In der Apotheke des Grauens |
Daniela Hüttemann |
04.11.2022 16:30 Uhr |
Eine Workshop-Teilnehmerin prüft Verordnung und Medikationsplan im simulierten HV auf Fehler. / Foto: PZ/Daniela Hüttemann
»Hereinspaziert, hereinspaziert, treten Sie ein!« Dr. Oliver Schwalbe, Abteilungsleiter Ausbildung, Fortbildung und AMTS der Apothekerkammer Westfalen-Lippe hält die Tür zum »Room of Horrors« auf. Eine kleine Gruppe Apothekerinnen und Apotheker treten in die fiktive Apotheke ein – und begeben sich wie Detektive auf Fehlersuche.
Was zunächst nach Geisterbahn klingt, ist zwar fachlich gesehen gruselig, hat aber nichts mit Kirmes zu tun. Im »Room of Horrors« sollen Fachkräfte mit Absicht versteckte, typische Fehler finden. »Es geht gar nicht darum, wirklich alles zu finden, was wir hier untergebracht haben«, erklärt Schwalbe, der selbst Apotheker ist.
Insulin im Abholer-Regal statt im Kühlschrank – das fällt hoffentlich jedem im Team sofort auf. / Foto: PZ/Daniela Hüttemann
Vielmehr soll man lernen, bewusst hinzuschauen, Gewohnheiten zu hinterfragen und sich im Team über mögliche Fehlerquellen auszutauschen. »Erleben löst dabei mehr aus als nur lesen – Patientensicherheit aus einem ganz anderen Blickwinkel«, ergänzt Carina John, Abteilungsleiterin AMTS und ATHINA der Apothekerkammer Nordrhein.
Maximal 15 Minuten Zeit haben die Teilnehmenden, um alles genau zu inspizieren: HV-Tisch und Abholer-Regal, Back-Office-Arbeitsplatz und Schwarzes Brett. Manche Dinge springen sofort ins Auge beziehungsweise vor die Füße – wie die herumstehenden, halb ausgepackten Großhandelskisten und Kartons mit Kundenzeitschriften oder die Unordnung am Schreibtisch und HV. Auffällig auch das kühlpflichtige Insulin im Abholer-Regal.
Für viele typische Fehler musste man jedoch genauer hinsehen – was die Teilnehmenden auch nach anfänglichem Zögern akribisch mit Klemmbrett auf dem Arm taten. Dann wurden gewissenhaft Rezepte geprüft und mit dem herausgesuchten Medikament abgeglichen. So lag auf einer handschriftlich ausgestellten ärztlichen Verordnung für Opipramol eine Packung Omeprazol, was gleich zwei typische Fehlerquellen aufzeigt: Wie missverständlich handschriftliche Verordnungen sein können und sogenannte »Sound-a-likes«, also die Verwechslung von Wirkstoffen oder Markennamen, die ähnlich klingen (es gibt auch »Look-a-likes«, sehr ähnlich aussehende Packungen).
Auf einem anderen Rezept wurde die Dosieranweisung falsch interpretiert. Dort wurde aus 2,5 (gemeint waren Milligramm Prednisolon) eine Tablettenmenge von zweieinhalb. Statt 2,5 mg einmal morgens wurde also eine starke Überdosierung von 2,5 mal 5 mg. »Eine solche Überdosierung eines Corticoids haben wir tatsächlich einmal übersehen – die Patientin musste ins Krankenhaus«, berichtet eine Teilnehmerin.
Brötchenkrümel auf dem HV, falsche Dosis bei der Belieferung – Ordnung und Genauigkeit sind für die Arbeit in der Apotheke essenziell. / Foto: PZ/Daniela Hüttemann
Auch darum geht es beim Fehlermanagement und dem CIRS-Netzwerk: Offen darüber sprechen, was schief gelaufen ist – damit es nicht noch einmal passiert und auch andere daraus lernen können. Ein Post-it-Zettel am Schwarzen Brett wie im »Room of Horrors« mit dem Vermerk, Frau Schubert hätte schon wieder etwas falsch abgegeben, sei da kontraproduktiv.
Und tatsächlich konnten die meisten von einem ähnlichen Fehler wie im Room of Horrors auch aus der eigenen Apotheke berichten, aber auch von Lösungen, zum Beispiel dem Aufkleben großer Warnetiketten für Arzneimittel, die in den Kühlschrank gehören. »Aber nicht andere wichtige Angaben auf der Packung überkleben«, warnte ein anderer Teilnehmer, denn manchmal kann eine Maßnahme auch einen weiteren Fehler nach sich ziehen. Mehr der präparierten Fehler seien an dieser Stelle aber nicht verraten.
Das Konzept »Room of Horrors« stammt aus dem Krankenhaus. Am Universitätsklinikum Münster beispielsweise werden Pflegekräfte und Ärzte mit diesem Simulationstraining für mögliche Fehler auf Station sensibilisiert. Zum Welttag der Patientensicherheit am 14. September war eigens eine mobile, mit Fehlern bespickte Stationsapotheke unterwegs.
»Schockraum«: Im »Room of Horrors« Krankenhaus hatte der Patient eine Packung Zigaretten im Bett – und (hier nicht sichtbar) eine Sauerstoffflasche auf der anderen. Das Infusionsmanagement war auch stark verbesserungswürdig. / Foto: PZ/Daniela Hüttemann
Beim zehnten CIRS-Gipfel NRW diesen Mittwoch in Münster konnten Apotheker nun erstmals in Deutschland eine solche Simulation für die öffentliche Apotheke durchspielen. Gemeinsam organisiert und präpariert hatten den Workshop die Apothekerkammern Nordrhein und Westfalen-Lippe. Dabei fanden die rund 25 Teilnehmenden (der Workshop war sehr früh ausgebucht) sogar noch Fehler, die den Fortbildungsleitern selbst noch gar nicht aufgefallen waren.
Und genau darum geht es: Kollektive Achtsamkeit. Die Teilnehmer, alles bereits sehr engagierte Apothekerinnen und Apotheker hatten so manchen Wiedererkennungs- und Aha-Effekt. Alle fanden diese Form der Schulung spannend und würden sie gern mit dem kompletten eigenen Team durchlaufen. Denn jede Perspektive ist wichtig, zum Beispiel könnte der Reinigungskraft die Rutschgefahr des Teppichs auffallen. Im Zentrum steht dann die gemeinsame Problemlösung und Fehlervermeidungsstrategie.
Die Kammern wollen den »Room of Horrors« in Zukunft öfter am Rande anderer Veranstaltungen wie Apothekertage aufbauen oder auch im praxisbegleitenden Unterricht für Pharmazeuten im Praktikum anbieten, um sie möglichst früh für eine gute Fehlerkultur zu sensibilisieren.
Außerdem wird es im Januar eine Art Spiel-Anleitung für die Umsetzung des Schulungskonzept in den eigenen Apothekenräumen von der Stiftung Patientensicherheit Schweiz geben, informierten Schwalbe und John. Es gibt solche Manuals dort bereits für Krankenhäuser, Arztpraxen und Pflegeheime.