Höhere Handelshürden für Schweizer Medizinprodukte befürchtet |
Die Schweiz und die EU werden vorerst doch kein neues Rahmenabkommen abschließen. Nach jahrelangen Verhandlungen brach die Schweizer Bundesregierung die Gespräche nun ab. Das hat auch Folgen für den Import von Medizinprodukten aus dem Alpenstaat. / Foto: picture alliance
Gerade einen Tag ist die neue europäische Medizinprodukteverordnung in allen EU-Mitgliedsstaaten in Kraft, da zeichnen sich schon erste Komplikationen beim internationalen Handel mit Medizinprodukten ab. Knackpunkt sind die gescheiterten Verhandlungen über eine Auffrischung des jahrzehntealten bilateralen Abkommens zwischen der Europäischen Union und dem Nicht-EU-Land Schweiz. Ein neues Rahmenabkommen hätte die Beziehungen auf ein stabileres Fundament stellen sollen, gestern wurden die Gespräche allerdings von der Schweizer Regierung abgebrochen – also just an dem Tag, an dem die Medical Device Regulation (MDR) mit ihren strengeren Sicherheitsvorschriften EU-weit verbindlich wurde. Dies könnte unmittelbare Folgen für den Medizinprodukteimport aus der Schweiz haben.
Konkret geht es darum, dass die Schweiz zwar nicht Mitglied der EU, über etliche Einzelverträge aber in viele europäischen Projekte eingebunden ist und zudem Zugang zum EU-Binnenmarkt hat. Bei Medizinprodukten etwa besteht laut Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) zwischen EU und Schweiz ein sogenanntes Mutual Recognition Agreement (MRA), das Medizinprodukte-Herstellern aus der EU und der Schweiz den Zugang zum gesamten europäischen Markt öffnet. Dieses werde mit dem Inkrafttreten der neuen Verordnung allerdings hinfällig, erklärte die ABDA heute und zitierte eine entsprechende Mitteilung der EU-Kommission, die auch der PZ vorliegt. Die neuen EU-Vorschriften für Medizinprodukte hätten demnach in einem entsprechende Vertragskapitel mit der Schweiz angepasst werden müssen.
Mit dem Abbruch der Verhandlungen aber könne sich die Schweiz nicht länger auf die bisherigen Vereinbarungen zur alten Medizinprodukterichtlinie stützen und sei nun »wie jeder andere Drittstaat« zu behandeln, was insbesondere zur Folge habe, »dass Zertifikate von Benannten Stellen in der Schweiz nicht mehr anerkannt werden und für den Import von Medizinprodukten aus der Schweiz die allgemeinen Regeln gelten (neues EU-Zertifikat erforderlich, Benennung eines verantwortlichen Vertreters in der EU)«, schreibt die ABDA in einer juristischen Einschätzung, die der PZ vorliegt. Sofern für in der EU produzierte Medizinprodukte bislang Zertifikate von Benannten Stellen in der Schweiz genutzt würden, seien auch diese hinfällig, so die ABDA. Für die Medizinprodukte-Hersteller bedeutet dies also einen erheblichen Mehraufwand.
Nach dem Scheitern der Gespräche hatte die EU-Kommission gestern sichtbar enttäuscht auf den Rückzug der Schweiz reagiert; ohne dieses Rahmenabkommen werde »die Modernisierung der laufenden Beziehungen unmöglich«, hieß es in einer Mitteilung der Kommission. Die bestehenden bilateralen Abkommen würden »zwangsläufig veralten«. Über das Rahmenabkommen war seit 2014 verhandelt worden; die Schweiz brach die Gespräche gestern ab, weil man sich aus ihrer Sicht in grundlegenden Punkten nicht einigen konnte.
Mit den strikteren Regeln im Umgang mit Medizinprodukten wie Heftpflaster, Hüftgelenken, aber auch etwa Brustimplantaten reagierte die EU auf den inzwischen elf Jahre zurückliegenden Skandal um minderwertige Brustimplantate, die die französische Firma Poly Implant Prothèse (PIP) jahrelang verkauft hatte. Die Billig-Implantate waren besonders reißanfällig. 2010 flog das Unternehmen auf, bis heute beschäftigt der Skandal die Gerichte. Damit so etwas möglichst nicht wieder passiert, gelten nun strengeren Vorschriften.
Neu sind nach Angaben der EU-Kommission vor allem zwei Punkte: Sogenannte Hochrisiko-Produkte wie eben Implantate müssen vor der Markteinführung von einem EU-Expertenpool begutachtet werden. Bewertungen, Prüfungen und die Benannten Stellen, die Bescheinigungen für Medizinprodukte ausstellen dürfen, werden genauer überwacht. Darüber hinaus werden demnach wichtige Informationen zu allen zugelassenen Medizinprodukten in einer Datenbank namens Eudamed erfasst. Patientinnen und Patienten mit Implantaten erhalten einen Ausweis mit Produktdaten.
Ursprünglich sollte die Novelle bereits vor einem Jahr starten, doch wegen der Coronavirus-Pandemie wurde der Termin schließlich um ein Jahr verschoben, um keine zusätzlichen Hürden für die Versorgung mit damals knappen Medizinprodukten wie Masken und Schutzkleidung aufzubauen. Hersteller und auch Nutzer wie Krankenhäuser hatten die Reform wegen des zusätzlichen Aufwands für die Zertifizierung kritisiert und vor Engpässen gewarnt. Zum Starttermin am gestrigen Mittwoch meldete sich der Medizintechnologieverband BVMed zu Wort – mit viel Kritik im Gepäck. Verbandschef Meinrad Lugan betonte, dass der Mittelstand das Herzstück der Medizintech-Branche und ihrer Innovationskraft darstelle, »aber durch die neuen regulatorischen Anforderungen besonders gefährdet« sei. Deutschland sei neben den USA, Japan und China »noch immer der bedeutendste Med-Tech-Standort der Welt«. »Wir wollen, dass das auch in Zukunft so bleibt.« Mit der neuen Verordnung bekomme Europa »die schärfste Regulatorik für Medizinprodukte in der Welt«. Diese drohe »unsere innovative Branche auszubremsen – mit katastrophalen Folgen für die Patientenversorgung und für den MedTech-Standort in Deutschland und Europa«.