Pharmazeutische Zeitung online
Organtransplantation

Immunsuppressive Medikation ist weniger komplex als man denkt

Organtransplantierte Patienten müssen häufig 15 und mehr Medikamente einnehmen. Dabei macht die eigentliche Immunsuppression häufig nur einen kleinen Teil aus, muss aber im Mittelpunkt der Medikationsanalyse stehen.
Daniela Hüttemann
28.11.2024  18:00 Uhr

Nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation erhielten im Jahr 2023 bundesweit 2866 schwer kranke Patientinnen und Patienten in einem der 45 Transplantationszentren ein oder mehrere neue Organe. Im Vorjahr waren es 2662 Empfänger. Die Betroffenen müssen ein Leben lang starke Immunsuppressiva einnehmen, damit das Spenderorgan nicht abgestoßen wird. Daher ist es recht wahrscheinlich, dass jede Apotheke auch mindestens eine organtransplantierte Person betreut.

Die Medikation der Patienten wird im Transplantationszentrum eingestellt und auch weiterhin überwacht, berichtete Rebecca Bisplinghoff, BG Universitätsklinikum Bergmannheil Bochum, vergangenes Wochenende beim Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Klinische Pharmazie (DGKPha) in Hamburg. Bisplinghoff hat selbst als Stationsapothekerin fünf Jahre lang Organtransplantierte in einem solchen Zentrum pharmazeutisch betreut und ermunterte Apothekerinnen und Apotheker, sich in die Thematik einzuarbeiten. »Die Patienten müssen meist viele Medikamente einnehmen, aber die Immunsuppressiva selbst sind überschaubar.«

Es werden verschiedene Wirkstoffklassen eingesetzt, die an unterschiedlichen Punkten im Immunsystem ansetzen: 

  1. Glucorticoide: vor allem Prednisolon
  2. Calcineurin-Inhibitoren: Tacrolimus, Ciclosporin A
  3. Proliferationshemmer: mTOR-Inhibitoren (Everolimus, Sirolimus, Temsirolimus), Mycophenolsäure als Inhibitor der Inosinmonophosphat-Dehydrogenase und Azathioprin als Antimetabolit
  4. monoklonale Antikörper: Basiliximab (Simulect®) und Betalacept (Nulojix®)
  5. Immunglobuline: Antithymoglobulin = Antihuman-Thymozyten-Immunglobulin vom Kaninchen (Thymoglobulin®) und polyklonales Anti-Human-T-Lymphozyten-Immunglobulin vom Kaninchen (Grafalon®)

Meist drei Immunsuppressiva in der Erhaltungstherapie

Rund um die Transplantation wird eine sehr starke Immunsuppression angesetzt, die schrittweise abgesenkt wird, bis nach etwa sechs bis neun Monaten die Erhaltungstherapie bleibt. Diese besteht in der Regel aus einer Dreierkombi aus Glucocorticoid, Calcineurin-Inhibitor und einem Proliferationshemmer, erklärte Bisplinghoff, oft aus Prednisolon, Tacrolimus und Mycophenolsäure. »Das erhöht die Verträglichkeit, da man die einzelnen Wirkstoffe nicht maximal titrieren muss.«

Ein generischer Austausch ist ausgeschlossen, da die Präparate mitunter eine spezielle Galenik haben und die Bioverfügbarkeit zwischen den Präparaten schwanken kann. Im Fall des Tacrolimus-Generikums Envarsus® sei zudem noch die unterschiedliche Äquivalenzdosis (0,7 statt 1 mg) zu beachten.

Medikamente pünktlich und regelmäßig einnehmen

Apotheker sollten die Patienten darin unterstützen, die Medikamente wirklich pünktlich und regelmäßig einzunehmen, um gleichmäßige Wirkspiegel zu erreichen. Die Resorption von Tacrolimus beispielsweise ist stark nahrungsabhängig, daher sollte die Einnahme nicht mal vor, mal nach dem Frühstück, sondern immer auf dieselbe Art und Weise erfolgen. Wenn eine Dosis vergessen wurde, darf der Patient diese nicht einfach nachnehmen, sondern sollte bei seinem Transplantationszentrum anrufen und fragen, was zu tun ist. »Schon eine doppelte Dosis kann gefährlich werden«, mahnte die Apothekerin.

Anzeichen einer Überdosierung der Immunsuppressiva sind zum Teil unspezifisch: Übelkeit und Erbrechen, Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit, Lethargie, Infekte, aber je nach Präparat auch Tremor, Urtikaria und eine nachlassende Nierenfunktion. Dafür sollte der Patient sensibilisiert sein und sich bei Beschwerden und Nebenwirkungen an sein Transplantationszentrum wenden.

Neben- und Wechselwirkungen sensibel managen

Nebenwirkungen seien grundsätzlich in Kauf zu nehmen. Es gelte, einen erträglichen Umgang damit zu finden, ohne das Organ zu gefährden. Eine typische Nebenwirkung vieler Immunsuppressiva ist eine Hypomagnesiämie, daher erhalten die meisten Patienten auch Magnesium, das mit anderen Arzneistoffen wie Schilddrüsenhormonen interagieren kann. Es sollte daher am besten zwei Stunden nach dem Essen eingenommen werden. 

Ciclosporin beispielsweise löst häufig eine Hyperlipidämie und Bluthochdruck aus. Daher bekommen die Patienten in der Regel entsprechende Medikamente verordnet. Die Auswahl des Statins hängt vom Interaktionspotential und der Wirkpotenz ab. Ezetimib als günstige Alternative reiche meist allein nicht aus. Die PSCK-9-Inhibitoren würden im ambulanten Setting aufgrund der hohen Kosten meist nur ungern von den Ärzten verordnet. Die Datenlage zur Kombination von zum Beispiel Ciclosporin und Statinen sei sehr uneinheitlich, so die Apothekerin weiter. Hier gelte es, durch die Festlegung von Maximaldosierungen einen Kompromiss zu finden.

Immunsuppressiva nicht vorzeitig ausblistern

Im Medikationsplan stehe mitunter bei der Dosierung »nach Spiegel«, erklärte Bisplinghoff an einem Patientenbeispiel. Dann findet ein regelmäßiges therapeutische Drug Monitoring (TDM) statt. »Hier ist der Patient darauf hinzuweisen, dass die Talspiegel bestimmt werden sollen, die Blutabnahme also mindestens zwölf Stunden nach der letzten Einnahme, zum Beispiel morgens vor der nächsten Einnahme erfolgen sollte«, so die Referentin. Beim Prednisolon könne die Apotheke überprüfen, ob es in der Erhaltungsphase unter die Cushing-Schwelle von 7,5 mg gesenkt wurde. 

Ebenfalls ein wichtiger Hinweis auch für Angehörige: Immunsuppressiva sollten nicht ausgeblistert und gestellt werden; auch wegen der Kontaminations-Gefahr für andere. In Bezug auf die Stabilität gilt dies insbesondere für Tacrolimus-Präparate.

Manche Wechselwirkungen und Kontraindikationen im verschreibungspflichtigen Bereich ließen sich nicht immer vermeiden, schränkte Bisplinghoff ein. Hier sei pharmazeutischer Sachverstand und Recherchearbeit gefragt. Die Fachinformationen seien häufig wenig hilfreich, da sie mehr aus haftungsrechtlicher Sicht geschrieben seien und nur die in den Zulassungsstudien gewählten Settings abbildeten. »Man kann den Ärzten nicht immer nur sagen »das geht nicht«, sondern muss Lösungen finden.« Ein Auge auf Interaktionen sollten Apotheker immer bei Selbstmedikationswünschen des Patienten haben. Johanniskraut beispielsweise ist tabu.

Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
Die experimentelle KI
von PZ und PTA-Forum
 
FAQ
SENDEN
Wie kann man die CAR-T-Zelltherapie einfach erklären?
Warum gibt es keinen Impfstoff gegen HIV?
Was hat der BGH im Fall von AvP entschieden?
GESAMTER ZEITRAUM
3 JAHRE
1 JAHR
SENDEN
IHRE FRAGE WIRD BEARBEITET ...
UNSERE ANTWORT
QUELLEN
22.01.2023 – Fehlende Evidenz?
LAV Niedersachsen sieht Verbesserungsbedarf
» ... Frag die KI ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln. ... «
Ihr Feedback
War diese Antwort für Sie hilfreich?
 
 
FEEDBACK SENDEN
FAQ
Was ist »Frag die KI«?
»Frag die KI« ist ein experimentelles Angebot der Pharmazeutischen Zeitung. Es nutzt Künstliche Intelligenz, um Fragen zu Themen der Branche zu beantworten. Die Antworten basieren auf dem Artikelarchiv der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums. Die durch die KI generierten Antworten sind mit Links zu den Originalartikeln der Pharmazeutischen Zeitung und des PTA-Forums versehen, in denen mehr Informationen zu finden sind. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung verfolgt in ihren Artikeln das Ziel, kompetent, seriös, umfassend und zeitnah über berufspolitische und gesundheitspolitische Entwicklungen, relevante Entwicklungen in der pharmazeutischen Forschung sowie den aktuellen Stand der pharmazeutischen Praxis zu informieren.
Was sollte ich bei den Fragen beachten?
Damit die KI die besten und hilfreichsten Antworten geben kann, sollten verschiedene Tipps beachtet werden. Die Frage sollte möglichst präzise gestellt werden. Denn je genauer die Frage formuliert ist, desto zielgerichteter kann die KI antworten. Vollständige Sätze erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer guten Antwort.
Wie nutze ich den Zeitfilter?
Damit die KI sich bei ihrer Antwort auf aktuelle Beiträge beschränkt, kann die Suche zeitlich eingegrenzt werden. Artikel, die älter als sieben Jahre sind, werden derzeit nicht berücksichtigt.
Sind die Ergebnisse der KI-Fragen durchweg korrekt?
Die KI kann nicht auf jede Frage eine Antwort liefern. Wenn die Frage ein Thema betrifft, zu dem wir keine Artikel veröffentlicht haben, wird die KI dies in ihrer Antwort entsprechend mitteilen. Es besteht zudem eine Wahrscheinlichkeit, dass die Antwort unvollständig, veraltet oder falsch sein kann. Die Redaktion der Pharmazeutischen Zeitung übernimmt keine Verantwortung für die Richtigkeit der KI-Antworten.
Werden meine Daten gespeichert oder verarbeitet?
Wir nutzen gestellte Fragen und Feedback ausschließlich zur Generierung einer Antwort innerhalb unserer Anwendung und zur Verbesserung der Qualität zukünftiger Ergebnisse. Dabei werden keine zusätzlichen personenbezogenen Daten erfasst oder gespeichert.

Mehr von Avoxa