Hundertjährige als Forschungsobjekt |
Theo Dingermann |
11.12.2024 10:00 Uhr |
Induzierte pluripotente Stammzellen (iPCS) aus dem Blut von Hundertjährigen bieten künftig neue und spannende Forschungsmöglichkeiten. / © Imago Images/Westend61
Prinzipielle Mechanismen von Langlebigkeit und gesundem Altern lassen sich zwar an unterschiedlichen Tiermodellen studieren. Allerdings zeigen die Erfahrungen, dass sich diese Ergebnisse nur schwer auf die Situation beim Menschen übertragen lassen. Dies veranlasste Forschende um Todd W. Dowrey von der Boston University, mithilfe von modernen Technologien Modelle zu etablieren, die realistischer die spannenden Fragen nach den biologischen Voraussetzungen für gesundes Altern und Resilienz beim Menschen beantworten könnten.
Die Ergebnisse ihre Arbeit publizierten die Forschenden bereits im September im Fachmagazin »Aging Cell«. Ein News-Beitrag im Wissenschaftsmagazin »Nature« griff das Thema jedoch wegen der großen Bedeutung noch einmal Ende November auf.
Die Forschenden entnahmen zunächst Blutproben von 45 sogenannten Centenarians, also Menschen, die einhundert Jahre oder älter sind. Diese hatten ein Durchschnittsalter von 104,3 ± 3,4 Jahren und 60 Prozent von ihnen waren Frauen. Es wurden auch Proben von 45 Nachkommen (Durchschnittsalter 76,3 ± 9,4 Jahre) der hochbetagten Menschen gewonnen, ebenso wie von sechs Kontrollpersonen ohne familiäre Langlebigkeit. Unter den Nachkommen der Centenarians waren 93 Prozent (25/27) kognitiv gesund und 88 Prozent (29/33) waren zum Zeitpunkt der Beurteilung in der Lage, instrumentelle Aktivitäten des täglichen Lebens selbstständig auszuführen.
Aus allen Blutproben reinigten die Forschenden für weitere Analysen die peripheren Blutmononuklearzellen (PBMC) auf. Ferner erhoben sie detaillierte phänotypische Daten von allen Probanden, einschließlich kognitiver und funktionaler Statusbewertungen. Zudem bestimmten sie mithilfe verschiedener epigenetischer Uhren das biologische Alter der Probanden, um es mit dem chronologischen Alter in Relation zu setzen. Das Prinzip der epigenetischen Uhr, das erstmals der Genetiker Professor Dr. Steve Horvath von der University of California beschrieb, besagt, dass sich die epigenetischen Methylierungsmuster der DNA sehr spezifisch mit dem Alter verändern, sodass auf diese Weise auf das biologische Alter geschlossen werden kann.
Die Analyse zeigte, dass die Centenarians im Durchschnitt eine um 6,55 Jahre geringere biologische Alterung im Vergleich zum chronologischen Alter aufwiesen, was den guten Gesundheitszustand reflektierte.
Ein besonderer Aspekt dieser Studie bestand darin, dass die Forschenden aus den PBMC von 20 Probanden qualitativ hochwertige induzierte pluripotente Stammzellen (iPSC) herstellten. Dieses Prinzip wurde erstmals von dem japanische Nobelpreisträger Professor Dr. Shinya Yamanaka beschrieben. Ihm gelang es, pluripotente Stammzellen aus embryonalen und adulten Fibroblastenkulturen der Maus durch Zugabe der sogenannten Yamanaka-Faktoren (Oct4, Sox2, Klf4 und c-Myc) zu erzeugen.
Diese Zellen besitzen hinsichtlich ihrer Differenzierungsfähigkeit Pluripotenz, das heißt sie können sich durch geeignete Stimuli zu jedem beliebigen Zelltyp entwickeln. Dass die in dieser Arbeit generierten iPSC tatsächlich diese hohen Qualitätsmerkmale mit intakter Differenzierungsfähigkeit besitzen, testeten die Forschenden durch Genom-Stabilitätsassays und sogenannte Teratomtests.
Die Möglichkeit, langlebige Zelllinien gezielt zu differenzieren, stellt einen Durchbruch in der Modellentwicklung dar. Diese Ressource ermöglicht zudem die Validierung experimenteller Ergebnisse aus anderen Systemen und Plattformen. Auf längere Sicht können diese Zellen und die daraus differenzierten verschiedenen Zelltypen helfen, neue Therapeutika für altersbedingte Krankheiten zu entwickeln.