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Gewalt und Aggression

In Gesundheitsberufen keine Seltenheit

Aggressive Übergriffe auf Beschäftigte im Gesundheitswesen kommen häufiger vor, als man denkt, und werden als große Belastung wahrgenommen. Präventive Hilfsangebote können Betroffenen helfen, das Erlebte zu verarbeiten, und schützen den Betrieb vor Arbeitsausfall.
Ulrike Abel-Wanek
07.04.2022  09:00 Uhr

Berichte in den sozialen Netzwerken über Bedrohungen gegen Mediziner und Apotheker, die gegen Covid-19 impfen, holen ein schon lange bekanntes Problem nochmal deutlicher ans Licht: Beschimpfungen bis hin zu gewaltsamen Übergriffen kommen im Alltag von Mitarbeitenden aller Berufsgruppen des Gesundheitswesens  seit vielen Jahren vor, nicht erst seit Ausbruch der Coronavirus-Pandemie. Die Bandbreite reicht von persönlichen Beleidigungen bis hin zu körperlichen Angriffen, von anzüglichen Bemerkungen bis zu sexuellen Belästigungen.

Eine Studie der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) aus dem Jahr 2021 zeigt, wie häufig es in Pflege- und Betreuungsberufen zu verbaler sexueller Belästigung und Gewalt kommt: 67,1 Prozent der Befragten berichteten von mindestens einem Vorkommnis in den vergangenen 12 Monaten. Kaum weniger (62,5 Prozent) hatten Erfahrungen mit nonverbalen Ereignissen gemacht, beispielsweise als Zeugin oder Zeuge von Situationen, in den es zu sexueller Belästigung oder Gewalt kam.

2021 registrierte die BGW insgesamt 3772 meldepflichtige Arbeitsunfälle, die durch Gewalt, Angriff oder Bedrohung verursacht wurden, deutlich mehr waren es 2019 mit insgesamt 4812 Fällen. Den Zahlen zufolge nahmen die Gewaltunfälle nicht zu. Allerdings handle es sich bei der Erhebung um eine hochgerechnete Stichprobenstatistik mit den entsprechenden Hochrechnungsunsicherheiten, gibt Dr. Heike Schambortski, leitende Präventionsdirektorin bei der BGW, auf Anfrage der PZ zu bedenken. Vermutlich gebe es bei Gewaltvorfällen eine hohe Dunkelziffer. Auch seien die Beschreibungen des Unfallhergangs nicht immer eindeutig, so dass Gewaltereignisse nicht umfassend identifiziert werden könnten.

In der Regel werden sie nur gemeldet, wenn sie mindestens drei Arbeitsunfähigkeitstage nach sich ziehen. Die verbalen Übergriffe im Zusammenhang mit der Pandemie, wie sie vermutlich auch in Apotheken verstärkt aufgetreten sind, werden dadurch nicht erfasst. Meldepflichtige Arbeitsunfälle, die durch Gewalt oder Bedrohung verursacht werden, erreichen die Berufsgenossenschaft aber auch von ihren Mitgliedern aus der Pharmaziebranche – beispielsweise als Folge bewaffneter Raubüberfälle während eines Notdienstes. In den vergangenen drei Kalenderjahren weist die BGW-Arbeitsunfallstatistik hier aber keine Fälle aus. 2018 wurden hochgerechnet 15 meldepflichtige Arbeitsunfälle registriert, 2012 gab es 30 entsprechende Ereignisse.

Die BGW ist für rund 665.000 nicht staatliche Einrichtungen im Gesundheitsdienst und der Wohlfahrtspflege zuständig und versichert dort knapp neun Millionen Menschen.

Psychische Belastung und Berufsausstieg

Dass viele Pflege- und Betreuungskräfte bei ihrer Arbeit Gewalt erleben, bestätigte eine 2018 veröffentlichte Studie des Competenzzentrums Epidemiologie und Versorgungsforschung bei Pflegeberufen (CVcare) am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) und der BGW. In der Studie gaben knapp 80 Prozent der etwa 2000 befragten Beschäftigten aus Altenpflege, Krankenhäusern und Behindertenhilfe an, in den letzten zwölf Monaten am Arbeitsplatz Gewalt erlebt zu haben. Von den Betroffenen berichteten 94 Prozent über verbale und 70 Prozent über körperliche Gewalterlebnisse. Schläge und Spucken dementer Heimbewohner gegenüber dem Pflegepersonal können dazugehören, aber auch Drohungen und sexuelle Anzüglichkeiten von Betrunkenen in Notfallambulanzen. In vielen Fällen gehen Gewalt, aggressive und übergriffige Handlungen von Menschen aus, die dieses Verhalten infolge kognitiver und emotionaler Einschränkungen nicht steuern können. Ein Drittel der Befragten fühlt sich durch die erlebte Gewalt stark belastet.

Neben körperlichen Verletzungen kann es zu vielfältigen psychischen Reaktionen auf das Erlebte kommen, die sich auch wieder körperlich auswirken können. »Dazu zählen Wut, Angst, Hilflosigkeit, Reizbarkeit, Schlafstörungen, Erkrankungen der Haut oder des Muskel-Skelett-Systems, Depressionen oder posttraumatische Belastungsstörungen«, weiß Schambortski. Eine wichtige Rolle spiele dabei die individuell empfundene und erlebte Bedrohung. Sie ist bei körperlicher Gewalt oft höher als bei verbalen Aggressionen. Wer sich einer Situation hilflos ausgeliefert fühle, vielleicht keine Fluchtmöglichkeiten wahrnehme und das Schlimmste erwartete, könne durchaus ein Trauma entwickeln. »Unsere Studien zeigen, dass insbesondere wiederkehrende verbale Belästigungen und Beschimpfungen von den Betroffenen als große Belastung erlebt werden. Diese beeinträchtigen häufig die Berufszufriedenheit und können auch zum Ausstieg aus dem erlernten Beruf führen«, berichtet die Arbeitspsychologin. Gerade die Wirkung von verbalen Übergriffen werde häufig unterschätzt. Die erwähnte Studie zu sexueller Belästigung und Gewalt aus dem Jahr 2021 ergab, dass erlebte sexuelle Belästigung und Gewalt im Zusammenhang mit Beeinträchtigungen des Befindens wie Depressivität und psychosomatische Beschwerden steht.

Mit professioneller Hilfe Tabus aufbrechen

Betroffene und Betriebe im Gesundheits- und Sozialbereich tun sich schwer, mit dem Thema Gewalt offen umzugehen. Aggression passt nicht ins Bild von der Arbeit mit kranken Menschen. Auch die Ausübung von Gewalt durch Mitarbeitende ist ein Tabuthema. »Jede Gewalterfahrung kann als persönliches Versagen bewertet werden und die Mitarbeitenden schweigen aus Scham- oder Schuldgefühlen. Auf betrieblicher Ebene behindern auch bisweilen Sorgen ums Image eine systematische Prävention«, weiß Schambortski. Dabei könnten alle Beteiligten gewinnen, wenn sie die Tabus aufbrechen. Opfer von Übergriffen erhalten professionelle Hilfe, und der Betrieb gewinnt wichtige Erkenntnisse für die künftige Vorsorge. Eine wichtige Rolle für die Kommunikation im Betrieb spielten dabei die Führungskräfte, die das Thema immer wieder ansprechen sollten.

Prävention durch Risikoanalyse

Was kann passieren? Wie wahrscheinlich ist es, dass ein Fall von Gewaltausübung eintritt? Wie schlimm kann es werden? Mit Blick auf die Arbeitsbereiche hilft eine Bestandsaufnahme zu klären, welchen Risiken und Gefährdungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausgesetzt sind und kann Problembereiche identifizieren. Besonders relevant ist das, wenn jemand alleine im Betrieb arbeitet. Ob Handlungsbedarf bestehe, zeige dabei eine systematische Risikoanalyse aus den Faktoren Eintrittswahrscheinlichkeit und Folgenschwere, schreibt die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) in einer Handlungshilfe für Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen. Hat ein Übergriff stattgefunden, muss er dokumentiert werden, einerseits zur rechtlichen Absicherung beteiligter Personen, andererseits als Grundlage für die weitere Gefährdungsbeurteilung.

Präventive Hilfe erhalten Betroffene nach Extremerlebnissen bei der Arbeit, um gesundheitliche Folgen abzuwenden. Die BGW bietet ihren Versicherten in solchen Situationen unter anderem eine telefonisch-psychologische Beratung an. Darüber hinaus finanziert die Berufsgenossenschaft bei entsprechender Indikation die Psychotherapie von Versicherten nach einem Gewaltereignis, beispielsweise wenn eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter in einer Apotheke durch einen Überfall traumatisiert wurde.

Weitere Informationen zum Umgang mit Gewalt.

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