Impfen bei immunsuppressiver Therapie |
Christina Hohmann-Jeddi |
30.04.2021 16:10 Uhr |
Unter Umständen brauchen immunsupprimierte Patienten eine zusätzliche Auffrischimpfung, um gegen Covid-19 geschützt zu sein. / Foto: Getty Images/bluecinema
Wer eine immunsuppressive Therapie erhält, hat grundsätzlich ein erhöhtes Risiko für schwere Infektionen. Das gilt auch für das Coronavirus. Patienten mit chronisch-entzündlichen, rheumatischen und Autoimmunerkrankungen, die immunsuppressiv behandelt werden, gelten daher als Risikogruppe für einen schweren Verlauf von Covid-19 und sollten sich mit einer Impfung gegen eine Infektion schützen. Entsprechend finden sie sich laut den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) unter den priorisierten Gruppen.
Was beim Impfen dieser Patienten zu beachten ist, war Thema eines Vortrags beim 127. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin, der in diesem Jahr online stattfand. Immunsupprimierte sollen bekanntlich nicht mit Lebendimpfstoffen geimpft werden. Diese Einschränkung greift aber bei den Covid-19-Impfstoffen nicht. »Alle bislang in der EU gegen SARS-CoV-2 zugelassenen Impfstoffe sind keine Lebendimpfstoffe«, sagte Professor Dr. Ulf Müller-Ladner von der Kerckhoff-Klinik in Bad Nauheim. Sowohl die mRNA- als auch die Vektorimpfstoffe enthalten keine replikationsfähigen Pathogene und sind daher unproblematisch. Die vier Impfstoffe seien »ohne Präferenz uneingeschränkt« einsetzbar. »Abgesehen von bekannten Allergien gegen Bestandteile der Vakzinen gibt es keine Kontraindikationen für die Covid-19-Impfung«, so Müller-Ladner.
Laut den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) soll bei diesen speziellen Patienten vor Beginn und nach Ende der Impfserie ein Mindestabstand von zwei Wochen zu anderen Impfungen eingehalten werden. Die Impfdosen sollten bei Personen unter immunsuppressiver Therapie möglichst zum Zeitpunkt der geringsten Immunsuppression verabreicht werden, was aber in der Praxis nicht immer funktioniere, so Müller-Ladner. Eine bestehende Therapie sollte weder pausiert noch unterbrochen werden. Eine Ausnahme hierbei sei die Gabe des monoklonalen Antikörpers Rituximab, der zu einer B-Zelldepletion führt. Entsprechend ist bei dieser Therapie eine Antikörperantwort auf eine Impfung stark reduziert.
Wie die Gabe von Immunsuppressiva die Immunreaktion auf eine Impfung beeinflusst, wurde schon vor Corona untersucht. So zeigt eine Metaanalyse aus dem Jahr 2014, dass diese von den eingesetzten Substanzen abhängt (»Arthritis Care & Research«). Analysiert wurden dabei Studien mit Methotrexat, TNF-Inhibitoren und Rituximab und deren Auswirkungen auf die Immunantwort auf Influenza- beziehungsweise Pneumokokken-Impfstoffe. Das Ergebnis: Methotrexat reduzierte die humorale Antwort auf Pneumokokken-Impfstoffe und könnte die Immunantwort auf Grippeimpfstoffe beeinträchtigen. Rituximab reduzierte die Immunantwort auf beide Impfungen deutlich, während eine Anti‐TNF-Therapie keine Auswirkungen hatte.
»Zu den Covid-19-Impfstoffen liegen diesbezüglich noch wenig Daten vor«, sagte Müller-Ladner. Eine kleine Studie aus dem März 2021 zeigt, dass die mRNA-Impfstoffe gegen Covid-19 bei Patienten mit chronisch-entzündlicher Erkrankung und immunsupprimierender Therapie immunogen und sicher sind (»Annals of Rheumatic Diseases«). Bei den meisten der 24 untersuchten Patienten konnte eine Antikörperantwort induziert werden. Diese fiel aber deutlich geringer aus als bei den 56 Probanden der Kontrollgruppe. Erfreulich sei, dass die Krankheitslast nicht durch die Impfung verstärkt wurde, berichtete Müller-Ladner.
Inzwischen liegen erste Daten der größeren CLARITY-Studie aus Großbritannien vor. In dieser analysierte ein Team der University of Exeter um Nicholas Kennedy die Antikörperantworten von 865 Patienten mit chronisch-entzündlicher Darmerkrankung, die den TNF-Inhibitor Infliximab erhielten, sowie von 428 Patienten, die mit Vedolizumab behandelt wurden. Letztere diente als Kontrollgruppe, da der Wirkstoff darmspezifisch wirkt und keine systemische Immunsuppression verursacht. Die Probanden erhielten entweder Vaxzevria® von Astra-Zeneca oder Comirnaty® von Biontech/Pfizer. Die Ergebnisse stellen die Forscher aktuell im Fachjournal »Gut« vor.
Demnach hatte die mit Infliximab Behandelten deutlich niedrigere Antikörpertiter nach einer Impfung als Probanden der Vedolizumab-Gruppe. Nach der ersten Dosis entwickelte ein Drittel der Probanden unter Infliximab-Monotherapie Titer, die als schützend gelten. Bei Probanden, die zusätzlich noch weitere immunmodulatorische Arzneimittel wie Methotrexat oder Azathioprin bekamen, fielen die Antikörperantworten nach der ersten Dosis noch schwächer aus: Nur 125 von 537 Probanden dieser Gruppe erreichten einen Wert, der einen Antikörpertest positiv ausfallen ließ.
Bei einzelnen Patienten, die bereits vor der Impfung mit SARS-CoV-2 infiziert gewesen waren, und bei Probanden, die eine zweite Impfdosis erhalten hatten, stiegen die Antikörpertiter deutlich an. Nach einer vollständigen Impfung seien auch die meisten Personen unter Infliximab-Therapie ausreichend geschützt, heißt es in der Publikation. Ein kleiner Teil zeigte allerdings keine nachweisbare Antikörperantwort. Die Autoren schlagen vor, dass Patienten unter immunsuppressiver Therapie rechtzeitig die zweite Impfdosis erhalten sollten und bei ihnen eventuell der Antikörpertiter kontrolliert werden sollte.
Auch die DGRh empfiehlt, dass Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen und Patienten unter immunsuppressiver Therapie, die keine ausreichend hohen oder lang wirksamen Titer neutralisierender Antikörper aufbauen, eventuell eine Auffrischung oder eine dritte Impfdosis bekommen sollten. Inwieweit das regelhaft oder in Ausnahmefällen nötig wird, werden weitere Studien zeigen.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.