, kommt es zur trockenen Desquamation. Eine feuchte Desquamation tritt auf, wenn die sich teilenden Zellen in der Basalzellschicht derart geschädigt sind (oft nach einer Hautdosis von 50 Gy), dass das betroffene Gewebe nicht ersetzt wird. Die Haut wird dünn, brüchig oder atrophisch, erodiert und die Epidermis bricht (14, 16).
Hautreaktionen belasten stark
Die zu erwartende Hautreaktion hängt von der Einzel- und Gesamtdosis sowie der Gesamtbehandlungszeit ab. Zunehmende Bestrahlungsdosen führen zur Hyperpigmentierung, Epilation und trockenen Epitheliolysen. Das Ausmaß der akuten Reaktionen hängt im Wesentlichen von der Dicke des Stratum corneum ab. So sind die Reaktionen am geringsten an den Fußsohlen und Handinnenflächen, danach folgen Kopfhaut, Nacken, Rücken und Streckseiten der Extremitäten. Brust- und Bauchhaut weisen ebenso wie die Beugeseiten der Extremitäten eine mittlere Empfindlichkeit auf. Am strahlenempfindlichsten sind die vorderen Anteile des Halses, die Ellenbeugen und die Kniekehlen.
Dosen über 40 Gy führen zu einer vermehrten Schuppung, dann zu einer progressiven Atrophie, Teleangiektasie und subkutanen Fibrose. Sekundär können Nekrosen und Ulzerationen folgen.
Die Hautreaktionen können stark jucken, sehr unangenehm und schmerzhaft sein. Oft sind sie dosislimitierend (8), besonders bei ungünstiger Strahlenqualität.
Prävention: Waschen erlaubt
Anfang der 1920er-Jahre entstand die Empfehlung, die Haut zur Prävention von Strahlenschäden mit Mineralpuder wie Talkumpuder oder Stärke trocken zu halten. Allerdings kann dies die Barrierefunktion nicht verbessern. Mit Sicherheit wird die Haut nach und nach rissiger und bekommt Fissuren. Durch Flüssigkeitsaufnahme tendieren die Puder zur Klümpchenbildung und können damit Mykosen begünstigen.
Das Waschen der Bestrahlungsregion war in früheren Jahren nicht nur verpönt, sondern sogar tabu. Inzwischen belegen viele Studien, dass vorsichtiges Waschen keine negativen Ergebnisse bringt. Nach wie vor gibt es aber nicht wenige radiologische Abteilungen, die ihren Patienten dies verbieten (14, 18).
Nach heutiger Kenntnis und Erfahrung ist das Dermatitisrisiko durch vorsichtiges Waschen und Eincremen zusammen mit hautschonenden Bestrahlungstechniken deutlich gesunken. Der pH-Wert der Haut wird durch moderates Waschen stabil gehalten. Nicht zu unterschätzen ist der psychologische Faktor für die Patienten. Nur wenn Patienten der Aufforderung nach kurzem vorsichtigen Waschen oder Duschen nicht nachkommen, ist ein kurzzeitiges Waschverbot zu erwägen (37). Ansonsten kann es zum Quellen der Haut und dadurch zu einer gesteigerten Proliferation kommen, die eine verstärkte Hautreaktion bedingt.
In der National Guideline Clearinghouse (5, 21) wird empfohlen, vorsichtig mit lauwarmem Wasser oder einer milden Seife und Wasser zu waschen oder zu duschen. Dabei die Haut nicht abreiben. Eine milde Seife ist pH-bilanziert, nicht parfümiert und ohne Lanolin. Insgesamt soll die persönliche Hygiene aufrechterhalten werden. Patienten mit Kopfbestrahlungen können ein mildes Shampoo bei etwa einmaliger Kopfwäsche pro Woche verwenden.
In einer Studie wurde dreimal Duschen pro Woche erlaubt, was von den Patienten gut akzeptiert wurde (30). Dies verhindert eine chemische Irritation durch Schwitzen oder mechanische Hautreizungen durch Puder. Die Autoren bestätigen, dass Pudern die Haut austrocknet und Fissuren auftreten, sodass Superinfektionen möglich sind. Ist die Basalzellschicht zerstört, können inkomplette Heilungsprozesse funktionelle Störungen, Narben oder Atrophien hinterlassen. Die feuchte Hautpflege hält die normale Permeabilität der Haut aufrecht und fördert dadurch Austauschprozesse. Die bestrahlte Haut bleibt geschmeidig, der Juckreiz wird minimiert und die Patienten kratzen nicht. Feuchtpackungen mit Ringerlactat nehmen Hitze auf, was als angenehm kühlend empfunden wird.
Mit Weizen- und Reisstärkepuder, die einen 5- bis 10-fach höheren Wasseranteil aufweisen als Mineralpuder (39), ist nur ein vorübergehender Kühleffekt zu erzielen. Zudem verschmutzen alle Puder Kleider und Gegenstände wie Stühle oder Bettwäsche. Seit das feuchte Hautprogramm läuft, so die Studienaussage (30), waschen sich die Patienten nicht mehr heimlich, sodass die Markierungen erhalten bleiben. Die Feldmarkierungen auf der Haut sollten mit geeigneten Farbstiften erfolgen und sich durch Waschen mit Wasser nicht entfernen lassen!
Alle Studien zeigen klar, wie schwierig es ist, die Patientencompliance zu erhalten, zumal die persönliche Erfahrung und Überzeugung der Patienten das Waschverhalten während einer Radiotherapie signifikant beeinflussen. Die Befunde belegen, wie wichtig die im persönlichen Gespräch gegebenen Patienteninformationen sind, die mit schriftlichem Material unterstützt werden können.
Anwendungen bei Dermatitis
Nicht nur in der Prävention, auch zur Behandlung von Hautschäden bei Brustkrebspatientinnen war die Waschung der Trockenbehandlung überlegen. Besonders die feuchte Desquamation war seltener, wenn Waschen erlaubt wurde.
Die Xerosis cutis (Xerodermie) ist ein Leitsymptom der Radiodermatitis und bedarf der Behandlung. Bei der Hautreinigung ist auf konventionelle Seifen zu verzichten, da diese den pH-Wert ins Basische verschieben können.
Bei einer erosiven Strahlendermatitis werden Feuchtumschläge mit Schwarztee oder Eosinlösung (1- bis 2-prozentig), kurzzeitig auch Hydrocortison-Schaum empfohlen (23). Eosin bewirkt nicht nur eine rasche Erleichterung, sondern führt zur Trockenlegung und verhindert eine Superinfektion. Begrenzte Hinweise gibt es auch zur Anwendung von Calendulasalbe bei Frauen mit Mammakarzinom (24).
Viele weitere Studien ergaben keine klare Bewertung topischer Agenzien wie Corticosteroide, Sucralfat-Creme, Ascorbinsäure, Aloe vera, Kamillencreme und Mandelölsalbe, ebenso für orale (Enzyme, Sucralfat) sowie intravenöse Wirkstoffe wie Amifostin zur Behandlung akuter Hautreaktionen (22). Die kanadische Supportive Care Guidelines Group empfiehlt die frühzeitige Anwendung einer unparfümierten, lanolinfreien hydrophilen Creme, die die Feuchtigkeit der Haut erhält.
Die Berichte zur Anwendung von Corticosteroiden zur Behandlung von Hautirritation und Juckreiz sind kontrovers. So fanden Autoren keinen Effekt mit Hydrocortison (27). Andererseits war Mometasonfumarat in einer randomisierten Doppelblindstudie mit 49 Brustkrebspatientinnen signifikant stärker wirksam als die Cremegrundlage allein (7). Die Anwendung von topischen Corticosteroiden wird wegen Nebenwirkungen wie Superinfektionen oder Hautatrophie trotzdem nicht generell empfohlen (31). Corticoide können auch die lokale Lipidsynthese hemmen und so die Barrierefunktion stören (17).
Zusammenfassend kann man die Empfehlungen der Leitlinie »Radioonkologie: supportive Maßnahmen« der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) zitieren (3). Hier heißt es, dass die Pflege mittels Waschen dem Waschverbot überlegen ist (Evidenzlevel II). Mit gleichem Evidenzgrad werden Vorteile für Cremes mit Corticoiden, Sucralfat und Hyaluronsäure gesehen. Bei feuchten Epitheliolysen waren Hydrokolloidverbände der Anwendung von Gentianaviolett überlegen (Evidenzlevel II).
Durch die Vielzahl an Präparaten und den teils kontrovers beurteilten Therapieeffekt bei unterschiedlichen Hautreaktionen ergibt sich eine große Variation bei den Pflegekonzepten. Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit vor Ort von Apothekern und Radioonkologen zum Wohl des Patienten ist daher sehr empfehlenswert.
Erfahrungen im Krankenhaus
Jeder Strahlentherapiepatient erhält von dem behandelnden Radioonkologen genaue Informationen über Ziele, Art und Dauer der Behandlung, Verhaltenweisen während und nach der Bestrahlungszeit sowie über mögliche Nebenwirkungen. Zusätzlich ist es sinnvoll, dass der Krankenhausapotheker und der Arzt gemeinsam eine schriftliche Empfehlung zum persönlichen Verhalten und zur Hautpflege mitgeben. Alle Patienten sollten über die optimale Pflege ihrer Haut an der Strahleneintritts- und -austrittsstelle beraten werden (6, 9, 14, 19, 26). Am Klinikum der Universität Mainz läuft ein entsprechendes Projekt zwischen Apothekern und Radioonkologen.
In der Prophylaxe haben sich vor allem Präparate vom O/W-Typ bewährt. Gute Erfolge wurden beispielsweise mit der hauseigenen »Curaderm Hautlotion für die Radiologie« erzielt (Kasten). Die beginnende oder bereits bestehende Exsudation lässt sich mit Umschlägen mit Schwarztee, einem Gerbstoffpräparat (Beispiel: Tannolact® Creme), Tormentill-Gel oder Tannin-Gel aus der Eigenherstellung zurückdrängen.
Hautlotion
Inhaltsstoffe: Softisan 601, Cetylpalmitat, Cetylstearylalkohol, Cyclopentasiloxan (und) Cyclohexasiloxan, Cetearyloctanoat, Glycerol, Sorbitol, Acidum citricum, Natriumhydroxid, Urea pura, Kaliumsorbat, Aqua purificata
Tormentill-Gel
Inhaltsstoffe: Extractum Tormentillae, Dexpanthenol, Propylenglycol, Cellulose Gum, Aqua purificata
Tannin-Gel
Inhaltsstoffe: Tannin, Propylenglycol, Carboxymethylcellulose, Aqua purificata
Ansprechen kann man auch den Pruritus sowie Vorbeuge- und Behandlungsmöglichkeiten, beispielsweise Bäder mit Hafer-, Mais- oder Sojamehl, die Applikation von Lokalanästhetika wie Polidocanol und in hartnäckigen Fällen auch Cortisonpräparate wie Prednicarbat.
Bei einer Xerosis cutis, die als Leitsymptom der Radiodermatitis gilt (35), kommen als halbfeste Pflegepräparate nicht mehr O/W-, sondern W/O-Cremes in Betracht, da die Haut jetzt stärker geschädigt und der Wasserverlust noch höher ist. Man muss also versuchen, eine stärkere Hydratation zu erreichen, um die Haut vor noch größeren Schäden wie komplettes Aufbrechen und Ulcusbildung zu schützen. Dies gelingt vor allem mit W/O- oder Lipidpräparaten (Beispiel CutaProtect Balsam: Squalen, Cyclopentasiloxan und Cyclohexasiloxan, Propylenglycol, Cera flava, Urea pura, Sorbitol, Prolin, Dexpanthenol, Mandelöl, Isopropylmyristat, Cetearyloctanoat, Octyldodecanol, Magnesiumsulfatheptahydrat, Aqua purificata). Infrage kommen auch Hydrokolloid- oder Hydrogelverbände oder bei sehr starker Exsudation Calciumalginatverbände, die die gereizte Haut vor äußeren Einflüssen schützen und den Sauerstoff- und Wasserdampfaustausch gewährleisten.
Austrocknende Präparate wie Gentianaviolett gelten als obsolet und sollten nicht mehr angewendet werden. Allenfalls könnte man eine wässrige Eosinlösung in besonderen Fällen (ähnlich wie ein Gerbstoffpräparat) zum Zurückdrängen der Exsudation einsetzen.
Kooperation an der Schnittstelle
Eine gute Kooperation und Kommunikation zwischen der Klinik und dem Haus- oder Facharzt sowie zwischen Krankenhaus- und Hausapotheke ist für die individuelle Hautpflege erforderlich. Alle Beteiligten sollten vor, während und nach einer Behandlung optimal zusammenarbeiten (10) (Tabelle 2).
Beteiligte an der Radiotherapie | davor | währenddessen | danach |
---|---|---|---|
Krankenhaus-Betreuung ärztlicher Dienst | + | + | + |
Radiologen | + | + | |
Krankenpflegepersonal | + | + | + |
Klinikapotheker | + | + | + |
Ambulante Betreuung niedergelassener Arzt | + | + | + |
Pflegekraft | + | + | + |
öffentliche Apotheke | + | + | + |
Weitere Spezialisten Dermatologen | + | + | |
Diätassistentin | + | + | + |
Nach der Entlassung wird der Strahlenpatient meist von niedergelassenen Ärzten weiter betreut. Dank seiner Kenntnisse über Hautpflege im Alltag kann der Patient die ärztliche Behandlung bestmöglich ergänzen. Ebenso kann er in der Apotheke bestimmte, vom Krankenhausapotheker empfohlene Pflegepräparate gezielt verlangen und damit die begonnene, individuell optimale Hautpflege zu Hause fortsetzen. Die Produktliste aus der Krankenhausapotheke erleichtert andererseits dem öffentlichen Apotheker die Beratung.
Die empfohlenen Präparate sind nach medizinisch-pharmazeutischen Gesichtspunkten ausgesucht. So wurde bei jedem Präparat die Zusammensetzung bewertet und insbesondere auf Konservierungsmittel und Parfüms geachtet. Sogenannte Baby- und Kinderpflegepräparate, zum Beispiel Shampoos, Reinigungsseifen und Hautpflegepräparate, weisen zwar eine geringere Konzentration an Putzkörpern oder schonendere Putzkörper auf, enthalten aber meist aus psychologischen Gründen Parfüm, sodass sie nicht unbedingt empfohlen werden können.
Erfolgreiches Projekt in Mainz
Im Projekt an der Uniklinik Mainz erhält der Patient nach der Beratung die tabellarisch ausgedruckten Produktempfehlungen, zum Beispiel aus der Sensitop-, Eucerin-, Physiogel-, Karrer-, Menalind- und Roche-Posay-Serie. Weitere hier nicht genannte Produkte sind möglich, müssen aber vom Apotheker anhand der genannten Kriterien überprüft werden.
Durch die umfassende Information und Beratung von Patienten mit strahleninduzierten Hautschäden wird ein bis dato oft wenig beachtetes Problem einer speziellen, aber zahlenmäßig durchaus großen Klientel optimal gelöst und dadurch iatrogene Schäden der Haut minimiert (95). Hier lässt sich ein weiteres Feld einer fruchtbaren Zusammenarbeit des Krankenhausapothekers mit dem Radiologen, den niedergelassenen Ärzten und der öffentlichen Apotheke zum Wohl der Patienten »beackern«.
In Mainz wurde dieser Service in der pädiatrischen Onkologie begonnen. Die Betreuung erwachsener Strahlenpatienten soll demnächst intensiviert werden. Geplant ist auch die Einrichtung einer regelmäßigen Sprechstunde, in der ambulante Patienten mit spezifischen Hautproblemen Rat von einem Klinikapotheker bekommen.
Basisempfehlungen zur Hautpflege
Beispielhaft seien hier die persönliche Beratung am Krankenbett in Mainz geschildert und Basisempfehlungen dargestellt (32). Zunächst erhält der Patient Informationen zu den Folgen der Bestrahlung (13) und zu möglichen Hautreaktionen. Dazu zählen rote Flecken, Ausschlag, dunkler werdende Haut, Jucken, Sonnenempfindlichkeit, Abschilfern der Haut, Ödeme, Nässen oder Hautverdickungen. Außerdem erfährt er, dass
Hautreaktionen von der Stärke der Strahlendosis abhängig und bei Menschen mit heller Haut stärker sind,
Rauchen und Chemotherapie Hautreaktionen verstärken können,
diese manchmal erst Wochen oder Monate nach Therapieende auftreten oder nach Therapieende oft von alleine verschwinden,
manchmal aber bleiben können (braune Flecken, dunklere Hautfarbe, verdickte Haut).
Dann werden praktische Hinweise zur Lebensführung gegeben, um eine zusätzliche Reizung der Haut zu vermeiden. So sollte der Patienten verschiedene Dinge im Alltag vermeiden, zum Beispiel Irritantien (Tabelle 3). Spezielle Pflegehinweise dienen der Prophylaxe einer Dermatitis (Tabelle 4) sowie der Therapie eines Erythems (Tabelle 5).
Art der Reizung | Zu vermeiden (Beispiele) |
---|---|
mechanisch | Reiben auf der Haut (Beispiel: Abtrocknen) eng anliegende Kleidungsstücke über bestrahlter Hautfläche raue, juckende Kleidungsstücke (am besten Baumwolle, weiche Kleidung) Heftpflaster, Schmuck Massagen an der Stelle der Bestrahlung langes Duschen (nicht länger als 2 Minuten) |
chemisch | Nassrasur, Rasierwasser alkalische Seifen, Deodoranzien, Parfüm, Make-up Desinfektionsmittel Schwimmen in gechlortem Wasser oder Salzwasser |
thermisch | direkte Sonneneinstrahlung, Solarium Temperaturextreme: Heizkissen, Wärmflasche, Haarfön, Trockenhaube, eisige oder heiße Packungen, Sauna, Heißluftmassagen, Fango- oder Moorbäder kalte Außentemperaturen, Wind |
Besonders wichtig sind Pflegehinweise zur Therapie einer Exsudation. Empfehlenswert ist es, das Exsudat mit Gaze aufzusaugen und mit Gerbstoff-haltiger Creme oder Gel zurückzudrängen. Dies beruht auf dem Nachweis, dass synthetische Tannine durch Hemmung der proinflammatorischen Humanleukozytenelastase und der Histaminfreisetzung antiinflammatorisch wirken (20, 38). Auch Schwarztee-Umschläge sind möglich. Die Hautpflege erfolgt 2- bis 4-mal täglich, abhängig von der Exsudatmenge. Keine Routinereinigung, wenn keine Infektion vorliegt, da die Schuppung verstärkt werden kann und Granulationsgewebe geschädigt wird. Auch moderne Wundauflagen können zum Einsatz kommen, da dadurch Schmerzen und Infektionsrisiken reduziert werden und die Heilung begünstigt wird.
Vorgang | Empfehlenswert |
---|---|
Hautreinigung | weiches Tuch, lauwarmes Wasser mildes Syndet oder Shampoo mit Hand auftragen, keinen Waschlappen benutzen, gut abspülen Haut trocken tupfen oder mit Fön auf kalter Stufe trocknen Sitzbäder bei perinealen Bestrahlungen |
Linderung von Juckreiz | lauwarmes Bad mit Mais- oder Hafermehl, gemahlenen Sojabohnen oder Natriumhydrogencarbonat Babypuder (nur im Sommer wegen verstärktem Schwitzen), Körpermilch kalte feuchte Packungen Creme oder Spray mit Cortison/Lidocain Antihistaminika oral |
Hautpflege | ausgewählte Produkte, möglichst ohne Konservierungsmittel, mindestens ohne Parfüm elektrische Rasur |
Kleidung | locker, bequem aus Naturfaser (Baumwolle, Seide, Leinen) keine Kunstfaser wegen Hitzestau breitrandige Hüte, Schals und langärmelige Kleidung, Sonnenschutzmittel LSF > 15 weibliche Brust: während Bestrahlungszeit keinen BH tragen (verursacht erhebliche Hautreizungen) Haut so oft wie möglich der Luft aussetzen |
Alle besprochenen Themen kann der Patient in einem Merkblatt mit gefälligem Layout nachlesen. Wichtig ist, ihn auf die zukünftigen Kontaktmöglichkeiten hinzuweisen, sodass er sich nie allein gelassen fühlt. Der Patient soll immer wissen, dass er bei Komplikationen an den Bestrahlungsarealen unkompliziert und rasch adäquate Informationen einholen kann. Zudem bekommt er einen Meinungsbogen, auf dem er die Beratung durch den Klinikapotheker beurteilen und gleichzeitig Verbesserungsvorschläge machen kann. Dadurch kann man einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess durch Anregungen des Patienten aufrechterhalten.
Vorgang | Empfehlenswert |
---|---|
Duschen und Haarwäsche | jeden 2. oder 3. Tag lauwarm und kurz, etwa 1 Minute, Haut nicht aufweichen milde Seife (Syndet) oder Shampoo verwenden |
Intim-/Anal-Bereich | lauwarmes Duschen jeden 2. bis 3. Tag etwa 1 Minute (milde Seife) alternativ lauwarme Sitzbäder mit verdünnter Kamillenlösung, etwa 1 Minute Körperfalten an Leiste und Gesäß besonders gut abtupfen (Gebrauch von Toilettentüchern) |
Feuchthaltemittel | mehrmals am Tag auftragen Frequenz kann erhöht werden, wenn Haut trockener wird nicht auftragen: zwei Stunden vor Behandlung Produktliste beachten |
Mehr Lebensqualität
Seit Jahrzehnten ist die Strahlentherapie ein unverzichtbarer Faktor in der Onkologie. Notwendigerweise bedeutet eine Bestrahlung von Organen immer auch eine potenzielle Schädigung der Eintrittspforte, des Systems und Organs Haut. Die Patienten erleiden oft starke und stärkste Irritationen der Haut bis hin zu offenen Wunden. Dadurch ist nicht nur der Therapieerfolg, sondern auch die Lebensqualität unter Umständen massiv beeinträchtigt.
Umso wichtiger ist es, diese sekundäre Beeinträchtigung des Patienten adäquat zu begleiten. Dazu zählen sowohl die richtige Vorbereitung der Haut vor Beginn der Bestrahlung als auch die Prophylaxe ab deren Beginn sowie eine therapeutische Hautpflege nach Auftreten von Effloreszenzen. Auf der Grundlage der dermatologischen Erkenntnisse ist in den letzten Jahren deutlich geworden, dass eine mangelhafte Hautpflege vor und während einer Strahlenbehandlung die Hautirritationen deutlich verstärkt und/oder zeitlich verlängert.
Hilfreich für den Patienten sind frühzeitige Informationen zur jeweiligen Situation. So sollte man bereits Tage vor Beginn einer Bestrahlung die betreffenden Hautareale mit den zum jeweiligen Hauttyp passenden Pflegepräparaten »konditionieren«. So lässt sich erreichen, dass die Haut zu Beginn der Bestrahlung und im weiteren Verlauf in möglichst gutem Zustand ist. Auch während der Bestrahlung und selbstverständlich nach Auftreten von Hauteffloreszenzen muss die Hautpflege mit entsprechenden Präparaten weitergeführt werden.
Die dermatologische Forschung konnte zeigen, dass insbesondere der Wassergehalt sowie der Wasserverlust der Haut zu den wichtigsten Markern zählen, wie die Haut auf Störungen von außen reagiert. Nicht umsonst gilt die Trockenheit als Leitsymptom der Nebenwirkungen einer Bestrahlung. Daher braucht der Patient in den jeweiligen Stadien die richtigen Präparate, um den Wassergehalt im günstigen Bereich zu halten oder wieder in einen physiologischen Bereich zu bringen. Information und Beratung zum Risiko, zur Vorbeugung und Behandlung einer Radiodermatitis sind wesentliche Faktoren einer erfolgreichen Strahlentherapie.
Es ist beabsichtigt, die Pharmazeutische Betreuung auch auf Patienten mit Schleimhautschäden und Darmveränderungen auszudehnen. Dadurch soll eine große Zahl von Patienten, deren Krankheit eine Bestrahlung erfordert, suffizient unterstützt und somit die gesamte Therapie optimiert werden. Das Maßnahmenbündel aus persönlichem Gespräch und schriftlichen Empfehlungen bietet auch dem niedergelassenen Mediziner die wissenschaftlich momentan besten Informationen. Der öffentliche Apotheker kann die Pharmazeutische Betreuung auf hohem Niveau weiterführen.
Diese intensive Betreuung kann außerdem zur Kostenreduktion beitragen, da die Dauer und Schwere von Hautschäden verkürzt oder verringert wird. Die Pharmazeutische Betreuung von Patienten mit strahleninduzierten Hautveränderungen ermöglicht also eine optimale Therapie, eine Verbesserung der Lebensqualität und damit eine Optimierung der Kostensituation, die wiederum dem Gesundheitswesen zugute kommt.
Desquamation: Abschuppung der Haut
Epilation: Entfernung von Kopf- und Körperhaaren
Epitheliolyse: Abhebung des Epithels (Deckgewebe der Haut)
Fissur: tief reichender, strichförmiger Haut- oder Schleimhauteinriss
Teleangiektasien: Erweiterung der Hautgefäße
Xerosis cutis, Xerodermie: abnorme Trockenheit der Haut
... beim Verfasser.
Alfred Goldinger studierte Pharmazie in Mainz, erhielt 1978 die Approbation als Apotheker und wurde in Pharmakologie promoviert. Seit 1981 arbeitet er als Krankenhausapotheker im Universitätsklinikum Mainz und wurde 1987 zum Oberpharmazierat ernannt. Dr. Goldinger ist Fachapotheker für Klinische Pharmazie sowie für theoretische und praktische Ausbildung und erhielt 1998 die Ermächtigung zur Weiterbildung in Arzneimittelinformation. Seit vielen Jahren ist er Mitglied der Vertreterversammlung der Landesapothekerkammer Rheinland-Pfalz und arbeitet seit 2001 im Vorstand mit. In der Krankenhausapotheke erfüllt er weitreichende Aufgaben als Bereichsleiter der Arzneimittelherstellung sowie als Leiter des Zentralen Informationsservices des Klinikums und der Arzneimittelinformationsstelle der LAK. In der Pharmazeutischen Betreuung engagiert sich Goldinger als Konsiliarius für die Therapie mit oralen Antikoagulantien und für strahleninduzierte Hautschäden.
Anschrift des Verfassers:
Dr. Alfred Goldinger
Apotheke des Klinikums
Johannes-Gutenberg-Universität
Langenbeckstraße 1
55131 Mainz
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