Hoher Aufwand, wenig Nutzen |
Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz soll die Menschenrechte und den Umweltschutz in den globalen Lieferketten stärken. Doch nach gut einem Jahr fällt eine erste Bilanz von Pharmaverbänden eher negativ aus. / Foto: Boehringer Ingelheim
Mit dem »Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten«, kurz Lieferkettengesetz, will die Bundesregierung den Schutz der Menschenrechte und den Umweltschutz in den globalen Lieferketten verbessern. Im vergangenen Jahr betraf das Gesetz zunächst Unternehmen mit mindestens 3000 Beschäftigten. Seit diesem Jahr gilt es auch für Betriebe mit mindestens 1000 Beschäftigten. Es verpflichtet Unternehmen zur Umsetzung festgelegter Sorgfaltspflichten, die sich auf die gesamte Lieferkette erstrecken – vom Rohstoff bis zum fertigen Produkt. Diese Pflichten gelten für die Betriebe selbst sowie für direkte und indirekte Zulieferer und sind nach dem Grad der Einflussmöglichkeit abgestuft.
Das gleiche Ziel auf europäischer Ebene verfolgt auch das EU-Lieferkettengesetz, das eine Mehrheit der EU-Staaten nach langem Ringen am 15. März verabschiedete. Obwohl Politiker von SPD und Grünen das Vorhaben befürworteten, hatte sich Deutschland auf Drängen der FDP bei der Abstimmung enthalten. Der Einigung ging ein wochenlanges Gezerre voraus, in dessen Zuge die ursprünglichen Pläne abgeschwächt wurden. Nun muss noch das EU-Parlament dem Entwurf zustimmen.
Welche Erfahrungen haben Pharmaverbände bisher mit dem nationalen Gesetz gemacht? Wie beurteilen Sie das noch strengere EU-Gesetz? Die PZ hat bei Verbänden nachgefragt.
Nach Auskunft von »Pharma Deutschland« unterstützen die pharmazeutischen Unternehmen in Deutschland zwar generell die Absicht des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG), durch Änderungen innerhalb der Lieferkette die Situation der Menschenrechte in anderen Ländern zu verbessern. Die gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen, verursache aber einen erheblichen Aufwand und bedeute eine hohe Belastung, während der Nutzen fraglich sei.
Um die Anforderungen umsetzen zu können, hätten die vom Gesetz betroffenen Unternehmen bereits erhebliche Ressourcen aufgewandt, beispielsweise durch zusätzliches Personal. Kritisch sieht der Verband, der bis vor Kurzem noch Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) hieß, dass die Begrenzung auf Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeitenden teilweise nicht beachtet werde. Zum Teil gingen Handelsunternehmen mit umfassenden Forderungen und ohne vorherige Risikoanalyse auch auf kleinere Pharmaunternehmen zu und forderten eine Mitwirkung ein, was in dieser Form vom Gesetz nicht vorgesehen war.
»Die sich hieraus ergebenden Belastungen sind insbesondere für kleinere Unternehmen kaum zu leisten«, kritisierte der Verband. Zudem sei fraglich, welchen konkreten Beitrag gerade kleine und mittelständische Unternehmen, bei diesem Thema leisten könnten. »Die Lieferketten zu vielen pharmazeutischen Roh-, Hilfs- und Wirkstoffen sowie zu Fertigarzneimitteln sind häufig komplex, und oftmals bestehen wenige oder gar keine Möglichkeiten, vor allem Wirkstoffe aus alternativen Quellen zu beziehen, was zudem mit komplexen regulatorischen Änderungsvorgängen verbunden wäre«, teilte ein Sprecher auf Nachfrage der PZ mit.
Was das EU-Lieferkettengesetz angeht, forderte der Verband, die deutschen Regelungen an die europäischen anzugleichen, um bürokratische Doppelbelastungen für in Deutschland tätige Unternehmen zu vermeiden. Grundsätzlich ziehe der Verband europaweit geltende Regelungen nationalen Alleingängen vor, die zu ungleichen Wettbewerbsbedingungen in der EU führten, so Pharma Deutschland.
Noch kritischer äußerte sich der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI): »Das Gesetz löst eine Lawine an Bürokratie aus, die pharmazeutische Unternehmen überrollt«. Die Politik müsse realistisch sein und anerkennen, dass die Einflussmöglichkeiten von pharmazeutischen Unternehmen in Deutschland bei der Kontrolle ihrer Lieferketten begrenzt seien.
Der Verband warnte, dass die Sorgfaltspflichten das Problem der Arzneimittelknappheit weiter verschärfen könne. Ließen sich Sorgfaltspflichten gegenüber einem Zulieferer nicht vollumfänglich kontrollieren, müsse ein Unternehmen auf einen anderen Zulieferer ausweichen. Oftmals sei dies jedoch nicht möglich. »Wenn alternative Zulieferer nicht zur Verfügung stehen, droht der Wegfall einzelner Arzneimittel«, wies der Verband auf mögliche Risiken hin.
Da das Gesetz seit diesem Jahr auch für Unternehmen ab 1000 Beschäftigten gilt, belaste es vor allem kleine und mittlere Unternehmen. Zur Begründung führte der Verband eine Umfrage an, die der Bundesverband der Industrie (BDI) veröffentlicht hatte. Demnach gaben 92 Prozent der Unternehmen in Deutschland an, dass der mit dem Gesetz einhergehende bürokratische Mehraufwand »sehr hoch« oder »hoch« sei. 88 Prozent der mittelständisch geprägten und nur indirekt vom LkSG betroffene Unternehmen sahen sich ebenfalls einer »sehr hohen« oder »hohen« Belastung ausgesetzt.
Noch deutlicher warnt der BPI vor dem EU-Lieferkettengesetz. Dieses überfordere nicht nur die Unternehmen im direkten Anwendungsbereich des Gesetzes, sondern auch durch eine indirekte Weitergabe der Sorgfaltspflichten insbesondere kleine und mittlere Unternehmen.
»Im Grunde übertragen die EU-Staaten hierbei ihre Aufgaben an die Unternehmen – doch diese liegen im Bereich des Menschenrechts- und Umweltschutzes häufig jenseits des Einflussbereichs der Unternehmen«, kritisierte eine Sprecherin. Gerade auch mit Blick auf die zahlreichen Legislativvorhaben der Europäischen Kommission im Zuge der Überarbeitung des EU-Pharmapakets zeichne sich »eine klare Gefahr der Überbürokratisierung ab«, die die Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit der pharmazeutischen Industrie ernsthaft bedrohe.
Hingegen hielt sich der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) bedeckt. Um die Auswirkungen des Gesetzes zu beurteilen, lägen derzeit noch keine ausreichenden Erkenntnisse vor. »Wichtig ist, dass die Einführung eines Lieferkettengesetzes auf europäischer Ebene für die Unternehmen in Deutschland nicht zu mehr Bürokratie führt«, so ein Sprecher. Wo Europa neue Bürokratie, vor allem Dokumentationspflichten, einführe, müssten veraltete nationale Regelungen konsequent gestrichen werden. »Mit der Pharmastrategie hat die Bundesregierung einen Abbau bürokratischer Hürden versprochen. Das gilt es, konsequent umzusetzen«, forderte ein Sprecher.