Impfung während der Schwangerschaft schützt Säuglinge |
Theo Dingermann |
15.07.2022 14:00 Uhr |
Für die Keuchhusten-Impfung ist gut belegt, dass eine Impfung der werdenden Mutter während des letzten Schwangerschaftsdrittels dem Baby für einige Monate einen Nestschutz verschafft, bis es selbst geimpft werden kann. Das deutet sich für schweres Covid-19 auch an. / Foto: Adobe Stock/milanmarkovic78
Lässt sich das Dilemma, dass für Säuglinge im Alter von weniger als sechs Monaten keine Covid-19-Impfung zur Verfügung steht, durch eine mütterliche Impfung mit zwei Dosen eines mRNA-Covid-19-Impfstoffs lindern? Dieser Frage gingen Dr. Natasha B. Halasa und Kollegen von der Abteilung für pädiatrische Infektionskrankheiten am Vanderbilt University Medical Center in Nashville nach und konnten die Hypothese eindeutig bestätigen. Die Studie, deren Ergebnisse jetzt im »New England Journal of Medicine« (NEJM) publiziert wurden, wurde durch öffentliche Mittel von den Centers for Disease Control and Prevention im Rahmen eines Vertrags mit dem Boston Children's Hospital gefördert.
Insgesamt wurden die Daten von 537 schwer an Covid-19 erkrankten Kindern mit einem Durchschnittsalter von zwei Monaten und von 512 Kontrollkindern ausgewertet. Von den erkrankten Kindern hatten sich 181 mit der Delta-Variante und 356 mit der Omikron-Variante angesteckt.
16 Prozent der schwer erkrankten Kinder und 29 Prozent der Kontrollkinder waren von Müttern geboren worden, die während der Schwangerschaft vollständig gegen Covid-19 geimpft worden waren. Von den schwer erkrankten Kindern mussten 113 (21 Prozent) intensivmedizinisch betreut werden, wobei 64 dieser Kinder (12 Prozent) mechanisch beatmet werden mussten oder vasoaktive Infusionen erhielten. Zwei dieser Säuglinge, deren Mütter beide nicht geimpft worden waren, starben an Covid-19.
Aus den erhobenen Daten lässt sich ableiten, dass eine Impfung der Mutter während der Schwangerschaft das Risiko für eine Covid-19 bedingte Krankenhauseinweisung bei Säuglingen unter sechs Monaten deutlich verringert. Im Schnitt betrug diese Risikominimierung 52 Prozent. Während der Dominanz der Delta-Variante wurde das Risiko für eine Krankenhauseinweisung sogar um 80 Prozent gesenkt, wohingegen die Risikominimierung während der Omikron-Welle immerhin noch 38 Prozent betrug.
Die Wirksamkeit der Impfung gegen eine intensivmedizinische Behandlung betrug insgesamt 70 Prozent. Bemerkenswert ist, dass 90 Prozent der wegen Covid-19 intensiv-medizinisch behandelten Säuglinge von nicht geimpften Müttern geboren worden waren.
Zudem deuten die Daten an, dass es einen Unterschied machen könnte, wann die Schwangere sich hat impfen lassen. War die Impfung der angehenden Mutter nach der 20 Schwangerschaftswoche erfolgt, betrug die durchschnittliche Wirksamkeit der Impfung mit Blick auf eine Risikominimierung für den Säugling 69 Prozent. Erfolgte die Impfung während der ersten 20 Schwangerschaftswochen, errechnete sich eine Wirksamkeit von 38 Prozent.
Allerdings gilt die Frage nach dem geeigneten Zeitpunkt für eine Covid-19-Impfung während der Schwangerschaft noch nicht als endgültig beantwortete, betonen die Professorinnen Sonja A. Rasmussen und Denise J. Jamieson in einem begleitenden Editorial. Die Bestimmung des geeigneten Zeitpunkts ist schwierig, da die Vorteile eines maximalen Schutzes des Säuglings gegen die Risiken einer Verzögerung der Impfung für die Mutter abgewogen werden müssen, da das Risiko einer schweren Covid-19-Erkrankung während der Schwangerschaft erhöht ist, so die Editorialistinnen. Weitere Studien werden auch erforderlich sein, um zu beurteilen, ob eine zusätzliche Auffrischungsimpfung in der späteren Schwangerschaft den Schutz des Säuglings erhöhen würde.
Bei Säuglingen, deren Mütter während der Schwangerschaft eine Impfung mit einem inaktivierten Influenza-Impfstoff oder mit dem kombinierten Tetanus-Diphtherie-azellulären Pertussis-Impfstoff (Tdap) erhalten hatten, wird in den ersten Lebensmonaten ein vermindertes Risiko für Influenza und Pertussis festgestellt.
Beide Impfstoffe, so die Editorialistinnen werden in den Vereinigten Staaten routinemäßig während der Schwangerschaft empfohlen; der Influenza-Impfstoff wird zu jeder Zeit während der Schwangerschaft empfohlen, während der Tdap-Impfstoff vorzugsweise zu Beginn der Schwangerschaftswochen 27 bis 36 empfohlen wird, um die mütterliche Antikörperproduktion, den Plazentatransfer und die Antikörperspiegel beim Neugeborenen zu maximieren.
Auch in Deutschland empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) allen Schwangeren einmalig eine Impfung gegen Keuchhusten im letzten Schwangerschaftsdrittel ab der 28. Schwangerschaftswoche. Die neue Studie lässt vermuten, dass dieses sehr gute Prinzip eines aktiven Nestschutzes für Kinder unter sechs Monaten auch zum Schutz vor schweren Covid-19-Verläufen zu funktionieren scheint.
Die Frage nach einer zusätzliche Auffrischungsimpfung in der späteren Schwangerschaft wurde auch in einer Arbeit aufgegriffen, die kürzlich in der Zeitschrift »Obstetrics & Gynecology« erschien. Dort berichten Dr. Nir Kugelman und Kollegen vom Department of Obstetrics and Gynecology des Carmel Medical Centers in Haifa, Israel, dass mütterliche und neonatale SARS-CoV-2-IgG-Antikörpertiter nach einer Auffrischimpfung der Schwangeren mit dem Biontech/Pfizer-Impfstoff im zweiten Trimester signifikant höher waren als nach zwei Impfdosen.
Diese Autoren betonen jedoch, dass ihre Ergebnisse nicht belegen, dass die von ihnen gemessenen Antikörperspiegel mit einem besseren Schutz korrelieren. Allerdings deuten diese Daten zumindest an, dass von einer Auffrischungsimpfung während der Schwangerschaft sowohl die Mutter als auch das Neugeborene profitieren können.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.