| Theo Dingermann |
| 27.11.2025 10:30 Uhr |
In der zweiten Arbeit zeigt ein Team um Dr. Gyorgy Scrinis von der University of Melbourne, Australien, auf Grundlage der geschilderten Evidenz politische Steuerungsinstrumente und regulatorische Hebel entlang der gesamten Wertschöpfungskette auf, die die Situation verbessern könnten. Die vorgeschlagenen Maßnahmen reichen von Änderungen der Rezepturen, beispielsweise durch Festlegung klarer Konzentrationsgrenzen für Zucker, Salz und gesättigte Fette, über Warnhinweise auf Verpackungen bis hin zu Verboten besonders riskanter Zusatzstoffe. Evidenz aus Chile, Mexiko und mehreren OECD-Ländern zeigt, dass Warnhinweise auf Packungen das Konsumentenverhalten verändern und Zusammensetzungsanpassungen forcieren.
Ferner sollten Werbeverbote für Kinder, Regulierung eines Marketings in Schulen, Besteuerung ungesunder Produkte oder Subventionierung für Grundnahrungsmittel sowie verpflichtende Menü- und Kalorienkennzeichnung durchgesetzt werden.
Außerdem fordern die Forschenden, einzelnen mächtigen Konzernen nicht weiterhin die Kontrolle großer Teile des globalen Nahrungsangebots durch Preisgestaltung, Platzierungsstrategien und aggressives Marketing zu überlassen. Stattdessen sollten die Staaten wettbewerbsrechtlich eingreifen, Auflagen für Regalplatzierungen erlassen, Transparenzpflichten durchsetzen, Lobbying- und Nachhaltigkeitsnarrative kontrollieren sowie stärkere Regeln für Interessenskonflikte festlegen.
Schließlich analysieren Autoren um Dr. Phillip Baker von der Sydney School of Public Health an der University of Sydney, Australien, die Machtstrukturen der UPF-Industrie. Sie beschreiben, warum trotz hoher Evidenzlage politische Fortschritte lange ausblieben und wie ein globaler Public-Health-Gegenentwurf aussehen müsste.
Im Mittelpunkt der Arbeit stehen die politischen Aktivitäten der transnationalen UPF-Industrie. Diese nehmen direkt politischen Einfluss über Lobbying, Regierungsnähe oder die Beeinflussung von Beratungsgremien. Auch wird gegen Regulierungen unter Einsatz großer Mittel vorgegangen.
Zudem finanzieren diese Unternehmen in großem Stil industriefreundliche Forschung, erzeugen Zweifel (»manufacturing doubt«) und geben bei Ernährungsproblemen individuellen Verhaltensdefiziten statt strukturellen Umweltfaktoren die Schuld. Vielfach nutzen die Unternehmen auch Multi-Stakeholder-Plattformen, NGOs oder wissenschaftlich klingende Institute, um Einfluss auf die Weltgesundheitsorganisation, den Codex Alimentarius (eine Sammlung internationaler Lebensmittelstandards) und nationale Regulierungsbehörden auszuüben. Die Oligopolstrukturen ermöglichen den Autoren zufolge Preis- und Sortimentskontrolle, eine aggressive Expansion in wachstumsstarke Märkte des globalen Südens sowie die Verdrängung lokaler Anbieter.