Hoffnungsträger für Myelom-Patienten mit schlechter Prognose |
Kerstin A. Gräfe |
30.09.2020 07:00 Uhr |
Beim Multiplen Myelom kommt es zu einer Anreicherung krankhaft veränderter Plasmazellen im Knochenmark. / Foto: Adobe Stock/catalin
Mit Belantamab-Mafodotin (Blenrep® 100 mg Pulver für ein Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung, Glaxo-Smith-Kline) ist eine neue Therapieoption für Patienten mit Multiplem Myelom (MM) verfügbar. Das Präparat richtet sich an erwachsene Patienten mit rezidiviertem und therapierefraktärem MM, die nicht mehr auf einen immunmodulatorischen Wirkstoff, einen Proteasom-Inhibitor oder einen monoklonalen Antikörper gegen das Oberflächenprotein CD-38 ansprechen. Während der letzten Therapie muss ein Fortschreiten der Erkrankung nachgewiesen worden sein. Für diese Gruppe war die Prognose bislang schlecht.
Blenrep hat das B-Zell-Reifungsantigen (B-cell maturation antigen, BCMA) zum Ziel. BCMA ist auf der auf der Oberfläche fast aller Zellen des Multiplen Myeloms vorhanden, wird jedoch in den normalen B-Zellen nicht exprimiert. Strukturell betrachtet ist Blenrep ein Antikörper-Wirkstoff-Konjugat. Es besteht aus dem BCMA-Antikörper Belantamab, der über einen Linker kovalent an den zytotoxischen Wirkstoff Maleimido-caproyl-Mono-Methyl-Auristatin F (McMMAF) gebunden ist. Bindet das Konjugat über die Antikörper-Komponente an Zelloberflächen-BCMA, wird es in die Zelle aufgenommen. Sobald es sich in der Tumorzelle befindet, wird MMAF freigesetzt, was den Zelltod verursacht.
Die empfohlene Dosis beträgt 2,5 mg/kg Körpergewicht, verabreicht als intravenöse Infusion alle drei Wochen. Die Behandlung erfolgt bis zur Progression der Erkrankung oder bis zum Auftreten einer inakzeptablen Toxizität.
Unter Blenrep wurden Nebenwirkungen an der Hornhaut des Auges berichtet. Zu den häufigsten zählen degenerative Erkrankungen (Keratopathie) oder mikrozystenartige epitheliale Veränderungen des Hornhautepithels mit oder ohne Veränderung der Sehschärfe, verschwommenes Sehen und Symptome trockener Augen. Untersuchungen beim Augenarzt sollten vor Behandlungsbeginn, vor den nachfolgenden drei Therapiezyklen und falls während der Behandlung klinisch angezeigt, stattfinden. Die Patienten sollten während der Behandlung mindestens viermal täglich konservierungsmittelfreie Tränenersatzmittel anwenden und bis zum Ende der Behandlung auf Kontaktlinsen verzichten.
Des Weiteren wurden in den Studien Thrombozytopenien beobachtet, die zu schweren Blutungen, einschließlich gastrointestinaler und intrakranialer führen können. Daher sollte ein großes Blutbild vor Behandlungsbeginn und, falls klinisch angezeigt, während der Behandlung gemacht werden. Patienten, die eine schwere Thrombozytopenie entwickeln, oder jene mit gleichzeitiger antikoagulativer Therapie können eine häufigere Überwachung erfordern und sollten mit einer verzögerten oder geringeren Dosis behandelt werden. Zudem könne infusionsbedingte Reaktionen auftreten. Je nach Schweregrad der Symptome sollte die Infusionsrate gesenkt oder die Infusion beendet werden.
Frauen im gebärfähigen Alter müssen während der Behandlung und über einen Zeitraum von vier Monaten nach der letzten Dosis eine wirksame Verhütungsmethode anwenden. Für Männer mit Partnerinnen im gebärfähigen Alter gilt, während der Behandlung und über einen Zeitraum von sechs Monaten nach der letzten Dosis wirksam zu verhüten.
Das neue Präparat sollte in der Schwangerschaft nur angewendet werden, wenn der Nutzen für die Mutter gegenüber dem potenziellen Risiko für den Fötus überwiegt. Frauen sollten vor Beginn der Behandlung mit Blenrep abstillen und bis drei Monaten nach der letzten Dosis nicht zu stillen.
Die bedingte Zulassung basiert auf den Daten der randomisierten, zweiarmigen Phase-II-Studie DREAMM-2 mit 196 mehrfach vortherapierten MM-Patienten. Sie erhielten randomisiert entweder 3,4 mg/kg Körpergewicht oder 2,5 mg/kg Körpergewicht Blenrep alle drei Wochen bis zur Progression der Erkrankung oder bis zum Auftreten inakzeptabler Toxizitäten. Der primäre Endpunkt war die Gesamtansprechrate. Die Dosierung von 2,5 mg/kg führte zu einer Gesamtansprechrate von 32 Prozent. Durchschnittlich sprachen die Patienten elf Monate an, die durchschnittliche Überlebenszeit betrug knapp 14 Monate.
Sehr häufige Nebenwirkungen waren Thrombozytopenie (22 Prozent) und Erkrankungen der Hornhaut (46 Prozent).
Belantamab-Mafodotin bringt eindeutig einen Therapiefortschritt beim bislang nicht heilbaren Multiplen Myelom und kann vorerst als Schrittinnovation bewertet werden. Das neue Antikörper-Wirkstoff-Konjugat ist nicht für die Erstlinie zugelassen, hat aber das Potenzial, eine wichtige Behandlungsoption für jene Patienten zu sein, deren Krankheit trotz derzeit verfügbarer Therapien weiter fortschreitet. Bei den mehrfach vortherapierten Patienten der Zulassungsstudie konnte eine Ansprechrate über 30 Prozent und eine mediane Ansprechdauer von elf Monaten erzielt werden. Das sind überzeugende Ergebnisse. Zu berücksichtigen ist jedoch auch, dass die Liste möglicher Nebenwirkungen leider lang ist.
Das Target der Antikörper-Komponente Belantamab ist brandneu. Anders als das ebenfalls beim Multiplen Myelom zugelassene Daratumumab ist Belantamab nicht gegen das Oberflächenantigen CD38 gerichtet, sondern gegen das B-Zell-Reifungsantigen (BCMA). Von dieser Zielstruktur wird man in Zukunft beim Multiplen Myelom voraussichtlich noch mehr hören. Denn auch das sich in der Entwicklung befindliche CAR-T-Zelltherapeutikum Idecabtagen-Vicleucel ist gegen BCMA gerichtet.
Sven Siebenand, Chefredakteur