In niedrigen Dosen auch langfristig gut verträglich |
Theo Dingermann |
15.08.2023 11:05 Uhr |
Eine Gewichtszunahme zählt neben dem Blutdruckanstieg zu den gefürchteten Nebenwirkungen einer Therapie mit oralen Corticoiden. Bei niedriger Dosierung hält sich beides aber in Grenzen, zeigt eine aktuelle Studie. / Foto: Getty Images/John Fedele
Glucocorticoiden haftet ein zweifelhafter Ruf an, da ihr Einsatz mit einer Reihe von Nebenwirkungen verbunden ist. Allerdings treten diese Nebenwirkungen vor allem bei höheren Dosen auf, die meist in der frühen Phase der Therapie gegeben werden müssen. Daten zur Langzeittherapie, wo oft nur geringere Dosen erforderlich sind, gibt es kaum.
Dies ändert nun eine Arbeit von Forschenden der Berliner Charité, die im Fachjournal »Annals of Internal Medicine« publiziert wurde. Dr. Andriko Palmowski und Kollegen werten darin die gepoolten Daten von fünf randomisierten kontrollierten Studien aus, bei denen Patienten über zwei Jahre zusätzlich zu einer Therapie mit krankheitsmodifizierenden Antirheumatika auch niedrig dosierte Glucocorticoide erhielten.
Bei der Auswertung lag der Schwerpunkt auf den Auswirkungen einer Corticoidtherapie auf das Gewicht und auf den Blutdruck. So wurden als koprimäre Endpunkte die Unterschiede in der Veränderung des Körpergewichts und des mittleren arteriellen Blutdrucks nach zwei Jahren in Intention-to-Treat-Analysen gegenüber dem Ausgangswert gewählt. Ein sekundärer Endpunkt war die Veränderung der Anzahl blutdrucksenkender Medikamente nach zwei Jahren. In Subgruppen- und Sensitivitätsanalysen wurde die Robustheit der primären Ergebnisse bewertet.
Insgesamt waren in die Studie 1112 Teilnehmer eingeschlossen. Das Durchschnittsalter betrug 61,4 Jahre und 68 Prozent der Patienten waren Frauen. Sowohl die Patienten in der Verum- als die in der Kontrollgruppe nahmen im Laufe der zwei Studienjahre an Gewicht zu. Allerdings war die Gewichtszunahme bei denjenigen, die mit Glucocorticoiden behandelt wurden, am Ende der Studienzeit im Durchschnitt um 1,1 kg höher als bei den Patienten in der Kontrollgruppe.
Der mittlere arterielle Blutdruck stieg in beiden Gruppen um etwa 2 mmHg, wobei der Unterschied zwischen den Gruppen -0,4 mmHg betrug. Diese Ergebnisse waren auch in Sensitivitäts- und Untergruppenanalysen konsistent. Bei den meisten Patienten musste die blutdrucksenkende Therapie nicht angepasst werden und es gab keine Hinweise auf Unterschiede zwischen den Gruppen.
Die Daten dieser Studie sind auch deshalb bedeutsam, weil Corticosteroid-Präparate für die Behandlung einer ganzen Reihe von entzündlichen Erkrankungen wichtig sind. Sie wirken entzündungshemmend, mindern Schmerzen und verlangsamen die Schädigung der Gelenke durch den chronischen Entzündungsprozess. »Weil Cortison-Präparate so gut gegen die rheumatoide Arthritis helfen, nehmen 30 bis 50 Prozent der Betroffenen sie auch zwei Jahre nach der Diagnose noch – und zwar entgegen den aktuellen medizinischen Leitlinien und Empfehlungen«, erklärt Palmowski in einer Pressemitteilung.
Die Leitlinien und Empfehlungen rieten eigentlich, orale Corticoide – wenn überhaupt – nur vorübergehend zu verabreichen, weil sonst relevante Nebenwirkungen zu befürchten seien. Allerdings seien viele dieser Nebenwirkungen nur für die früher viel häufiger verabreichten hohen Dosierungen gut belegt. Für die heute bevorzugten geringeren Mengen sei die Datenlage weniger eindeutig, so Palmowski.
Der Seniorautor und Leiter der Studie Professor Dr. Frank Buttgereit betont, dass viele Annahmen zur Verträglichkeit von Glucocorticoiden auf Daten aus Beobachtungsstudien beruhten. Für eine stärkere Beweiskraft benötige man aber ein »höherwertiges Untersuchungsdesign«, nämlich randomisierte kontrollierte Studien.
»Die Ergebnisse unserer Studie machen die Leitlinien nicht obsolet, denn Glucocorticoide können auch andere schwerwiegende Nebenwirkungen wie Osteoporose, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder eine Neigung zu Infektionen mit sich bringen«, resümiert Buttgereit. »Aber für viele Rheuma-Betroffene und auch ihre behandelnden Ärztinnen und Ärzte ist die Sorge vor einem Blutdruckanstieg und einer Gewichtszunahme ein wichtiges Entscheidungskriterium für oder gegen eine Corticoidtherapie. Das sollte sie jedoch nicht sein, weil beide Effekte – wie unsere Ergebnisse zeigen – keine große Relevanz haben. Stattdessen sollte die Entscheidungsfindung eher die anderen Nebenwirkungen in den Blick nehmen.«