Inaktiviertes X-Chromosom als Reserve |
Theo Dingermann |
07.03.2025 18:00 Uhr |
Bei Frauen ist eines der zwei X-Chromosomen abgeschaltet. Im Alter wird es wieder aktiv und gibt dem Gehirn einen Boost. Das legen Forschungen aus Kalifornien nahe. / © Getty Images/anusorn nakdee
Frauen sind gegenüber einem altersbedingten kognitiven Verfall resilienter als Männer. Vergleicht man Menschen, die nicht an Demenz erkrankt sind, hinsichtlich der Gedächtnisfunktionen, weisen ältere Frauen eine höhere Fitness auf als gleichaltrige Männer. Diese Unterschiede, die auch bei alternden Mäusen beobachtet werden, könnten auf das bei Frauen vorhandene zweite X-Chromosom zurückzuführen sein. Das berichten Forschende um Margaret Gadek vom Weill Institute for Neurosciences an der University of California in San Francisco im Wissenschaftsjournal »Science Advances«.
In Tierversuchen hatte man zeigen können, dass die Kognition bei normal alternden männlichen Mäusen und in Mausmodellen der Alzheimer-Krankheit durch das Hinzufügen eines zweiten X-Chromosoms verbessert wurde. Umgekehrt verschlechtere sich die Kognition bei den weiblichen Tieren, wenn das zweite X-Chromosom entfernt wurde.
Jetzt zeigen die Forschenden aus San Francisco, dass man dem zweiten X-Chromosom mehr zutrauen sollte, als das bisher vielfach gemacht wird. Denn eigentlich gilt dieses zweite Chromosom als inaktiv, abgelegt als sogenannter Barr-Körper am Rande des Zellkerns in Form einer hochkondensierten und damit inaktivierten DNA-Struktur. Früh in der Embryonalentwicklung von weiblichen Säugern wird in jeder Zelle eines der zwei X-Chromosomen abgeschaltet, um eine zu starke Genexpression der X-chromosomalen Gene im Vergleich zu Männchen, die nur ein Exemplar besitzen, zu vermeiden.
Doch so inaktiv bleibt es nicht: Gadek und Kollegen konnten nun durch einzelkernbasierte, allel-spezifische RNA-Sequenzierung (snRNA-seq) zeigen, dass sich während des Alterns die Transkription, also Genaktivität, sowohl auf dem aktiven (Xa) als auch auf dem inaktiven X-Chromosom (Xi) ändert. Auf dem inaktiven Chromosom werden einzelne Gene wieder angeschaltet. Bei den Versuchstieren war dies der Fall, wenn die Mäuse ein Alter erreicht hatten, das etwa 65 menschlichen Jahren entspricht.